Dieses Blog durchsuchen

ALL TAG

Donnerstag, 11. Februar 2010

SECURITATE. 2. Folge.Besuch bei Oberst Toma, ehemaliger Geheimdienstchef meiner Heimatstadt

SECURITATE. 2. Folge.Besuch bei Oberst Toma, ehemaliger Geheimdienstchef meiner Heimatstadt
Von dieter.schlesak 12.02.2010, 15.18 Uhr
Ich hatte versprochen regelmäßig Fragmente aus meinem neuen Buch "Securitate" in meinem Blog zu veröffentlichen, ein Buch, an dem ich zur Zeit intensiv und mit Albträumen und aufbrechenden Angst-Empfindungen beim Erinnern dieses Abgrundes, abeite. Hier also ein neuer Text daraus; der bisher letzte ist in meinem Blog http://schlesak.blogspot.com erschienen.

14. März. Heute Besuch beim ehemaligen Securitate-Chef meiner Heimatstadt, Oberstleutnant Toma.
Er war einmal die Angstwand meiner Phantasien gewesen. Er empfing uns bescheiden im Keller. Wir waren verdutzt: er umarmte meine Frau und mich. Sagte, du, wunderbar, daß du endlich mal da bist; früher hätten die dich nicht reingelassen; mit deinem Bruder hab ich Fußball gespielt. Am 22. Dezember konnte er es sich leisten, zu den Demonstranten zu gehen, zu sagen: Revolution ja, doch keine Fenster einschlagen. Seine Leute hatte er entwaffnet. Militär bewachte das Rathaus. Die Parteisekretärin, befahl ihnen zu schießen, doch der Offizier rief, sie solle den Mund halten. Und verhaftete sie.
Ich hatte es mir früher immer erträumt, meinen Geheimdienst-Dossier einzusehen; in diesen nach altem schlechtem Papier stinkenden Mappen wären alle sozialen Geheimnisse meines Lebens, die mich in ihrer Unübersichtlichkeit quälten, vielleicht entschlüsselt, so dachte ich früher; im Westen hatte ich dieses Geheimnis verlernt, es war nicht mehr so einfach, ein Zentrum zu haben, das Rätsel zu lösen; zu Hause aber die jahrzehntelange Illusion: so wüßte ich "Ausbeutersohn", und "Waisenkind des Klassenkampfes", entwurzelt, anonymisiert, sozial kontur- und schicksalslos, durch diese Akte endlich über mich Bescheid.
Jetzt war ich nicht mehr so naiv, doch neugierig. Im Osten war man der Angst hörig gewesen; und jetzt war das Angstzentrum, die Geheimpolizei, aufgelöst, wie Toma sagte, sie existiere nicht mehr. Wirklich? Das Zentrum; was aber blieb als Ersatz? Der Oberst behauptet, er sei zu alt und so eben in Rente, die andern aber, seine Untergebenen, "zu Hause". Und was machen sie? Fast die Hälfte arbeitslos, sie suchen einen Job. Die Angstpolizei sucht einen Job. Wir waren doch alle nur Idioten des Größenwahnsinnigen, sagt er. Und wurden selbst überwacht. Seine Frau sagte, sie habe 20 Jahre Angst ausgestanden: "Denn die haben doch eine Securitate der Securitate gehabt, Leute im persönlichen Dienst des Tyrannen... Erst jetzt sehen wir, wie wenig wir gewußt haben, was für Idioten wir waren."
Klingt uns das nicht vertraut? Nichts gewußt, und gewesen! Vieles erinnert an die Lage in Deutschland nach Kriegsende.
Er verbittet sich in seinem Haus gewisse Namen, z.B. Ceausescu, auszusprechen. Aber es gibt jetzt einen neuen "Dienst", der soll auch die alten Computer, die Büros, die Akten und so "übernehmen". Auch die Leute.
Haben Sie keine Gewissensbisse, diesem "Orden" angehört zu ha¬ben, frage ich den Chef: die Securitate war doch eine Art SS. Und Toma prompt: - Ja, ja, das stimmt. Aber ich habe mich frei gemacht, ich habe einen Bewußtseinsprozeß durchgemacht. Und auch meinen Untergebenen habe ich gesagt, redet anständig mit den Leuten, brüskiert sie nicht, denn egal, aus welchem Grund du zu solch einer Institution gerufen wirst, der Gerufene hat Angst, macht sich Sorgen. In Bukarest wurden die Phantasiefeinde produziert. Paranoia... Ein ganzer Orkan von Papier. Die Bürokratie war ein Wahnsinn. Alles lief so... nur Papier. Wenn Sie die Akten sehen, greifen Sie sich an den Kopf, welch Unsinn da drinsteht...
Ich traute meinen Augen nicht, so redet jetzt der ehemalige Angstchef der Stadt? Ein "Revolutionär" nun auch er? Die Revolution, letztlich eine Inszenierung der Geheimpolizei, wie manche behaupten? Das kann doch nicht wahr sein?
Doch war das Aufbegehren, der Untergrund, sonst einer Minderheit reserviert, nicht ein Akt der Masse, die die Gesellschaft der Funktionärselite überwältigte, die eine Minderheit war, eine fade und langweilige Minderheit von Greisen und Paranoikern? Diese Umkehrungen schienen sensationell und ermöglichten erfolgreich den Aufstand. Es war eine Art falscher Mystik, falsches Geheimnis, etwas Unverständliches, das sich aufblähte und angab, das sich aber dann langsam als Banalität, als Dummheit entpuppte, und je evidenter diese Nacktheit des Kaisers wurde, umso näher war sein Ende.
Denn der gegen den Staat gerichtete Untergrund in den Köpfen und Seelen der Menschen ging mit einem echten, mit dem andern Unverständlichen, dem eigentlichen Rätsel um, der eigenen Existenz, dem eigenen Leben und dem eigenen Tod: bis hin zu den Opfern, den Toten, so daß dieser geheime Untergrund siegen mußte, als gewichtigeres Dasein. Nach dem Gelingen aber war der Ort so leer, brach jenes andere Unverständliche, wenn die sozialen Barrieren und Schutzzonen fallen, so gewaltig durch, daß die Angst größer war als vorher, Depressionen eintraten.
Doch in der Lücke, im Übergang in der Stunde Null brach das Unfaßbare wie im Tode durch, war jede Logik, Plausibilität, Rationalität gelöscht, Wissen entlarvt. Ja, es zeigte sich gerade wie alt und abgestanden das wirklich Vorhandene gewesen war.

Veröffentlicht auch bei ZEIT online:

SECURITATE. 2. Folge.Besuch bei Oberst Toma, ehemaliger Geheimdienstchef meiner Heimatstadt
Von dieter.schlesak 12.02.2010, 15.18 Uhr
Ich hatte versprochen regelmäßig Fragmente aus meinem neuen Buch "Securitate" in meinem Blog zu veröffentlichen, ein Buch, an dem ich zur Zeit intensiv und mit Albträumen und aufbrechenden Angst-Empfindungen beim Erinnern dieses Abgrundes, abeite. Hier also ein neuer Text daraus; der bisher letzte ist in meinem Blog http://schlesak.blogspot.com erschienen.

14. März. Heute Besuch beim ehemaligen Securitate-Chef meiner Heimatstadt, Oberstleutnant Toma.
Er war einmal die Angstwand meiner Phantasien gewesen. Er empfing uns bescheiden im Keller. Wir waren verdutzt: er umarmte meine Frau und mich. Sagte, du, wunderbar, daß du endlich mal da bist; früher hätten die dich nicht reingelassen; mit deinem Bruder hab ich Fußball gespielt. Am 22. Dezember konnte er es sich leisten, zu den Demonstranten zu gehen, zu sagen: Revolution ja, doch keine Fenster einschlagen. Seine Leute hatte er entwaffnet. Militär bewachte das Rathaus. Die Parteisekretärin, befahl ihnen zu schießen, doch der Offizier rief, sie solle den Mund halten. Und verhaftete sie.
Ich hatte es mir früher immer erträumt, meinen Geheimdienst-Dossier einzusehen; in diesen nach altem schlechtem Papier stinkenden Mappen wären alle sozialen Geheimnisse meines Lebens, die mich in ihrer Unübersichtlichkeit quälten, vielleicht entschlüsselt, so dachte ich früher; im Westen hatte ich dieses Geheimnis verlernt, es war nicht mehr so einfach, ein Zentrum zu haben, das Rätsel zu lösen; zu Hause aber die jahrzehntelange Illusion: so wüßte ich "Ausbeutersohn", und "Waisenkind des Klassenkampfes", entwurzelt, anonymisiert, sozial kontur- und schicksalslos, durch diese Akte endlich über mich Bescheid.
Jetzt war ich nicht mehr so naiv, doch neugierig. Im Osten war man der Angst hörig gewesen; und jetzt war das Angstzentrum, die Geheimpolizei, aufgelöst, wie Toma sagte, sie existiere nicht mehr. Wirklich? Das Zentrum; was aber blieb als Ersatz? Der Oberst behauptet, er sei zu alt und so eben in Rente, die andern aber, seine Untergebenen, "zu Hause". Und was machen sie? Fast die Hälfte arbeitslos, sie suchen einen Job. Die Angstpolizei sucht einen Job. Wir waren doch alle nur Idioten des Größenwahnsinnigen, sagt er. Und wurden selbst überwacht. Seine Frau sagte, sie habe 20 Jahre Angst ausgestanden: "Denn die haben doch eine Securitate der Securitate gehabt, Leute im persönlichen Dienst des Tyrannen... Erst jetzt sehen wir, wie wenig wir gewußt haben, was für Idioten wir waren."
Klingt uns das nicht vertraut? Nichts gewußt, und gewesen! Vieles erinnert an die Lage in Deutschland nach Kriegsende.
Er verbittet sich in seinem Haus gewisse Namen, z.B. Ceausescu, auszusprechen. Aber es gibt jetzt einen neuen "Dienst", der soll auch die alten Computer, die Büros, die Akten und so "übernehmen". Auch die Leute.
Haben Sie keine Gewissensbisse, diesem "Orden" angehört zu ha¬ben, frage ich den Chef: die Securitate war doch eine Art SS. Und Toma prompt: - Ja, ja, das stimmt. Aber ich habe mich frei gemacht, ich habe einen Bewußtseinsprozeß durchgemacht. Und auch meinen Untergebenen habe ich gesagt, redet anständig mit den Leuten, brüskiert sie nicht, denn egal, aus welchem Grund du zu solch einer Institution gerufen wirst, der Gerufene hat Angst, macht sich Sorgen. In Bukarest wurden die Phantasiefeinde produziert. Paranoia... Ein ganzer Orkan von Papier. Die Bürokratie war ein Wahnsinn. Alles lief so... nur Papier. Wenn Sie die Akten sehen, greifen Sie sich an den Kopf, welch Unsinn da drinsteht...
Ich traute meinen Augen nicht, so redet jetzt der ehemalige Angstchef der Stadt? Ein "Revolutionär" nun auch er? Die Revolution, letztlich eine Inszenierung der Geheimpolizei, wie manche behaupten? Das kann doch nicht wahr sein?
Doch war das Aufbegehren, der Untergrund, sonst einer Minderheit reserviert, nicht ein Akt der Masse, die die Gesellschaft der Funktionärselite überwältigte, die eine Minderheit war, eine fade und langweilige Minderheit von Greisen und Paranoikern? Diese Umkehrungen schienen sensationell und ermöglichten erfolgreich den Aufstand. Es war eine Art falscher Mystik, falsches Geheimnis, etwas Unverständliches, das sich aufblähte und angab, das sich aber dann langsam als Banalität, als Dummheit entpuppte, und je evidenter diese Nacktheit des Kaisers wurde, umso näher war sein Ende.
Denn der gegen den Staat gerichtete Untergrund in den Köpfen und Seelen der Menschen ging mit einem echten, mit dem andern Unverständlichen, dem eigentlichen Rätsel um, der eigenen Existenz, dem eigenen Leben und dem eigenen Tod: bis hin zu den Opfern, den Toten, so daß dieser geheime Untergrund siegen mußte, als gewichtigeres Dasein. Nach dem Gelingen aber war der Ort so leer, brach jenes andere Unverständliche, wenn die sozialen Barrieren und Schutzzonen fallen, so gewaltig durch, daß die Angst größer war als vorher, Depressionen eintraten.
Doch in der Lücke, im Übergang in der Stunde Null brach das Unfaßbare wie im Tode durch, war jede Logik, Plausibilität, Rationalität gelöscht, Wissen entlarvt. Ja, es zeigte sich gerade wie alt und abgestanden das wirklich Vorhandene gewesen war.

SECURITATE. 2. Folge.Besuch bei Oberst Toma, ehemaliger Geheimdienstchef meiner Heimatstadt veröffentlicht auch bei ZEIT online

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen