IV
Dann
kam eines Tages jene ernste Stunde, die den Ausschlag gab, und die wir alle fürchten, Mutter mußte in die Klinik,
und alle dachten wir, das Schlimmste könnte eintreten. Da hatte Mutter mich zu
sich gerufen, mich ganz überraschend gebeten, nach Hause zu fahren.
Du
mußt nach den Gräbern sehen und du mußt auch nach den Häusern sehen, sie geben
jetzt die Häuser zurück, du mußt nach dem lieben guten Baumgartenhaus, nach dem
Baiergaßhaus sehen, und nach dem Haus auf dem Holzmarkt!! Das sind wir doch
meinem Vater und auch deinem Vater schuldig!!! Und ich drückte ihre Hände,
versprachs, und sie schien schon etwas verwirrt, denn sie sagte, ich solle auch
nach Victor oder Vlad suchen. Vater hieß doch Kurt Erwin und er kennt mich
doch, dachte ich, nahm aber Rücksicht auf Mutters Zustand, sagte nichts mehr,
versprachs nur immer wieder. Sie murmelte
noch: Nein, auch die Gräber
müssen gepflegt und der Friedhofsbesorger bezahlt werden! Schau nach den
Gräbern, ich verlaß mich auf dich! Deiner Sprache, deiner Sitte, deinen Toten
bleibe treu… zitierte sie noch Michael Albert!
Ja, ich will fahren, Mutter! Ich verspreche es dir!
Und
fragte nicht weiter…! Erinnerte mich aber, daß ich vor einigen Jahren, als die
Häuserrückgabe akut wurde, das Parlament eine Rückgabe beschloß, auch an den
alten Salmen, der ja Rechtsanwalt gewesen war, Lebensgefährte von Hansonkels
Tochter, der letzten Verwandten, die wir noch in Schäßburg hatten, geschrieben
hatte. Sallmen, übrigens der letzte Jude der Stadt, der noch die Synagoge in
der Kleingasse verwaltete, aber keinen Gottesdienst mehr abhalten konnte, da er
dazu mindestens 13 Gläubige benötigte, hatte sich auch beim Grundbuchamt im
Hämchen nahc den Häusern erkundigt, und
mir die Unterlagen zugeschickt. Mit Erich Salmen hatte sich seither eine
Brieffreundschaft entwickelt, ich wußte inzwischen auch, daß er aus der Bukowina stammte, 1940 nach Transnistrien deportiert worden war,
und heute enge Kontakte mit Israel hat.
Er
hat mir auch die Grundbuchnummern für die beiden Häuser in der Baiergasse,
eines war mein Geburtshaus: C.F. 773,
Top Nr. 1784/2; dann alle Häuser im Baumgarten C.F. 2200, C.F. 5247; CF 1690;
C.F. 4946; C.F. 5719 etc.
Es
war seltsam; ich glaubte nicht daran,
und doch begann es in mir zu arbeiten, und so etwas wie Hoffnung entstand, die
meine Träume nährte.
Einige Tage später schon der Flug. In der Boeing träumte ich von
Mutter, und hatte den Eindruck, sie sei neben mir. Sausen im Kopf, der Druck,.
es ging alles zu rasch, alles passé, die
Landschaft, die Stadt da unten, klein und kleiner. Prickeln
in den Fingerspitzen; das kalte Lukenglas fad, nervöses Dahindämmern.
Notausgänge über Tragflächen. Und ich sehe es im Dunkeln und staune, daß ich
mich nicht wundere. Und wo kommt man an? Alles schon geschehen, doch es geht
weiter, längst hat der Abschied begonnen.
Hochschrecken ins weiße Licht? Meine Augen
waren geblendet, ich spürte kleine Schläge, Helle, überdrehte Wachheit: Ein
Tag, eine Stunde, Sekunden. Dröhnen im Raum. Zittern des Flugzeugrumpfes. Fahl
und rosig kam das Licht durch die Luken – der Stern Sonne wird sich bald
zischend aus dem Meer erheben. Dieses Huschen der Passagiere, der
Menschenschatten in der Flugzeugkabine. Hochgefühle? Wir sitzen in der
aufheulenden Maschine, Traumbaum; heute wachsen die Bäume in den Himmel, sie
rollen, sie zittern, sie heben ab. Als Kinder flogen wir so: wir breiteten die kleinen Arme aus, wir liefen…
WWW WWW, wir machten es mit den Lippen nach,
alles läßt sich so machen! Heulen und Bombenwerfen, Krachen, denn wir fliegen
gegen Engeland … ahoi! Der Himmel ist
die Frau, das Ziel ist der Tod.
Ich flog, und es war spät, zu spät. Über die Landschaft hinweg,
kein Pferd mehr, auch kein fliegendes. Und kein Schatten, Schlemihl, Schlemi
nannten sie mich in der Schule. War schon gut, als könnte ich entwischen,
Vermeidung und Aufsparen, alter Herz-Geizhalz. Dagegen den Voyeur setzen, risikolos da hinter dem Schlüsselloch, schon
als Junge, und den großen schwarzen Busch von Marisch sehn, im Bad, da steigt sie raus und es verschlägt dir den Atem. Und warum willst
du dann keine Kinder, Voyeur! Nur aufm Papier, Strandfigur, Gestrandetfigur. Da
sagte schon die alte Marietant, tandel nicht so viel, vertrandelst dein Leben.
Am schönsten wars, lang schlafen, nur mit dir unter der Decke stecken, lesen,
vergessen, daß du da bist, keiner darf stören! Alltag nie, immer nur im Fest.
Und du kannst sogar die Sonne anhalten. Nichts mehr vergeht, Autist. Heil dir,
du Märchenheld, das Schicksal meidet dich.
Früher
gab es diese Pferde, den harten Boden, und es wurde erlebt. Alter, Alter der späten Zeit. Ganz anders als bei Proust. Lähmung zieht sich über die Lippen, Über
Wangen, Stirn, Schläfen, vor allem rechts ein "pisernder" Druck. Die "Nase" für zart Verästeltes
auch, dieses alte Wasserkopfgefühl in der Kindheit steht nahe, ist wie eine
Wasserdruckwand, die Zusammenführung erschwert.
Taub oft das Wangenfleisch. Und
jetzt die wohl letzte Chance durch diese neue Stunde Null, die nur einen
Augenblick anhält, dann rast alles wieder weiter, der Bogen zum Jahr 44 zerbricht
wieder... Dagegen steht die bunte Kaffeetasse, Kühle, Frische, ins Gras laufen,
barfuß. Oder feuchten Sand, kühl wieder
an der nackten Sohle spüren.
Bäumerauschen h8ren. Und sogar
hier die weiße Mauer, tausend grüne Blätter, Osmose möglich, Wasser
fließt. Die Härchen auf der Wange. Luft
daran. Oh, Kindskopf. Die Sinne hasten noch nicht, das heißt
Frühe. Schon Angst, der Gedanke, ein
böser Same, ein Fotonegativ, das sich entwickelt im Licht, zählt das Geschehen
ab, das unaufhörlich läuft; schon ist auch dieser Tag vorbei ...
Der
Tod war nun überall, ich mußte ihn nicht suchen. Kaum Bedauern. Die Leuchtschriften sind erloschen, denke
ich, Sonne blendet herein, Gott, der Vor-Schein. Und die Augen im Satz nur geschlossen. Kleine weiße Flecken, ganz nah an der Luke
Wattewolken, Fetzen, hörst du das Weiche am Ohr wie ein zerfleddertes
Blatt. Für immer den Boden aufgegeben,
die Sinne. Sank hinab, ermüdet von der
nervösen Anspannung; die Landschaft, hoch oben die Sterne kalt, ein Funkeln /
unten die Stadt ein Gewimmel von Leuchtpunkten, so sahen die es auch im Krieg
aus den Bombern, nein da wars doch verdunkelt.
Alarm. Heulen. Pax, dann Pace war das erste was mir wem also
einfiel auf Deutsch nur Frieden... Frieden des Weihnachtsengels hoch oben auf
den Tannenspitzen weil Oma es jeden Tag hören wollte. Lang her.
Und nur noch gelesen dieses Leben?
Der Herrgott träumt uns, hatte Vater gesagt, als er noch lebte und du
wirst sehen hatte er gesagt Und aus seiner Stimme war es mir kalt Über den
Rücken gelaufen Wie jetzt Rührung wenn Michael sich erinnert Nie durfte das
Fest aufhören nie Kling Glöckchen Klingelingeling kling Glöckchen kling. Nie.
Durfte das Fest abreißen und alles wieder gutgemacht Als wäre es ein
Film der rückwärts läuft eine deutsche Stadt wurde bombardiert Sirenen heulten
Krachen der Motoren... die ,Fliegenden Festungen flogen rückwärts über die
Stadt, saugten die Bomben ein, die fast schon gefallen wären, die Flammen, die
aus den Häusern schlugen, Phosphor! Auch
der Fluß brannte, Strudel, Sog, Bomben explodierten in der Kreisbewegung des
Wassers. Und die rückwärts fliegenden
Festungen saugten alle Trümmer auf, machten alles ganz und wieder gut, und eben
unter den Mauertrümmern erschlagene Kinder und Frauen wurden von den Mauern
befreit, die Trümmer setzten sich zu Häusern zusammen, und die Leute standen
auf, waren wieder am Leben. Auch
deutsche Jäger und Stukas setzten die abgeschossenen Fliegenden Festungen
wieder zusammen, die Piloten wurden wieder lebendig, und eine: durch das
Gedächtnis: zurück fließende Zeit machte alles wieder neu und ungeschehen. Auch das Krachen verwandelte sich in
Stille. Und die eingesammelten Stahl-
und Eisenteile wurden in die USA und nach Jerusalem verfrachtet, alles wieder
in Mineralien verwandelt und der Erde, die es zurückverlangte, wiedergegeben. Mir flossen vor Freude die Tränen Über die
Wangen, zu gern wäre ich dort mit drin gewesen, und wie alle Flieger in einen
Jugendlichen und dann in ein Kind verwandelt worden, die Zeit floß zurück, und
anstatt des Todes erwartete mich jetzt die Geburt? Ich hörte sogar die Glocke
von zu Hause schlagen. JETZT wars, und
an diesem Punkt Null, wo die Vergangenheit und die Warte-Zeit aufhörte, hörte
ich deutlich jenes langerwartete Summen.
Licht ist durch das Fenster zu sehen.
Ich dachte an einen Blitzschlag, aber kein Donner. Der Himmel sehr klar, Sterne, der Sirius, ein
ferner kalter Punkt. Mit enormer
Geschwindigkeit flogen wir in die Vergangenheit.Plötzlich geschah es, der Flugkapitän
konnte nur noch sagen: Mein Gott, wir irren ab.
Niemand wußte, wohin das Flugzeug abgeirrt, im Nebel verschwunden war,
ein falscher Kurs Richtung Süden oder Norden, und so an den Alpen
zerschellt? Hattest dein Leben wie
längst weggeträumt, auch den Tod, wie das Leben geträumt, wenn ich bei mir
war. Und daraus hatten sie dich dann
noch einmal hochgeschreckt in der Zelle, da rasselte der Schlüssel, da holten
sie dich, du zappeltest dich auf, gingst mit durch hallende Gänge, durch
klickende Geräusche, Schlösser geöffnet, Eisentreppen hochgegangen, du bist
vogelfrei nun, doch ich, der andere blieb ja liegen: und plötzlich dies Turmgefühl,
das mich verwandelte: Wasser tropft, übers Stroh raschelte dieses Nackte, etwas
Feuchtes im Gesicht, und du schreist.
Und ein Pfeifen. Ein Funkenring
und bewegt sich auf mich zu, vibriert über mir, langsam den Körper abwärts, ich
höre die Stimme aus dem Lautsprecher nicht mehr, englisch, das Ich, genau meine
Körperkontur. Und berührte die
"Wand", an den Fingern fühlte es sich rauh an. Ich schien zu
schweben, bin ich schon tot, dachte ich erschrocken? Wir, dies Fürwort, in der Schule gelernt. Es
ist der Turm, und totale Finsternis um dich, wundgerieben Schenkel und Hintern,
und dann ein Ruck, und du schwebst, bist draußen. Wo, ja, fliegst wie als Kind jeden Abend
pünktlich um Zehn, zubettgegangen, eine Lust.
Nur nebenan reden sie und lachen, es wird getrunken, Gläser, feines
Klingen wie zu Weihnachten. Wer spricht da?
Und Zigarettenrauch in der Nase. Und dachte, es sei Mutters Stimme,
diese vergangene Zukunft, und rief hallend in den Raum- "Glaubst also auch
du, daß wir alle einmal wiederkehren?" Und mein dann, die Maschine landet
eben, diese Trauer, wieder in den Gegenden der unaufhörlichen MattscheibenGegenwart
zu sein, wo nichts geschieht, die Null sich dem Herzen nicht nur nähert,
widerlich der explodierende Müll-und Atom-Ball, grau-rot, Plonge tes yeux dans
les yeux fixes, blicklos, keine Liebe erwiedert, kein Blick ... wie ich sie
fühle, hartweich, ein mystischer Akt auch mit dem Fenster, das mich hinaus
läßt, fliegt wie ein Vogel, der Baum grüßt draußen, oder der weiche Sitz und
die Armlehne. Komisch dieser Fall,
weich, noch kein Krachen. Übelkeit, zu groß die Erregung, wenn ich sie nun
sehen soll,. "Ja, bitte", so
meldet sie sich meist aus dem Rauschen, als wärs eine Geisterstimme, als wäre
es jene andere, aber es ist Mutter...
Und
vergaß ich, daß es der Tod hätte sein können? Nein, nein, es ging noch einmal
alles gut, das Flugzeug wurde über Radar wieder auf den rechten Kurs gebracht.
Ich zeichnete nervös Figuren auf das Bordfenster, Nebel draußen, dann ein leichter Regen,
der prasselte gegen das Fenster, wir waren in den Wolken; das kalte
Lukenglasflad, und ich ließ mich im weichen Sessel zurücksinken; nervöses Dahindämmern,
erschöpft von der Aufregung, dann neugierig auf die kommenden Ereignisse@hinter
den geschlossenen Lidern. Doch alles
blieb stumm; @ Schwindel , Druck im Magen, und kurz ein hochzuckendes
Angstgefühl, ich sagte mir @ironisch@ zur Beruhigun j aus der Absenz
führen Notausgänge Über die Tragflächen; Und sehe « bei geschlossenen Lidern,
wie das Flugzeug Feuer fängt, abstürzt ... Und wo kommt man (-an? Alles schon geschehn, längst hat der Abschied
begonnen. Nach der Landung in Bukarest
P-rstaunt, daß in Otopeni dieAbfertigung (zivil und ohne jede Reibung vor sich ging, wie an irgendeinem
fremden Flughafen, dachte ich.. Alles viel zu ;n mi@ trivial. Doch die heiße Welle(War da, ich wollte sie
auflösen, es trieb mich zur Telefonzelle.
Und ich versuchte Ioana zu erreichen.
Doch niemand hob ab, auch kein Anrufbeantworter @:Ich senkten sich wie
ein großes Insekt, dahinter schimmerten die dunklen Augen, jene Augenweiße, in
der'Mein Bild fest wird, und Idein Blick gleitet vom Haar ab, den Körper hinab,
dies Fluidum, das die Gestalt auflöst, wie eine dichte Wolke von ParfÜm, lo@na
nur noch in mir ein Reiz, der sich auf meinen ganzen Körper verteilt, an
intensivsten in der Mitte, zuckt um diesen andern Kopf, ich seh uns in Snagov
auf dem Waldboden liegen, und der riecht nach alten Blättern, raschelt, riecht
nach dem Regen) würzig, und ihre Rose blättert auf, viel stärker noch ihr
Frauengeruch; und da waren damals Leute vorbeigekommen, man hörte zuerst die
Stimmen sich nähern, Kindergeplapper, ein Hund, der vorauslief einer Spur nach,
bellend, und wir sprangen auf, Scham, ein Schock, Angst, denn der Verrückte
hatte ein Gesetz erlassen, schon damals kamst du für Ehebruch ins Kittchen, wie
zu alten Zeiten: in die Staatspflicht genommen - Kinder zu zeugen fÜr den
Herren...
Ein
Bild nach dem andern taucht auf. Sommer
am HeresträuSee, mit Maria. Mit
Thun. Petre kom@t in seiner gestreiften
Badehose an. Und immer wieder
loana. Im Kahn zwischen Seerosen. Daß es ein Abenteuer war. Solch ein Kahnfahren, fader
Wassergeruch. Ruder. "Vorwärts aber und rückwärts/ wollen
wir/ Nicht sehn." Und auch in Snagov auf dem See. Oder im Donaudelta, Bräila. Das Grab von Marias Mutter. Alles nur Umkährungen, wie diese, der See
lebt ja - noch. Sonst lauter Tote. "Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie/ auf schwankendem
Kahne der eee.' Nur der lebt, der sich von der Erinnerung befreit, höre ich
meinen Vater sagen. Aus. Und vorbei?
Ach, nein, nur ein schöner, noch fühlbarer Alptraum. Ich habe den Boden unter den Füßen verloren,
ich hatte mich "aufgespart", und jetzt bin ich doch gar nicht da,
angekommen und gar nicht da.
das
Or,
ten,
versuchte
ich,-
dort
Zuckerbäckergebäude,
der fehlende Lenin, ein Sockel, Absenz, die
t'
Herestrau-Seen,
ganz anders als *n meinem Gedächtnis, aber ich 1
werde
loana begegnen( und sie wird mir wie früher sagen, laß doch diese blöde Suche,
was willst du, Mauern? Außenwelt, mußt
dich immer irgendwie "festmachen".
Das sind eure Kop fgewächse. Das
Orthodoxe kennt keine Mauern, denk an unsere Klbster mit den Außenfresken,
Osmose, da ist niemand in den Kirchen eingesperrt worden, Gott ist
Überall. Es wird mich fremd berühren,
wie ihr Kreuz, das sie an einer Halskette trägt, ein Geschenk meiner guten Großmutter,
wird sie sagen, aber sich dazu bekennen, auch in ihrem Büro oder in den
Fernsehräumen. wie oft hatte ich in Italien daran gedacht. Hatte mein Heimweh nicht auch damit zu tun,
daß es hier noch Menschen gab, die schon in sich trugen, was ich suchte, weil
sie eingesperrt gewesen waren', poch antiquiert waren, eine Seele besaßen, die
wi7 v-e71o-r"en hatten? Reine
Mystik, dachte ich. Ob sie daher so
wenig Gewicht auf den zivilen Aspekt der Außenwelt legen, und sah die tristen
Straßen, grauen Häuser, nach dem Geglitzer und dem NeugerÜmpel in Frankfurt
fiel es auf. Woher aber dann diese übergeschminkten
Lippen der Frauen hier, dies "Äußerliche", oben hui und unten pfui,
wie meine Mutter sagte. Und nahm mir
vor, darüber nachzudenken; Iona zu fragen; "Nachbar Gott" sollte doch
gerade in Jedem Tier, in jedem Baum, im Stall, im Haus sein, nur dünn die
Wand?! Ja, vielleicht doch nur in dem,
was ER wachsen ließ und gab, nicht in den von uns selbstgemachten Dingen7 Städten,
Straßen? Die können ruhig verkommen. Wie sollte so hier das geliebte Kapital
einziehen? Nun, so wird es hier eben
scheitern. Das freute mich. Weniger, daß es sich gar nicht hierher begeben
wird, mit seinem gesunden Räuberinstinkt!
Nach der Landung in Bukarest telefonierte
ich mit Ioana. Wir hatten uns nach 1989 noch nicht gesehen. Ich war neugierig.
Wir machten eine Begegnung im "Intercontinental" aus. Ich war
ziemlich erregt. Ich sah Ioanas
Gesicht vor mir, wir lagen hier in Snagov auf dem Waldboden, und der roch nach
alten Blättern, raschelte, nach dem Regen würzig, und ihre Rose blätterte auf,
viel stärker ihr Frauengeruch, und da
kamen Leute vorbei und wir sprangen auf, Scham, ein Schock, Angst, denn der
Verrückte hatte ein Gesetz erlassen, schon damals kamst du für Ehebruch ins Kittchen,
wie zu alten Zeiten: Pflicht wars, Kinder zu zeugen für den obersten Herren,
denn dies Volk war ja viel zu klein für ihn.
Nur der lebt, der sich von der Erinnerung
befreit, höre ich meinen Vater sagen. Aus. Und vorbei? Ach, nein, nur ein schöner, noch fühlbarer
Alptraum. Ich habe den Boden unter den Füßen verloren, ich hatte mich
"aufgespart". Künstliche Spiegelung der Natur und des Ich. Nur jener,
der es uns lehrt, ist nicht sichtbar, wie wir zu sein haben: leer. Vernetzt.
Bildschirme. Jean Baudrillard hats drastisch für den Westen
auf den Punkt gebracht: Der Unterschied zwischen Innen- und Außenbild, mental
und maschinell sei gelöscht. Menschen sind Bildschirme, es gibt keine Blicke
mehr, Sartres Blick, der Securitate-Blick, unser ängstlicher
Blick - alles nun auch hier passé und gelöst, aufgelöst auf der Mattscheibe. -
Ich werde Ioana begegnen, und sie wird mir wie früher sagen, mir Lucian Blaga als Argument vorlesen: das
Orthodoxe kennt keine Mauern, denk an unsere Klöster mit den Außenfresken,
Osmose, da ist niemand in den Kirchen eingesperrt worden, Gott ist überall. Es
wird mich fremd berühren, wie ihr Kreuz, das sie trägt, ein Geschenk meiner
guten Großmutter, wird sie sagen, aber sich dazu bekennen, auch in ihrem Büro
oder in den Fernsehräumen. Und es ist
seltsam, daß es diesen großen Bruch in mir gibt, evangelisch mit aller
Pflichtkantigkeit und dem Selbstmörder Überich, oder diese Schreib- und
Papiersucht, diese Arbeitskrankheit. Und dann diese unstillbare Sehnsucht, die
nicht anders als die Ioanas oder die meines alten Freundes Petre ist. Wie oft
hatte ich in Italien daran gedacht. Hatte mein Heimweh nicht auch damit zu tun,
daß es hier noch Menschen gab, die in sich das trugen, was ich verloren hatte.
Ich fahre mit dem Auto aus dem Westen über
Siebenbürgen nach Bukarest, muß am Snagovsee und dem "freien Feld",
wo einmal Dörfer gestanden hatten, vorbei. Leere klingt über die Felder. Hier fuhr der Hingerichtete
von seiner Nobelresidenz mit dem Autopulk vorbei, sage ich zu Jann, die neben
mir sitzt: Blicke können töten. Die armen Dörfer störten ihn. Die Dörfer wurden
gelöscht, dem Erdboden gleichgemacht.
Alles, was ich sehe, scheint längst vergangen, passt zu jenem Wissen ,
daß das Bewußtsein ein Glühwürmchen ist, ich sitze im Auto, eben am Flughafen vorbei, und bin doch schon
längst weiter-gefahren, das Auto
"real" und "jetzt" an den Seen. Und - rechts der leere
Lenin-Sockel
vor dem Pressehaus. Der arme Lenin, der Statuenlenin mit dem Drahtseil um den
Hals. Mehr noch als längstvergangen. Der von mir verehrte Walter Benjamin:
schrieb über di Stadt "Moskau" der zwanziger Jahre. "Wendepunkt
des historischen Geschehens...das Faktum `Sowjet-Rußland`, dessen
"Wahrheit innerlich mit der Wahrheit" "konvergiere", Zeugenschaft,
nicht gegenüber dem Zeitgenossen, sondern gegenüber dem zukünftigen
Zeitgeschehen sei, schrieb er damals. Und jetzt? Die "innere
Wahrheit" scheint es so nie gegeben zu haben, du aber glaubetest daran, Terplan, und das
künftige Zeitgeschehen? Welch ein Betrug und Selbstbetrug von Generationen, wie
viele Denkende sind da in diese Falle gegangen?! Kann das mir dich, Rom,an, ein
Trost sein? Woher kommt dieses neue, ganz und gar nicht glückliche, fast
zynische Bewußtsein. Diese leere Zukunft, und die Vergangenheit, die
Erinnerungen werden davon angeschlagen, entwertet. Kann das gutgehn? Ähnlich
ist es vielleicht manchen Deutschen nach den 12 Jahren "Tausendjähriges
Reich" ergangen? Doch es waren zwölf nicht fünfundvierzig oder gar siebzig
Jahre! Und dort, sieh: Der abmontierte Lenin. Als wären auf diesem leeren
Sockel fünfundvierzig Jahre hallende Absenz
sichtbar geworden. Und - als wäre sie auch schon überholt. Lenin - diese Jugenderinnerung, sauer geworden ...
wie alte Milch. Kommunimus ist,
wenn alle voneinander genug haben, sagte
der ehemalige Chef des "Funkens" (Scínteia), vier Jahrzehnte
residierte diese Nicht-Zeitung, die mit der Zeit nichts im Sinn hatte, sondern
eine gefälschte Ewigkeit herbeischwatzen sollte, in ihrem "Haus". Und
genau dies ist der ekelhafte Packpapiergeschmack des Abgestandenen. Eine Leiche
war konserviert worden gegen die Zeit, Zensur, Geheimpolizei stahlen die
Lebenszeit, sperrten sie in diese künstliche Angstwelt ein. "Haus des
Funkens". Da funkte nichts. Da war keine Rede von dem, was im Hirn
vorgeht, wenn es "funkt". Aus. Das große Pressehaus, der
Lomonossowuniversität in Moskau nachgebaut, wie die Natur dieser Sache: das
Überholte im Kitsch- und Zuckerbäckerstil. Am Rande der Hauptstadt, fast am
Ufer der Herestràu-Seen. Ein witziger Kollege hatte einmal das alles
vergewaltigende Welt-Bild dieses jetzt sterbenden Imperiums auf den Punkt
gebracht: Das "Haus des Funkens" lehre die Seen, wie Natur zu
spiegeln sei.Ein Bild nach dem andern kommt, taucht auf. Und hat doch einen ranzigen
Geschmack. Naphtalin. Alles nur Umkehrungen, wie diese, der See lebt ja - noch.
Sonst lauter Tote. "Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie/ auf schwankendem
Kahne der See." Nur der lebt, der sich von der Erinnerung befreit. Aus.
Und vorbei? Ach, nein, nur ein schöner,
noch fühlbarer Alptraum. Ich habe den Boden unter den Füßen verloren, ich hatte
mich "aufgespart". Künstliche Spiegelung der Natur und des Ich.
Vernetzt. Bildschirme. Jean Baudrillard hat es drastisch für den Westen auf den
Punkt gebracht: Der Unterschied zwischen Innen- und Außenbild, mental und maschinell,
sei gelöscht. Menschen seien Bildschirme, es gibt keine Blicke mehr, Sartres
Blick, der Securitate-Blick, unser ängstlicher Blick - alles nun passé und
gelöst, aufgelöst auf der Mattscheibe. Oh, armer Jdanow, oh, armes Haus des
Funkens, das uns lehrte, wie Kunst zu machen sei: Wiederspiegelung unseres
Augenbildes ordinär. Jetzt gibt es langsam keine Außenwelt mehr für die
Wahrnehmung, die leerläuft. Früher
sagte ich mal, ich wolle lieber von einem Menschen, als von einer Maschine,
einem Roboter verhaftet werden! Würden mich die Freunde hier in der Luft zerreissen,
wenn ich ihnen so käme?! Aber sie konnten ja auch Widerstand leisten, weil der
Feind hier bis zum Überdruß erkennbar war. Jetzt ist er tot. Unzeit - letzte
Geschichtszeit. Epochen scheinen tatsächlich gründlicher zu sterben als
Menschen. Wo sind sie denn begraben, in uns? Tragen wir ihre Schuld aus? Läßt
sich also sogar noch von Schuld sprechen?
"Ja, Terplan, davon ist die Rede". Ich weiß, ich weiß, alles
auch so blaß, ich gleite über die Dinge hinweg, schon damals, daher konnten sie
mich fangen zum Überspringen, zur Flucht
bringen: farblose Erinnerung, meine totalitäre Seele, ich fühlte nichts
mehr. Und die Gedanken dort an den Seen die mich damals überfielen, sind fast
sichtbar geworden:
Ein Kollege sagte, wir müßten uns wehren,
wir hätten uns immer wehren müssen: die Sinne zu verlieren: Das heißt die Anwesenheit,
die einmalige, freche Anwesenheit unserer Brüder in der Existenz anzuerkennen,
gleichgültig, ob sich ein Löffel kundtut, der vom Tisch fällt, oder ob der
Flügel einer Meise aufleuchtet... daß gerade darin unser Mut bestehe... Und
genau hier ist meine Niederlage am größten gewesen. Habe ich doch diesen stillen,
fundamentalen Mut verleugnet... daß ich eines Tages begann, Oden zu Ehren des
Tyrannen zu schreiben, bedeutet, daß ich nicht nur meine Nation, meine Familie,
mich selbst verriet, sondern auch die Natur meines Schreibens und der Arbeit
.... Die Suche kann nur einem Ziel gelten, der Rückkehr an den fruchtbaren Ort,
in die Fülle des Sehens. Das ist die elementare Treue des Dichters... Statt
dessen wurde es anders. Ich verwandelte mich in ein schäbiges
Verkleinerungsglas. Schöne Zeiten, wo man dies noch merkte. Und man muß nicht
in der Stalinzeit leben, um diesen Verrat zu
begehen, sich dem Lauten und Allgemein-Beklatschten zuzuwenden. Wir alle
wissen, daß wir an einer neuen tödlichen
Krankheit leiden: Leben aus zweiter Hand ist der gefühlte Tod, die Toten aber
haben es gut, sie müssen ihren Zustand nicht erleben. Aber meine Kollegen hier sind anders als ich.
Werden sie gegen die westliche Roboterwelt etwas unternehmen? Sie sind immer
noch offen für die Natur, für jeden Menschen, dies Tor der Sinne... Sie haben da ein starkes Argument: das Orthodoxe
kennt keine Mauern, denk an unsere Klöster mit den Außenfresken, Osmose, da ist
niemand in den Kirchen eingesperrt worden, Gott ist überall.Hatte mein Heimweh
nicht auch damit zu tun, daß es dort noch Menschen gab, die in sich das trugen,
was ich verloren hatte? Was vergangen ist, ist vergangen, sagte mein Vater. Was
geschehen, ist geschehen. Nicht nachtrauern. Kein Wenn und Aber. Kein Lamento.
Kein Urteil. Es ist schon gesprochen. Wirf einen Blick, wirf ihn in deine
tiefste Erinnerung, es ist ein Geruch, ein Tag, der nicht wiederkehrt, das
Gedächtnis deines Körpers, sagte er, das bleibt. Und du weißt nichts. Ich
stritt mit ihm, denn ich wußte ja ALS
Marxist alles. Ich fühlte mich ihm
überlegen. Er hatte nur ein trauriges, sanftes Lächeln. Jetzt ist er tot. Was
heißt das. Es ist unmöglich, zu meinen, es wissen zu können. Diese Freude bei
genauer Beschreibung kommt aus jenem reiferen Nichtwissen, nur Wahrheitswahrnehmung ist nah; die Forsythien im Hof, gelber Brand, der Duft
der faden Akazien am Wegrand. Und was war wichtiger, wenn die kommunistische
Jugend- Organisation uns auf Lastwagen lud, aufs Land hinausfuhr zur
"freiwilligen Arbeit", als das gemeinsame Singen, genau wie bei
unseren Eltern in der Nazizeit; nackte Oberkörper, Schaufeln, Erdgruben, bei
uns die Blicke der Mädchen, heimliche Küsse. Ja, dieser Geschmack der weichen
Lippen. Wir waren Studenten, arm gekleidet,
elende Mäntel, hatten kaum zu Essen, kein Geld in der Tasche. Frühlingswind;
die Schneereste wie schmutzigweiße Flecken Papier, beschrieben von zuviel
Vergangenem, das jetzt vorbei war, quälte, taute, zerfloß, roch nach Winter
Ade, war wichtiger als die Losungen, die Schulungen. Die waren ja nur der
"Anlaß". Ich sehe uns noch auf winzigen verwackelten Fotos, kaum
Namen, nur noch Gefühle, die nicht mehr vergehen. Irgendwo im Gebirge. Und das
soll ich jetzt beurteilen? Kein einziger Tag geht in meine Worte ein. Ich
schmecke dieses kalte Wasser aus dem Bach, berühre die Schneereste, forme einen
Schneeball, werfe den nassen Ball auf Eve, die lacht, der Ball zerbirst. Es ist
in uns, ich kann es nicht beschreiben. Oft kommt zu viel Sinn heraus, der nicht
meiner ist. Wer will über die Vergangenheit Herrschaft ausüben? Es ist, als
wäre es ähnlich wie mit der Zukunft. Nur beim Gewesenen ists schon erfüllt, das
Rätsel erkennbarer. Sind wir also schuldig geworden, wir, die kleinen Verehrer
der einfachen Sprüche und die Jünger des schaurigen Vereinfachers? Es ist wie
Friederike einmal sagte, als ich im Übereifer dauernd danach fragte, warum sie
in den vierziger Jahren nicht Widerstand geleistet hätten: - Das war ja nicht
alles, wir haben auch gelebt! sagte sie sanft, die zarte Gräfin, die schon zehn Jahre tot ist, und ich weiß
nicht mehr, wo ich sie finden soll. Wo denn sonst: in meinem Gedächtnis lebt
sie weiter, da sehe ich sie neben mir hergehn, die Einsame, seit 1945 einsam,
Georg, ihr Mann starb an Wassersucht, der Deportierte, kam aus Rußland, starb
in Frankfurt an der Oder. Und meine Großmutter, Friederikes Mutter, sagte mit
trauriger Stimme, die versuchte gegen das verlorene Leben ihrer Tochter
anzukämpfen: "Villecht git et noch en Gläck fir Friederike." Wir, die
Nachgeborenen, waren ja völlig isoliert, hätte ich den jungen Kollegen hier
jetzt sagen sollen: unsere Generation, wuchs unter unnormalen Bedingungen auf,
weltlos sozusagen, es war eine Generation ohne Eltern. Wir hatten das Vertrauen
in das "bürgerliche" Elternhaus
und in die Tradition verloren, die schuld am Kriege, am Faschismus
gewesen war, und suchten uns neue Väter,
rote, um auf die andere Seite der Front zu kommen. Eine unglückliche Generation
zwischen Elternhaus und Staat in einem Niemandsland der Kultur und der
Gesellschaft. "Waisenkinder des Klassenkampfes". Ein Freund schrieb
mir, man könne die Zerreißprobe zu Hause durchaus als Generationsproblem sehen.
Einesteils unsere Generation, bei der die Gehirnwäsche mit Erfolg betrieben
worden war, korrupt und unfähig den Bazillus zu überwinden; sie haben das Land
in den Ruin getrieben und es dem roten Inferno ausgeliefert. Auf der andern
Seite die Jungen, noch unbelastet und unschuldig, rein, die bereit sind, sich
zu opfern. Und sie haben mit Einsatz ihres Lebens die Revolution gemacht. Der Freund schrieb, das Land sei nicht mehr
unser Land, wir hätten es verraten und verkauft. Wir hatten nicht nur unser
Leben "aufgeschoben", sondern auch mitgeholfen, daß das Leben einer
ganzen Nation aufgeschoben und vertagt worden war. Wir hatten das
"Nichts" kultiviert, es mit Worten zugedeckt. Reden, reden, reden...!
Die Sünde der Autoren beginnt mit etwas Grundsätzlichen, mit der Wort-ZEIT.Aber
hatten wir damals in den fünfziger und sechziger Jahren nicht genau diese
"Sünde" begangen, sie erst spät erkannt: Ich nannte es
"Anwesen", wenn ich "drin" war in meiner Gedankenburg,
Seelenburg. Irgendwie waren Schriftsteller Parodien eines Diktators, der sich
auch mit Sprache verbarrikadierte. Verstand man sich deshalb so gut. Verstand
man dann auch deshalb so gut den wunden Punkt und das Verbrechen? Hatten
"sie" deshalb solche Angst vor uns, die Herrn vom ZK? Sie waren hinter mir her, ja.
Bei
der Ankunft in Bukarest fand ich in keinem Hotel ein Zimmer, alles war voller
Ausländer, Wirtschaftsleute vor allem. Ich erinnere mich: Beim Flug von
Frankfurt nach Bukarest gab es eine ganze Wirtschaftsfachschule an Bord, die
in Rumänien Erfahrungen sammeln wollte.
Nur in einem elenden Bahnhofshotel komme ich unter. Ich fahre erst 22
Uhr ins Zentrum zum Restaurant "Dunárea", das ich von früher kenne.
Vor dem Lokal drängen sich die Huren und ihre Loddels, ebenso vor dem
"Intercontinental". Die Geduld reißt mir nach einer halben Stunde
Warten und ich gehe auf die Straße.
Kaufe Bananen und Kekse. Trinke eine Coca-Cola, sie ist hier abgefüllt, sie hat
einen seltsamen Geschmack. Alle trinken dieses Prestige-Gesöff. Ich gehe
dann in die Bar "Melody". Fast nur Ausländer an den Tischen. Ein
Clown produziert sich. Eine Revue nackter Frauenärsche. Ein fünffacher Wodka
wird mir auf den Tisch gestellt.
IN den ersten Tagen ging e s mir nicht gut, auf dem Weg von
Buftea, der Filmstadt, wo ich im Schriftstellerhaus wohnte, auf dem Weg mit dem
Bus in die Stadt, sah ich die ungewohnten, aber nun wiedererinnerten
Pferdewälen, Koberwagen, sah ich die kleinen Vorgärten, die alten Zäune,
Tabakblumen, die sahen auf die Straße, die sahen mich als Fremde so vertraut
ah, Vertrautes, das ich lange nicht mehr gesehe hatte, jetzt kam es plötzlich
mit schmerzhafter Gewalt hoch, Traumfetzen überschwemmten mich, ich sah das
Gärtchen bei den Eltern eines Freundes Tabakblumen, schmutzigweiß unmittelbar
vor der Nase, ich roch daran, und die Mutter, die kam mit einem Stück gelbem
Palukes auf mich zu: hier, du bist hungrig,Palukes mit Marmelade, das tut gut! Und ich nahm das weiche, gebratene
PolentastÜckchen, es war weich und heiß, fühlte es ganz deutlich, und sah die
füllige Rumänin vor mir, Bild auf Bild, jetzt ein Koberwagen, darauf saß mein
Großvater, und ich hatte Angst wahnsinnig zu werden, "erkannte" dort
ein Gesicht im schnellen Vorbeifahren auf dem Wagen, durchs Fenster einen
Jungen, der mir winkte, der war ganz fahl im Gesicht, hatte ächütteres Haar,
soweit ichs im Vorbeifahren erkennen konnte, war der Junge ein wenig geduckt,
als erwarte er einen Schlag von oben und zog daher den Kopf ein... Wie ein
Blitz, die Erkenntnis, das bist doch du!
Als wäre ich selbst es gewesen, Unsinn, beruhig dich doch Michael, atme
tief, sonst drehst du noch durch. Lachte
kurz auf. Und versuchte ganz nüchtern
die Situation zu ,"analysieren", mir selbst zu erklären: Hör mal, daß
du mit dieser Umgebung, daß du mit dem, was du vor Jahren verlassen hast, nicht
fertiggeworden bist, nie fertigwerden kannst, das ist doch klar, rächt sich,
schlägt auf dein Vergessen ein und zerstört jetzt eine Wand, die dich vor dir
selber geschätzt hat. Und alles geschah nun jetzt auf dem Weg von der Filmstadt
in die Stadt, mein halbes Leben, nur scheintod der Untote?
In diesen Tagen
hatte ich auch den rumänischen Soljenitzyn Goma
im Schriftstellerhaus getroffen. Keiner lud mich zu sich nach Hause ein,
auch er nicht, der mein Freund war. Er
brachte andere Freunde mit und zwei Damen waren da, Goma hatte nachher in
seinen Aufzeichnungen alles beschrieben.
Ich war damals außer tir, erregt schlafwandelte" fiel der Länge
nach an der Tür hing, ein Schwindelgefühl zwischen Tür und sammelte ungeschickt und schamrot meine
zerbrochene Brille @; unsicher. geworden "otz ich -wich rur an den Hand
der Runde, Einer schenkte, mir ironiach-beflissen noch ein Wasserglas voll
Wodka ein, Nichts anderen zmte" als d«" w».die Lage ist, und mir@hat
ja die Begab=g i@mer schon gefehlt, Me schwerfällige Sachi;' kaum je eingeübt
in den Haut g8ut" Zwischentöne, Argot: Hier wolxtie'-@blauschwa4h@ige-Sehöne
das SicherheitsFlittchen"- di-c bekannte Ko@ine-Bett-Madam und die Seimiieibund-erzähl-mir-was-Madam
von, Zeno betont ironisch gestreichelt wurden.
Und am Nebentisch im tip-top neuen Anzug und Krawatte die Autoren-Seeu-Cranag
gedämpft redend und unauffällig blickend, beim franzügiedheh Gognac ganz Ohr
Ein u=atürlicher @st glänzt-eüf deiner nassen Stirn, lachte
Zeno: Bist fade geworden, wie ein Westmensch.
Fühlte mich fremd und leer, So erzähl uns jetzt etwas aus der okzidentalen
Hölley. Du hast doch We-nigutenn zwei
Ijänder zur Verfügung, was klagst dvfflßw Frager lächelte fein.
Ich
lebe auf der Grenze...
Aha:
willst nicht im westlichen Schweinestall leben" 4 @4 versteh.
Aber
wenne@ein Schweinestall ist, bist du nicht hier Im Paradies geblieben" um
den Marxisten zu mimen, a allen Vieren
Was
heißt,-auf allen Vieren?
MM
Typisch marxistischen Halt=gt
Ihr
seid aber auch gegen alleel
Un@eiiäehi
wie der R@e ao intl
Nachher
wars mir klare warum Zeii9% ir kein Yianuakript; mitgegeben hatte; er @te
Bescheid. Er konnte ablesen schon an der
Menge der Beaohatter, wieviel Minute@rT. bei der Ausreise gbfilztl werden äffl@
Wnd ich hörte auch das gefl sterte @Gesprach zwischen NI-und Zeno. N7:rragte.,ob !sie T. etwas@mit-geben solle-*
Und 'ueno warnte sie: T. @ ein sentimentaler und gut»-Sachßt Aber den Sinn für
–die Relitäten hier hat er in all
verloren.
"f dem Plu@en
dann zarte Zöllnerinnenhände@durühstbberten
mein Gepäck" allen GesehriebeAe und alle Tonbänder nahmen sie mir ab, Und
in mir d@ie Ani"
ie lassen mich nicht mehr ka-, sie lassen mich nicht mehr die Stadt,
mein halbes Leben, nur scheintot der Untote?
Aeh ja, D.-versu
Jetzt
hier in Bukarest geschahen die seltsamsten Dinge. Es war wie ein unsichtbares Netz von
"Zufällen", das mich umgab.
Und von Beriührungen dazu. Vor
allem, daß ich Ioana immer wieder begegnete, ohne mich mit ihr zu
verabreden. Zuerst waren es einfache
Dinge und Gegenden oder Häuser, die mich an sie erinnerten, wie vorhin in Snagov. Vor allem im Schriftstellerhaus, wo wir uns früher fast täglich beim
Mittagessen gesehen hatten,
dachte ich an sie: die braunen Augen
wie
Feuer im Herbstlaub, Laub raschelt, wenn sich der grazile
Körper
erhebt. Aber die ältere Erinnerung
ist durch die
Dezemberereignisse von
mir getrennt worden,
und das
Wiedererkennen des
alten Zustandes, auch jener Snagov-
Erinnerungen geschieht schockartig; da ist ein Geheimnis
von
verschiedenen Stimmungszuständen und Zeitschichten, die
nebeneinander
herlaufen, sich plötzlich berühren und einen neuen sehr seltsamen Zustand
ergeben. Ich merke dieses vor allem bei
Wiederbegegnungen mit alten Freunden, Bekannten, so mit GabriAl im Restaurant
des Schriftstellerhauses, oder Petre, der immer noch im langen Haarschmuck
daherkommt, langer Bart, wie ein Prophet oder Mönch, nur ganz grau, Eisgrau der
verlorenen Jahre, die niemand wiederbringen kann.
Ich weiß, was loana sagen wird, sie hat die Revolution mitgemacht,
hat vor den Gewehren der Seeuritate gestanden.
Sie
wird Überlegene
sie hat konkrete
Lebensintelligenz,
der ich mich immer schon ausgeliefert gefühlt hatte, jetzt, nach ihrer neuen
Erfahrung umso mehr.,
Wer warst du e71,er Bist du?
Du bist immer noch da; du bist in mir, also gibt es die Grenze gar
nicht. Der Tod im Leben ist viel
schlimmer. Du bist diese introvertierte
Fra@ von 48 Jahren, immer noch attraktiv, doch sehr zurückhaltend, unnahbar, also
sehr weit. Obwohl du den Anschein
erweckst, du 'seist @Icommunikativ, aggressiv.
Dabei gehst du nur mit dir sel@er um, d' Partner ist nur dein Auslöser,
nicht mehr.
Manchmal,
wenn du getrunken ham , wurden deine Auge stet, Daumen@, und Zeigefinger
spiel@n mit dem hinter den Ohren zur\u'@. gestrichenen
Haar. Als wir uns zum erstenmal trafen, wirkt t du
nervöse
gestrcsst
und wie vereist. Ich führte das
auf! '. @.diese anstrengende
"rtherapie* iw zurück. Ich weiß, du
hast Schmerzen wenn du mit einem Mann schläest.
Deine "Leitsätze", die deine Erinnerung öffnen sind:
"Atfe Männer verlassen mich, und ich fiihle nach wie erschlagen. Kein Mann wird mich je lieben; es ist alles
sinnlos
Vielleicht
spinne ich, aber bei einigen, bei dir " besondef s ist es mir schleierhaf
t, was mich eigentlich zu ihnen treibt; dann@@ 's'i@inne' ich, und behaupte,
wir sind uns noch einiges schuldi£" geb@@iebän, oder es ist eine
Erinnerung, unbewußt, die uns nicht lo@,siut"t u nd es läßt sich
eigentlich im Leben nicht in Ilandlung überse@.zen,' und@ so auch nicht
erfüllen oder befriedigen; daher dieser Zust@,and dein Ohnmacht, ja, der gequälten
Fadheit, wenn dies nicht in Wort@"n, im Reden, Reden, Reden kompensiert
werden kann.
Vielleicht
sind wir uns in einem früheren Leben, wer weiß @30, vielleicht gar nicht hier auf der Erde: begegnete Erinnerungss@pure'«,
halten uns zusammen, bis über den Tod hinaus?
Nur hat heute in all Freiheit, niemand den Mut ihnen zu folgen;
wir leben ziemlich schicksalslos und müssen deshalb unser Muster noch
unz,@hligemale wiederholend An eine endgültige Vernichtung g@Ube ich nicht; in
'@der Natur kann nichts verloren gehen, Vernichtung, Ruhe - wile of t sagten
wirs "M:
Ruhe-
dieses truhe sanfttg der gewigen Frieden', alles nur arme Ilunschz träume.
Ehe du dich versiehst, bist du schon wieder in einem Geburtskanal. Chris meint, er könne sich daran genau
erinnern. Unter Lachtränen erzählt
er'»/-Ereignis. Auch diese Perspektive
war ein Grund dafür, daß du keine Kinder wolltest. Früher gabst dui'politische GRünde an: wer
wird in diese kaputte Welt noch Nachkommen setzen wollen, nur einer der
gedankenlos ist oder einer, der seinen Kindern etwas Böses antun will!
Die Ursache lag tiefer, sie lag in den @pra@hgründen,» die
lösten aus, sie brachten uns dahin, an phantastische Gesehichte13 @u glauben,
die sich in unserer Vorstellung noch einmal zutrugen, und in ihrer dramatischen Wiederverkörperung waren es Verben, @,@@.,die
vorä\ntrieben, und hörte
Peitschenhiebe, häßlich zischende Adjelztive@@ und Sub@ßtantivaugen, die
glänzten. Du schriebst es mir, lagst in
diesem Brief drin, ich spurte dich: warst wie in Trance. "Es ist alles 4nnlos" - ein
Flüstern, wiederholt. "Kein @lann
wird dich lieben!"
@rsetzt. Und schon zurückversetzt.
Ob
sie es jetzt zwei', jener Traum klarer ist; Schloß Lauenstein
v' wir
v2,n
si e @
war
f ür si@@in Ort, der ihr keine Ruhe ließ; ein Turmzimmer, ein blaues Bett. Lauenstein im Voigtland; sie war nie dort
gewesen, doc in Träumen kam die@'Bild, dieser Name immer wieder; dann hatte
sie@, 7nh-chgeforscht, war in jene Gegend gefahren; völlig verändert
zurückgekehrt. Ich weiß nicht, was sie
dort erlebt hat. Kenne nur ein paar
dürre
Daten bis zu einem ihrer letzt Absr
en
Briefe, _,hieds-
brief;
nach unserer Begegnung, der Behandlung sie, seien diese unheimlichen
Erinnerungen täglich da gewesen, wie
ein liachtraum, der die Wirklichkeit überlagerte. Lauenstein, so habe sie erfahren, sei auf den Ruinen eines alten, während der
Hussitenkrie", ge zerstörten Nonnenklosters erbaut worden. Und die heiligen Frauen hätte dies in ihrem
Todesschlaf gestört, sie waren i@einem schönen
Wer
warst du ? Tier Bist du? Du bist immer
noch da; du bist in mir, also gibt es die Grenze gar nicht. Di§ r Tod im Leben ist viel schlimmer. Du bist diese introvertierte Fraq von 48
Jahren, immer noch attraktiv, doch sehr zurückhaltend, unnahbar, also sehr
weit. Obwohl du den Anschein erweckst,
du Seigt @@kommunikativ, Ja, aggressiv.
Dabei gehst du nur mit dir selber um, Partner ist nur dein Auslöser,
nicht mehr.
Manchmal,
wenn du getrunken hast, @den deine Aug
stet, Daumen
und
ZeiSefinger sp r
den Ohre Z gestrichenen
iel@n
mit dem hinte uru
Haar.
Als wir uns zum erstenmal trafen,
@wirkt-@l' du nervös$
gestrcsst und wie vereist.
Ich führte das auf %,diese anstrengende
"@erapie zurück. Ich weiß Schmerzen". wenn
du
9 du @ hast
mit
einem Mann schläest. Deine
"Leitsätze", die deine E'r@ , innerung öffnen sind: "ACfe
14änner verlassen mich, und ich flihle mich wie erschlagen. Kein Mann wird mich je lieben; es ist alles
sinnlos.
Vielleicht
spinne ich, aber bei einigen, bei dir besondeirs'@, ist es mir schleierhaft,
was mich eigentlich zu ihnen treibt; dann.
S,I?inne' ich, und behaupte, wir sind uns noch einiges schuldi@,
geb@lieb@n,
oder
es ist eine Erinnerung s nicht und unbewußt, die un
es
läßt sich eigentlich im Leben nicht in Handlung überse@.zen, und,@, so auch
nicht erfüllen oder befriedigen; daher dieser Zust@,an@ dein Ohnmacht, ja, der
gequälten Fadheit, wenn dies nicht in Wort,&,.n, im Reden, Reden, Reden
kompensiert werden kann.
Vielleicht
sind wir uns in einem früheren Leben, wer weiß @30, vielleicht gar nicht hier auf der Erde: begegnet. Erinnerungsspur@-"@, halten uns
zusammen, bis-über den Tod hinaus? Nur
hat heute in a@ier@, Freiheit, niemand den imut ihnen zu folgen; wir@@ leben
ziemlich schi cksalslos und müssen deshalb unser Muster noch unziihligemale
wiederholen An eine endgültige Vernichtung g be ich nicht; in der Natur kann
"Intercontinental.$'
Ich wartete an einem Tisch. Da legte mir
jemand seine Hände um meine Augen, so wie wir es als Kinder taten, rat mal: wer
steht da hinter dir. Dein Schatten? Nein, ich bin es. Die weiche Hand da, weich, die flop um meine
Augen, so ist man gerne blind, die Aupenwelt verschwindet rascht wo aber sind
wir, dieser Geruch nach Lavendel, Läväntica', fiel mir ein, und es war ein
froher Schreck, ich wupte ja sofort, wer es war. Ioana!
Und plötzlich hatte ich Angst, mich umzuwenden, als stehe da mein
vergangenes Leben und ich müpte ihm nun in die Augen sehn, die alt
gewordenen? Wer da,' sagte ich fest, um
zu Überspielen. Und sah sie vor mir,'
zwei Spiegel, sicher, und es konnte nur Enttäuschung sein. Wir zitterten ein wenig, sahen da forschend
hinein. Und lagen uns in den Armen, so
konnten wir uns gut voreinander verstecken.
Wie alt sie wohl jetzt ist, dachte ich,' so 44. Rechnete nach. Und freilich, sie sah eigentlich noch "
aus, frisch und als Fernsehfrau auch, ja, eher zu sehr aufgemacht. Das störte mich. Es war fast Mitternacht. Lap dich in deinem Gespräch nicht stören,'
sagte sie, lachte und sah mich verstohlen von der Seite an. Die Emotion war zu heftig, ich entziehe mich
seit einiger Zeit dem Herzklopfen. Hab
ich Angst, mich neu zu verlieben. Keine
Angst, Alter. Sie ist zu aufgedonnert,
zu geschminkt, denke ich. Mein Gott,
jetzt liegen Welten zwischen uns. Jann
fällt mir ein, in ihrer Natürlichkeit.
Komisch, hier sind die Menschen doch viel natürlicher, und die Frauen
sabotieren durch ihre Aufmachung genau das,.. was sie sind. Wie war das denn früher? Da war ichs gewohnt. Doch vielleicht
2"
ists
auch etwas anders, hinter ihrem Make up ist das Gesicht allzu vertraut, intim,
wie eine kleinere Schwester denke ich.
Kein Funke springt jetzt, überspringt die vielen Jahre.
Ioana ist schön und sie ist elegant gekleidet, fast
männlich, ein Tal@eur, grauer, gestreifter Stoff, woher hat sie hier nur den
Schneider her? Ich trinke schnell ein
Glas Wein aus, zwinge mich, etwas mehr Ausstrahlung zu entwickeln, auf sie
einzugehn. Frage sie nach ihren
Erlebnissen. während der Revolution. Sie
ist natürlich, kameradschaftlich und warm wie immer. Ja, sagt sie, mich hat das alles sehr
aufgewühlt. Vor allem verändert. Es war ein merkwürdig doppelgleisiges
Bewußtsein im Dezember. Das bisher
Gewohnte lief neben einem neuen Zustand her, ähnlich wie bei einem Todesfall,
nur war es ein freudiges Erschrecken, das nicht abreisen wollte. Die Toten, die kann ich nicht mehr vergessen. Und ich habe in jenen Nächten
vielgeträumt. Einer dieser Träume ist
fast prophetisch. Ich war mit drei
Freunden, einer hieß Dinescu, du kennst ihn ja, auf einem Lastwagen zu einem
"Ereignis" unterwegs. Doch
bevor wir ankamen, begann der Wagen rückwärts zu fahren, schneller und
schneller, ich sah, wie er sich hob, eine schiefe Ebne bildete, und wir mußten
uns an den Seitenplanken festhalten- um nicht herunterzufallen. Doch sie fielen alle herunter. Und schließlich stand ich allein da. Die andern waren vom eignen Wagen überfahren
worden.
Gro@e
Tränen rannen ihr über die Wangen. @d w@r klammern
ew @,e@ @@ @ Aber "es gibt
uns
i L-h an die Revolutiin",' gte sie I%idsne.
da
einen Augenblick im Dezember, den kann, ich nicht mehr ,v@ssen,kann mi@ von den
Erinnerungen nicht mehr befreien, es
gab-nun keine Trennung mehr, weil es kein Mißtrauen mehr gab, die Wand zwischen
uns fiel. Er, Ich, Du jener Tage - sie
sind auch jetzt in mir vor lauter,-- Stimmengewirr nicht zu unterscheiden, ein
Wirbel, ein Sog war da, schon an jenem Donnerstag, den 21. Dezember, habe ich diese-sc-höne Ver-Mengung
.gefühlt.
IOANA
hatte in ihrer kleinen Wohnung groß gekocht.
Und wir hatten miteinander geschlafen wie früher. Ich hatte Angst vor Aids, hier schützt sich
keiner und es wird wild durcheinandergefickt.
Doch die Angst half mir nichts, verging: für einen Augenblick vergaß ich
alles, denn nicht nur loana, viele Frauen hier haben eine raffinierte
Sinnlichkeit und Naiv @ ät,der man sich nicht entziehen kann, du gehst aufs
Ganze, nur dieser Augenblick zählt, sonst nichts, läßt ihn, der nie mehr wieder
kommt, nicht ungenutzt vergehen""±eil
Es
ging alles sehr schnell, abrupt, ohne vorbereitenden Übergang. Sie umarmte mich
spontan und sagte: Ich mag dich.
Dann wehrte sie aber angstvoll ab, sagte,
sie wolle nicht, daß die Dämme brechen, um
nicht leiden zu müssen.
Die
Spannung sank auf Null, ich ließ sie aus meinen Armen auf den Boden gleiten,
knieend, als könnte sie nicht hochkommen, so lag sie da.
Ich fragte: Soll ich jetzt gehen?
Nein. Willst du nicht hier bleiben?
Doch ich war eigentlich ja schon längst
gegangen. Ich hatte meine Jacke in der Hand gehabt.
Warte, sagte sie.
Ich
weiß nur, daß sie ins Bad ging, und nach einer Weile im Unterkleid wieder herauskam. Komm!
Aber ich muß mich doch ausziehen.
Tu das!
Wir
lagen aneinander; doch ich durfte nicht
nackt sein... Sie hatte Angst vor der glatten, nackten Haut.
Ich küsste sie plötzlich wild über das
ganze Gesicht, die Brust; ihr Geschmack und Geruch waren mir nicht
fremd... im Nacken Kühle, vor mir
Hitze... ein Dämmerraum, kleine Fenster... ein seltsam altertümliches Bett mit
Baldachin, darin hatten wir gelegen? Sie schmeckte nach Lavendel, wenn ich sie
küßte... ihre Zunge ist noch in meinem Mund. Nun stand sie an der Treppe...
und riet mir, weiter zu träumen; laß es
nicht abreißen, sagte sie besorgt, sonst sterben wir beide sofort: wehe,
wenn du diesen Satz beendest, hören auch
wir auf zu sein... Doch während ihres Orgasmus´, den sie zurückgehalten hatte,
als wäre sie ein Mann, sah ich, wie sich ihr schönes Gesicht völlig verzerrte,
die Nase länger und länger wurde und sich
die Distanz zwischen Augen und Augenbrauen vergrößerte, das fliehende
Kinn schien sich zu dehnen, ihre Bewegungen wurden heftiger, härter, und sie
begann mich mit ihren langen Fingernägeln an Brust und Hals zu kratzen,
umfaßte mit beiden Händen meinen Hals und drückte zu. Ich befreite mich aus
ihrer Umklammerung, dachte noch an
nichts Böses, schob diese merkwürdige Veränderung ihres Gesichtes auf meinen
eigenen ekstatischen Zustand, meine Augen geschlossen, nur blinzelnd, der
Blick abgeschottet, verschleiert, wie
bei jedem Akt ein Versinken, erhöhtes Leben hineingesteigert in den Tod.
Ornella war eine Weile, die unterbrochen war: ganz still; dann bewegte sie ihren Kopf blitzschnell abwärts
bis zu meinem Geschlecht; ihre saugenden Bewegungen aber waren schmerzhaft
und kaum zu ertragen, sie reizte und biß heftig zu, daß ich aufschrie und nach
ihrem Kopf faßte, ich versuchte ihn
hochzuziehen, was mißlang: ein ziemliches Geheul muß ich von mir gegeben
haben, bis sie mich endlich losließ...
sie in halber Seitenlage, ein
Bein unter dem Bauch angezogenen, daß ich ihr großes schwarzes Gewächs und den
rosigen Spalt von hinten sehen konnte; sie rief mich mit diesem mir wohlbekannten
Flüstern zu sich; ich wußte sofort, wie sie es haben wollte, und ich legte
meinen Kopf in ihre geöffneten Schenkel, als wäre ich eben wieder geboren worden...
...
zwei Körper nebeneinander, weißt du noch... schwer, atmend, nach der unendlich
weichen Verschmelzung der Zellen, der Atome liegen sie da getrennt, große
Körper fremd, wieder hier. Und Stimmen, als hörte ich sie, weiß die große
Sphärenkugel, die Ungeborenen, die uns zum Leben drängen; ich dachte so dumm
weise, ich sei darüber hinaus. Dein Leib in Seitenlage gekrümmt neben mir, und
wie ein Schrei, eben aus dem, was geschehen ist, die Erinnerung, alles so langsam,
als wäre die Seele fast ohne Berührung gleitend eingedrungen in den Leib, in
deine, in meine Wunde, die du an dir trägst, und irgendwo auch dein großes
weißes Gestirn; doch die Nacht ist nicht allein, die Härte ist immer da, das
was ist, und ich höre dein verschrecktes Flüstern: Paß bitte auf, du wirst mir
einen Sohn, eine Tochter machen, schütz mich. Es rückt ein, drückt herein, und
ich höre jenen offiziellen Streit, als gehöre er Niemandem, ein Rahmen,
draußen, und gehört doch zu uns. Leere im Kopf jetzt, der schwarze Hintergrund,
nicht weiß, nein. Was stand da, es steht hier, das weiße Laken sehe ich, dich,
alles immer unterbrochen, dein Lachen, nebeneinander, nachher, lichtjahrweit
wie immer, und suchten sie zu überwinden, redend, ineinanderfallend, ein Versuch,
stundenlang auf dem weißen Linnen, du seist Leinenspezialistin, sagtest du,
Lachen, umgrenzt von unserer Erschöpfung,
Dann
der Wunsch nach Vögeln. Ioana legte sich nackt aufs Bett, in halber Seitenlage, ein Bein unter dem Bauch angezogenen, daß ich
ihr großes schwarzes Gewächs und den rosigen Spalt von hinten sehen konnte;
sie rief mich mit diesem mir wohlbekannten Flüstern zu sich; ich wußte sofort,
wie sie es haben wollte, und ich legte meinen Kopf in ihre geöffneten Schenkel,
als wäre ich eben wieder geboren worden...Zwei Körper nebeneinander, weiß, du
noch...schwer, atmend, nach der unendlichen weichen Verschmelzung der Zellen,
der Atome liegen sie da getrennt, große Körper fremd, wieder hier. Und Stimmen,
als hörte ich sie, weiß die große Sphärenkugel, die Ungeborenen, die uns zum
Leben drängen; ich dachte so dumm weise, ich sei darüber hinaus. Dein Leib in
Seitenlage gekrümmt neben mir, und wie ein Schrei, eben aus dem, was geschehen
ist, die Erinnerung, alles so langsam, als wäre die Seele fast ohne Berührung
gleitend eingedrungen in den Leib, in deine, in meine Wunde, die du an dir
trägst, und irgendwo auch dein großes weißes Gestirn; doch die Nacht ist nicht
allein, die Härte ist immer da, das was ist, und ich höre dein verschrecktes
Flüstern, sorg dich um mich, du wirst mir eine Tochter machen, schütz mich. Es
rückt ein, drückt herein, und ich höre jenen offiziellen Streit, als gehöre er
Niemandem, ein Rahmen, draußen, und gehört doch zu uns. Leere im Kopf jetzt,
der schwarze Hintergrund, nicht weiß, nein. Was stand da, es steht hier, das
weiße Laken sehe ich, dich, alles immer unterbrochen, dein Lachen,
nebeneinander, nachher, lichtjahrweit wie immer, und suchten sie zu überwinden,
redend ineinanderfallend, ein Versuch, stundenlang auf dem weißen Linnen, du
seist Leinenspezialistin, sagtest du, Lachen, umgrenzt von unserer Erschöpfung,
und erzähltest von einem, der während des Brandes der Bibliothek von Alexandria
sein zu reiches Bettlaken verkauft hatte, da er nicht schlafen konnte bei dem
Gedanken, daß andere keines haben und hungern, von den Mönchen im orthodoxen Kloster hattest du die Geschichte erfahren, und so in
der Seitenlage, an meiner nackten Haut, erzähltest du von diesem Erzähler,
Sanct Johannes, was ich beschreiben kann, und vom Prinzip der Vision, das
allein gilt, ein genaues inneres Bild, da wir von einem geträumt werden, wir
uns darin träumen, du mich, ich dich, und hatte ich dich nicht so kennengelernt,
mich zögernd dir in der Cafetaria genähert und unvermittelt und heftig gesagt:
Du bist meine Projektion. So hatte alles angefangen. Der alte Serapion
aber, der aus Alexandria, während die Bibliothek brannte, sitzt immer
noch am Weg, der nirgendhin führt, und gibt seinen Mantel einem Zerlumpten,
dann sein Kleid einem Frierenden, der erbärmlich mit den Zähnen klappert, nackt
sitzt er da und liest, vielleicht genau diesen Spruch aus Korinther 13, den du
an die weiße Wand pinnst, dann liest er dies: "Geh hin und verkaufe
alles," - wischt das, was sonst nicht sein kann, aus dem Buch, das ihn so
beraubte, sich durch ihn selbst vernichtet, das Lesen, Tun, was es wollte,
verkaufte es, stand mit leeren Händen da. Und nackt. Es gibt diese Schrift weiß
auf weiß und schwarz auf weiß.
Vielleicht
war es gar nicht Ioana, die wie eine
Vergangenheit immer still und sanft neben ihm gewesen war, sondern es war
Maria gewesen, seine erste Frau, die
seit Jahrzehnten so fern war, die aber wie eine leidvolle Vergangenheit
immer wiederkehrte. Als wäre sie die Vergangenheit, als wäre es sein Land gewesen,
das nicht vergehen wollte. Und jetzt, seltsamerweise, erst schien sie wirklich
da, sonst immer nur sanft und leis, wie Selbstverständlichkeiten, so nebenbei
war Maria auch immer irgendwie dabei gewesen;
er sah ihr Gesicht vor sich, er hatte immer alles abgeschoben; sie war
auf ihn zugekommen, er hatte sich immer abgewandt. Jetzt erst, da er sie tot
wußte, war er plötzlich voller Anteilnahme, als ginge sie ihn jetzt wirklich etwas
an. Würde sie jetzt immer wiederkehren, wie das Vergangene, das nicht vergehen
will, mahnend; und auch weil er sie durch Nichtachtung, auch sie durch ein
falsches Bild, das er mitgenommen hatte, in die Welt gestellt hatte, bis das
gute Gedächtnis wieder hergestellt war. Zu leicht war es gewesen, ihre geschmacklose Art sich
zu kleiden, provozierend, wie ein Clown, eine Maske, dessen was sie gewesen
war, das Auffällige, als müßte sie sich
in Erinnerung rufen, auch so, er hatte es sich leicht gemacht, geringschätzig
von ihr zu denken, um zu vergessen; er
hätte jetzt gerne sanft den Arm um sie
gelegt, um ihr zu zeigen, daß er sie achtete, von ihrer tiefen Ernsthaftigkeit wußte. Ließ sich überhaupt noch etwas wiedergutmachen? Jetzt? Wann? Als habe er nun
mit Maria auch das alte Land, jede Vergangenheit für immer verloren, sei
endgültig nun schattenlos. Und er dachte, es müßte doch korrigierbar sein,
nichts, Nichts kann vergehen, korrigierbar an dieser Grenze unserer Vorstellung,
die sich jenseits des Bekannten weiß, spät noch, auch das was geschehen
ist, auch die Vergangenheit veränderbar macht, die hat nur im Kopf ein
Ende, nicht aber in der Wirklichkeit, die auch den Tod umfaßt, die größere Hoffnung
...
Am
nächsten Morgen nahm ich mir wieder eine
Taxe und fuhr hinaus ins Neubauviertel zu meinem ehemaligen „Block“, der damals
gekauften armen Neubauwohnung... ein anderes Leben... war es je meines gewesen?
Wer wear jener, der hier unter meinem Namen gelebt hatte... und doch spürte ich
eine starke Erregung hochsteigen. Und ich wagte nicht hineinzugehen, das alte
Elend neu zu erleben, wer weiß, wer jetzt hier wohnte, in dr alten Wohnung im
Vitanviertel, das Bebe, Marias Stiefmutter von ihrer Postrente gekauft hatte,
war an einen Major verlauft worden.
Ich stand lange vor diesem Block, wo Mac
aufgewachsen war... träumte mit offenen Augen... Meien erste Rückkehr danmals
vor 20 Jahren, um den Dreijährigen mit seiner Mutter, meiner Ex rauszuholen.
man
verkauft gerade Holz, ein armer Winter s6eht
bevor, Holz auf Holzkarten, Lebensmittel auf Lebensmittelkarten sind zu
lösen; und steht hoch oben auf dem Wagen, steht da, breitbeinig, als wäre er
ein Postillon, als wärs Jahrhunderte früher und doch jetzt, gerade eben, der
Augenblick steht, kehrt sich um im Hirn: ein anderes Leben, ich rieche den
Holzgeruch, stehe im Morast, es nieselt, es ist November, zu Hause im November,
und es war alles grau und trist, aber es war ja zu Hause, ich fühlte den Boden,
den klebrigen Morast unter den Schuhen, als knetete ich die Erde, Nässe drang
ein, die Elemente, wie nah sie waren, sie lehnten uns nicht ab, sie umgaben
uns, Frost rot an der Nase, tropfte auf den Mund, rann, der Eiswind zerrte an
der Wange, Rauschen von Wind in den Tannen.
Ach weißt du noch, ach@. Der
Zählt' ja noch immer, zählt die Stämme, Holzklötze, schwer zum Spalten, Sägegeräusch,
Sägemaschine.
Scheiden. Scheidenlassen. Wir gingen die Treppen zum Gericht hoch. Er habe gelernt- die Treppen zum Gericht
hochzugehen in der Nachkriegszeit, sa-te er, lachte und wollte zynisch
sein. Und er zählee seine Krawatten und
sagte dann, er habe noch immer nicht genug Krawatten, denn damit könne man sich
in aller Schönheit erhängen in der Nachkriegszeit. Und er habe gelernt auf Sand zu schreiben in
der Nachkriegszeit, aber es gäbe dafür einen einzigen Strand an der Grenze, des
alten Ovids Exilstrand, den Schwarzen der Tristia. Schwarz zu schreiben unter-Ängsten, st&
könnten dich ertappen, alles finden, und ab in den Keller. Schreiben, um nichts zu vergessen was nicht gelebt werden kon
Was
machst du Mac, stellst du mir ein ein oder spielst du.?
Li,Li. Mac träumt von der Milchstraße. Der blaue Koffer platzt sch.-'
Märchen-
vor
lauter Spielzeug und vorf-EFüchern.
-Ich
fahre. Soll ich auch dir den Koffer
packen?
Ja.
gut. Aber laß Ihich den Koffer packen.
Er
mühf, sich ab, alles im Koffer unterzubringen""
Wieviel
Uhr ist es?
Die
großen grünen Augen sehen mich reinen Augenblick lang%" scharf und
feindselig @Ich bleibe wie angewurzelt stehen. rlege mich dann auf das weiße
Linnen in diesem kleinen Zimmer?fs-og als läge ich oben, oben auf der weißen
Decke, oben, von wo man die Alpen sehen kann und den See Den See; ein blaues
Auge. So sind wir davongekommen, so, als
seien wir beschützt worden. Der Spiggel
geht über in Wind, Gekräusel, als sei- es irgendein unbekanntes Engelhaar Und
die Gedanken sind nicht mehr so sehr Fragmente, zerschnittene Mittler nur,
kurze und plötzliche Erschütterungen, die zünden und dich beruhigen und
gleichzeitig erschrecken.
Die--Eiszapfen
an dem Dach draußen schmelzen; der
Schnee verschwindet nach dem Morgendämmern.
Weit, weit ein Lichtstreif über dem
Frischwind Da sind wir. Nein, wir sind nicht enge-
kommen, noch nicht"-un-d wir werden nie ankommen. Aber die A@ng" die Ahnung, daß wir anko
mmen -n.7dann, einmal, wenn wir ganz aufgelöst sein werden, der Körper
verschwindet:-Dann.
Nein,
ich nehme die Eicheln nicht mehr mit mir.fC--asse sie liegen!
Mac
und die Begeisterung. Warum, mein
Liebsr, bist du gleich so aufgeregt, scy über alle Maßen aufgeregt; an den
Nerven zerrt dir ei seltsamer Wind, ich hörs wie
"Verfol.-It
dich die Securitate?"
Ja.
"Haben
sie @ne Post, ohne deine Zustimmuno geöffnet?"
Langsam
begreife ich, woher dieser andauernde Brechreiz kommt, ich mich oft übergeben
muß.
"Wolltest
auch du dir das Leben nehmen?"
Die
Zeit bleibt während einiger Sekunden stehen.
Pause. Und sie antwortet sehr
heftig, und doch 'ohne jede Anteilnahme;
a
dreht das Zündholz auf der Fingerspitze.
Schweigt.
45
Die
Körper decken sich um 6 auf. In
lauwarmem Wasser schwimmen bunte Seifen un4@iaschlappen. Die mit dem operierten Uterus gehen einige
i@linuten lang durchs Zimmer. Sie fallen
dann unter den Schreien der blonden dicken Schwester zu Boden.
"Wolltest
auch du dir das Leben nehmen?"
"Ja!
Jeden
Tao werden Gebärmuttern aufgeschnitten, Gebärmuttern,
n
in
denen sich keine Kinder entwickeln. -"Hast auch du eine Kerze
mitgebracht." Großes Erstaunen.
Eine
vierzi, Jahre alte Kerze.
Stelian,
der Vater wartet draußen in der Kälte.
Das Gesicht ist
von
der Kälte aufgerissen. Dann rasiert er
sich sehr schnell. Die
Haut
ist starr, an einigen Stellen beainnt sie zu bluten.
t2
"Du
bist eine Heidin, du bist eine Tatarin!'t
Das
Kreuz ist verbogen.
M.
schleppt einige Tüten mit Esswaren hinab.
Dort wartet
Er
setzt sich ans Steuer*
im
Auto.-
"Es ist nicht ausgeschlossen".
Maria
verwechselt die Friedhöfe. Zündet die
Kerzen an. Kann sie nicht
festhalten. Kleine Wachstropfen fallen
auf den Deckel des kleinen runden Glases, das Spiritus enthält. (Vielleicht
wird sich einer erkälten.) "Wie gut du zu massieren verstehst! Gut, gut.
Die nackte Brust. Ein paar
Härchen. « "Ich habe dich doch jung zurücko.elassen,ff schreit sie,
"jung warst du doch, damals, damals, als wir uns trennten. Ja.
Jung. So jung wie meine Auoen,
ich hab dich doch jung dort zurückgelassen!" Und sie schiittet Alkohol auf
die nackte Brust und massiert und massiert.
"Hier ist mein Schlafplatz, hier, hier. Und hier mein Mund so brennt die Sonne drauf,
und hier ist mein Platz, und hier die Haut,über die streiche ich jetzt; so
lange sie da ist.@ Und eine Kerze brennt ununterbrochen brennt sie.
"So,
Sie sind also wieder nach Hause zurückgekehrt.
Hat Sie wohl der Wintersturm etwas verschreckt?!yt
M. stellt vorsichtig und mit zitternden
Händen, als hielte sie ein lebendiges Wesen, das es gar nicht gibt, in der
Hand, die beiden dicken
Kerzen
auf den Tisch. chaut nur
erüber. Er flucht ja gar nicht, er schickt-Sie nur
ins Wirtshaus in[-Sodawasser kaufen die Kleine hat aber gar keine Schuhe an.
chuhen ist es noch Früh jahr. Es
stür@-ut draußen. Dieses Früh ahr i
ist
18 Jahre alt."@Und niemand spricht.
Der Onkel sagt,morgen werden
wir
zum Fotograf en -gehn, der Fotograf ist (,A in guter Bekannter von
t &eri
Trauer.
Warum Trauer. Heiße Wachstropen. fängt
die Tropfen mit
der
andern Kerze auf. Ein Spiel. Kleines Feue iel.
@p
astauto
ist voller Russen Sta d
es stürmt und heult"
-Sa Der Russe ist, fröhlich, er 1 f den Knien. Irgendwo
qu e -Ziehharmo a. Mein Vetter von der Rahovei spielt
dau zi a
und@ist doch kein Russe,. 1 Ag macht keine
Unt ie(
zu wissen, was von jetzt an geschehen würde. Sie verließ Wütend den
c-haf
zog nervös an seiner Zigarette. Sein
Gesicht(-wie aus
Flu en.
Das
Flugzeu@-, verspätete wecen Nebel. Die
Umgebung vollW-Nebel.
Die Sonne kam nicht durch. Bukarest schien sich aus Man-el an Sicht
ganz
klein zusammenzuziehen, M. dachte, die ganze Staät drängt sich jetzt in
mir. Die Luft war so dicht, daß sie
meinte zu ersticken; die Bäume führten einen irrsinnigen Tanz um sie aus$ oder
sie um die BäUme? Sie konnte wenig
unterscheiden, auch sich selbst von sich nicht mehr. Sie gin- wie im Schlaf. Sie gino immer geradeaus, sie beoann langsam
tiefer zu atmen; atmete sie erleichtert auf?
Sie glitt durch die Straßen, sie schwebte ein wenig. Sie lächelte melancholisch,
als
flöge nun sie über die Stadt. Sie glitt
leicht dahin. Sie bege-nete
c2
Laurentiu,
dessen kleine Ge.-,t-,qlt- --i-
breiten
Stirne, fixierte sie,
mit
der und
verschwand.
Dann sah sie @ der zur Reise-ruppe
gehörte. Er war guter Laune.
t'
gemeinsam
mit ihm und Nichita wieder Sie sachte, es wäre schön, wenn
via
5 @ 'e
zurückkäme.
ik7-versicherte es ihr, und sah ihr dabei in die Augen. Und in Gedanken verfol-te er sie dann, das
spürte sie. Sie wünschte ihm-Gute Reise,
bestieg den Bus u@d fuhr in die Klinik, um ihre Schicht anzutreten. Das Schwindelgefühl verschwand. Doch die Übelkeit und der Brechreiz blieben.
Kurze
Zeit danach -war ihr klar, daß sie ein Kind erwartete. Sie telegrafierte l.- nach Deutschland. Doch die Antwort blieb lange 'aus. Ihr Blut pulste danach heftiger, raubte ihr
den Schlaf. Sie liebte weiter die
Kinder; und sie schenkte sich selbst Blumen.
Am
24, Dezember kehrten die beiden von der Deutschlandreise zurück nach Bukarest.
-r hatte um Aufenthaltsverlängerung angesucht* Eine grausame Uberraschung.
Nichita
hatte einen Brief mitgebracht. Darin
stand, daß
ihr
habe
die Nachricht seine Nervosität
er sei in Deutschland
tief
un,-,lücklich, ein seelisches Unglück habe ihn gepackt, er fühle sich
schrecklich schlecht. Und Donnerstag
Nacht habe er kein Auge zugetan. möchte ja glücklich doch er glaube, ein
Verlorner zu sein, und er habe kein Recht auch M. in sein Un.-.lück
hineinzureißen. Er habe kein Recht auf
ein schönes normales Leben. Er würde
sicher nicht lange leben, schrieb er, und er möchte nicht auch noch ein armes
Kind unglücklich machen. Außerdem sei er
nicht gesund, und er könne sich nicht gestatten 1 Leben zu geben, wenn er
keines habe. Er wisse, daß er gegen sich
selbst lebe, gegen seine eignen Gefühle.
Baf3 u @e @d daß es mit ihm ein böses Ende nehmen werde. Erhalte wenigstens du dich, schrieb er, ich
bitte dich sehr, sehrU-@@
wird
32 Jahre alt. Am zweiten Weihn@,-htstao
wird sie 32.
0
Sie
sucht einen Aufentheltsort. Jetzt ist
sie vielleicht in der Küche.
0
Woher
kommst du, ag welches ist deine Herku.nft?
Sie
ist tätig. Aber sie fühlt sich so, als
wäre sie eine offne Wunde. Kann man in
einem Haus tätig sein, in dem man als offne Wunde herumläuft? Freilich diese Wunde erleichtert ihr die
Meditationsübungen mit der Herrgottsmutter.
Die meint sie in sich singen zu hören.
Und sie schreibt. Und mit ihr
macht sie sich auf den Weg und singt, und
weiß hmal gar nicht,wer wer ist.
aber
spottet: "Du bist unfähig, dich allein auf den Weg zu
machen.
Du brauchst eine Krücke," sagt e$
mit unangenehm stechendem
Blick.
"Krücke?!"
Die
ser täuscht sich.
Es
ist einige Tag e nach Weihnachten. Er
ist natürlich nicht da.
Er
ist längst jenseits der Grenze. Er ist
in Frankfurt. Er schreibt Briefe. Er wird nicht wiederkommen.
Das
Haus aber atmet noch. Sehnsucht sollst
du haben ... Sehnsucht sollst du haben, nach Algen z.B., Sehnsucht sollst du
haben, aber kein Mensch sein müssen; das wäre gut.
Das
Kind aber ist da, und die Sehnsucht vorbei.
Was außerhalb der Welt war, ist nun da.
Sein
Leben verbindet- sich a« mit dem Leben dieser Umgebung. Dort liegt er, eingemu-mmt. Der Junge weint. Er- weint bitterlich. Nein, er darf dich nicht aus der Fassung
bringen. Aber du mußt einsehen:Du, ja,
du hast ihn zum Leben gezwungen, hast dein Leben weiter ausgedehnt durch ihn,
hast eine Lebensverlängerung erzwungen.
ansc
"Dein
Sohn lehnt die Mutterbrust ab, er nimmt sie nicht, er wendet sich ab,"
hatte sie an @. geschrieben. Und der
hatte prompt geantwortet: "Er ist wie ich."
Weißt
du, was das heißt, seinen Beruf zu verlieren?
Du weißt es nicht. a bewegt sich unter den Leuten wie ein
Schatten. Sie schämt sich ihrer Haut. Sie schämt sich ihrer Träume. Um stie ist ein weißgrauer Nebel. Ein Nebel wie in London, hatte Bl. früher
gesagt; London verschluckt Bukarest.
Vielleicht
wird a sterben wie eine Kröte, die dieses rauhe Klima nicht aushält.
Sie
darf nicht schreiben, sie muß in die Klinik gehen; sie muß Geld verdienen. Sie durf te nicht studieren, sie mußte Geld
verdienen. So'wollte es ihr Vater. So wollte es ihre Stiefmutter. Sie wollte es nie. Nie.
Und sie wußte es: Mit Vierzig wirst du dann den schmutzigen Wäscheballen
in der Klinik die Treppe hinauf- und hinabschleppen, die Beine angeschwollen,
schmerzende Sohlen; schwarze Punkte und weiße Spitzenmuster vor den müden
Augen. '
Es
wird dunkel. Der Tag ist vorbei. Ihr scheint es, als wäre der Kampf mit dem
Weiß jeden Abend verloren worden. Sie
ist noch jung, doch es hilf t ihr gar nichts; in ihr ist dieses Gef ühl des
Ekels, es ist wie ein Würgen vor dem Erbrechen, blauviolette Übelkeit steigt in
ihr hoch. Wenn sie von der Klinik kommt,
fühlt sie den Regen wie eine Erlösung.
Und zu Hause erwartet sie ein kleiner gieriger Mund.
Sie
ist schwach,- sie ist gar nicht ver'nünftig.
Sie liebt die Musik, die Bücher, sie sind die Pause, sie sind die Ruhe.
Ihr
Auge ist samtig geschlossen. Sie
erinnert sich an den Sommer, den Herbst.
Sie wollten kein Ende nehmen. Sie
erinnert sich ang.-s Abwesenheit.
Ruhelos und zugleich totenähnlich war ihr Schlaf . ' Wer
Heute
hatte M. großes Glück. Das Glück war
schwarz. Der@-. alte Scho steinfeger,
der mit der Kugel, dem Eimer und der Ziege 1 hatte das Gl, gebracht. Rauch und Winter. Rauch und Winter. Die einzige Liebkosi dieses Winters, der
Rauch. Die Wärme @,des Rauches, der aus
dem gt @er aus dem Schornstein kam.
Ringde;@ Rauch- und Himmelsringe.
Der OfE auf dem der Rauch Schlittsc@ fährt. M. freut sichund tränt vom Rauc M. hat zwei
Reihen Ko@ien um den Hals, Ohrringe und manikürte Finge
nägel,
die Fin-@r,@Pitzen aber stechen, zucken nervös, als spüre s hier ihre@i'en
brennen. M. hat eine warme, weibliche
Ausstrahlun
sie
zieht eine strahlende Linie um ihre Silhouette, wer ihr mit d nd nahekommt,
spürt
M.s
Sohn atmet den Rauch ein. Der Rauch tut
gut, er heilt d( Husten. Auch die KÜche
ist voller Rauch. Im Plastikkorb kein
einzige Apfel. Alles ist nach den
Feiertagen aufgegessen worden.
Alles. Leer Töpfe, schön ordentlich
aufgereiht, leer. M. kleidet sich
an. M. mein ein Einkaufsnetz anzuziehen. Einkaufsnetze aus Kunststoff in alle Farben,
schwarze, weiße, rote, gelbe, blaue aus Vinillin, gelbe au@ Garn mit einem
roten Handgriff. Netze aus Baumwolle mit
schwarzen Spitzen und rosa Ohrringen, Netze verschieden, je nach Saison, je
nact Irageszeit und Stimmung, morgens, mitta-s und nachts, Netze. Einkaufsnetze aus Eisen und Stahlseil, die
die Nerven systematisch, ordentlich
und
mit großer Ausdauer auseinanderreißen,
man hört es, langsam, langsam
und
leise das sä@ Geräusch, bis hin
dann zum Sausen und 73chrei.
Die
Wirbelsäule drückt sich langsam
aber sicher aus den Wirbeln, er
Rücken
scheint auseinanderzubrechen. Oh, es ist
nichts. Die Zähne sind fest
zusammengebissen. Gottseidank ist der
Rauch da. Der ist-weich. Der Rauch läßt alles verschwimmen und - alle
Bögen, Ecken und Kanten halten bei einem bestimmten Zeichen an. Der riesige Gong schlägt, trifft ganz genau
auf M.s Hirn, und sie -fällt von oben nach unten aus dem Gedanken..Fällt-aus
dem Gedanken zu Boden" genau der Länge nach, genau
neben
das Bett, in dem sie allein lag. Alle
Dinge im Zimmer sehen sie ruhig und fast lieb an, und alle Dinge fordern sie
auf zu gehn, zum ewigen Schlangestehen, auf die Märkte, in die Läden, die leer
sind. Sie müßte schwarz kaufen, sie
rechnet. Ihr Lohn scheint immer mehr
zurückzugehn, gibt nichts mehr raus, nur M. muß immer wieder herausgeben, Seltsam. "M. wo feierst du Sylvester". "M. mit wem feierst du? M., was hast du dir noch so gekauft?"
Und M. antwortet, sie antwortet immer noch mit einem Glanz in den Auoen. Sie sagt, dort und dort. Und ist umgeben von einer großen Verlassenheit. M. ist vom Markt zurückgekehrt, hat eine
Tragtasche aus Papier in der Hand, @ Petersilie, Möhren und Äpfel gekauft. Die Tragtasche ist eingerissen, sie hält sie
krampfhaft in den Armen, drückt sie an die Brust. Am andern Arm hängt eine andere Tragtasche,
die Handtasche und der Schirm. Das
Jacket öffnet sich. Sie ist nicht müde,
aber ein leichtes Schwindelgefühl erfasst sie.
Sie steigt in den Bus. Der
schüttelt sie. Sie stei-t aus. Sie läuft dem Haus, ihrer Insel zu. Sie und der neugeborne Sohn geben ihr dieses
Gefühl. Sie glaubt es: der große
Sohn. M., was heißt das? Und r. lebt weiter irgendwo in der Ferne,
jenseits der Grenze. Die Grenze öffnet
sich nicht. Und der Frost öffnet
nicht. Er zieht alles zusammen. M. glaubt manchmal, ihr gefriere das Blut in
den Adern. Der Frost öffnet die Grenze
nie. Der Frost läßt sie aufblühn und
eist sie ein mit Eisblumen.
"Komm, reden wir miteinander. Ich hab Oeinen Brief vor mir liegen. Und Oich halte ich- an der Hand. Vielleicht haben wir wirklich diese Sicherheit
der Liebe trotz aller Entfernungen,
dem Bösen, den Ausbrüchen die wir uns angetan haben. Du bist der reinste Mensch, den ich kenne,
der unwirklichste auf dieser Erde. Du
bist mein Traum vom Anfang und vom Ende.
Liebkose den Kleinen. Ich bin alt
geworden@
Vielleicht bin ich reif geworden. Ich
habe heute sehr geweint, nach dem Anruf. Du
hast
solch eine reine und gute Stimme. Ich
habe nachher diese schreckliche Einsamkeit gefühlt, die Leere und diese
verfluchte Grenze. Am liebsten wurde ich
zum Flughafen rennen, in drei Stunden wäre ich beu@uch. Ach, wenn das möglich wäre. Manchmal denke ich an meine Familie, denke
ich, daß ich nun imstande wäre ihr zuliebe, dem Jungen zuliebe, ein ganz gewöhnlicher
Mensch zu werden, der den täglichen Rhythmus akzeptiert, doch ich weiß genau,
daß du mich dann nicht mehr achten würdest und er würde mich später auch nicht
mehr achten. Die Vorfahren in mir ziehen
mich in die eine Richtung, sie rufen nach Frieden und Anpassung, raten mir,
doch
0
alles anzunehmen, so wie es ist, ein einfa-
ches,
'ehrliches Leben zu führen, und meine Unruhe zieht mich in die andere Richtung,
der Gedanke, ja, wenn der nicht wäre, das ewige Ungenügen, als könnte das nicht
alles sein... das Unrecht, der Wahnsinn auf dieser Erde. Und dann so tun, als wäre nichts
geschehen! Da bekam ich immer Wutanfälle
zu Hause. Doch ich möchte jetzt nicht
mystifizieren. (Und vielleicht hast Du es so gemacht, wie es im Mittelalter die
Zauberinnen mit den Männern taten.) Doch ich kann es nicht glauben. Es war eine noch stärkere Kraft da. Wie gut, daß es diese Kraft gibt. Ihr beiden seid meine große Wunde, die sich
nie schließen wird. Doch alles kommt mir
jetzt vor, als wärs nur gedacht, nur vorbeigedacht ... Worte,Worte... Und ich
komme mir vor wie ein Kind, das nur stottern kann, ein Kind, das sich wundert,
das Angst hat, und dem es weh tut... und ... und... Wie out Du formüliest, wie
gut Du doch mit dem Wort umgehen kannst (was zum Teufel hat mich wieder
gepackt, diese Bewunderun'g! als würde ich mich von neuem in Dich verlieben!). 'Und wer einen zusätzlichen Verstand hat, muß
noch mehr leiden in dieser Welt!' Haben wir wohl irgendeine feste Axe, eine
Sicherheit in dieser Welt der Verfolgten und Geflüchteten, in dieser Hölle der
Unsicherheiten, der Einsamkeitsschmetzen und der Vorläufigkeit? -Ich habs bisher
nicht glauben wollen, doch jetzt nimmt mich das Unglaublichste wirklich-und
alltäglich in die Lehre, und ich be reife das credo
um und umgeivendet, daran herumgeschnitten und geklopft.
M.
aber beherrschte dieses "Spiel"
nicht. Sie spielte schlecht.
Die
Zeit war vergilbt. Eine Art Lähmun,- des
Anfangs ergriff sie. Frc
Elisabetas
Stimme hatte plötzlich eine andere Fre*quenz seit M.s KriSE
Der
Winter kam. Einzu "mit Triumph, in
geordneter Ruhe und mit grOBE
Sicherheit. ",@ias macht dein Buch"?
Das
nächste Jedr war das Jahr ihr-es
Kindes. Und wäre das nicht genu,@-, M. ,
die sich" ausplünderte, wollte mehr, viel, viel mehr. M. schrie mit Fin@rnägeln, schrieb mit
blutendem Herzen. Was würde sich au di
großen und so gefährlichen Anziehung entwickeln?
M. hatte ein helles graues Kostüm
an. Sie trug ein Armband aus alter
Silbermiinzeil. Das Haar hatte sie in
einem Knoten zusammengebunden doch ein Zopf f iel ihr noch in den Nacken. Ohrringe aus Jade in Kleeblattf orm. Sie dachte, sie bringen ihr Glück. Ihr Gesicht /-%%,arm unc voller Liebe. Eine jugendliche Aura um-ab sie, und sie
hatte Lust zum Spiel. Der Herbst hielt
sie im Haus zurück. Neben ihr lao in
einen
C>
geschlossenen
Kinderwagen "der König", den sie durch den Klarsichtkober aufmerksam
und fast erschrocken betrachtete.
Sie
wäre am liebsten ewi- hier geblieben, vorhanden nur in der GL-dankenbewe-uno
und in der Bewegung des Bleistiftes; diefe Einkäufe,
aber
dieses dauernde Anstehenmüssen nach Gemüse; es war wie ein zweites
uneigentliches Leben; und die Poesie verlor sich auf dem lieg, oder wer weiß
wo, wer weiß. Vielleicht am Ende dieser
tristen Teleorafenmasten, der Drähte, die in die begrenzte Unendlichkeit zu
ziehen schienen, und nicht mehr vibrieren konnten. Als wärs eine sta-nierende Taufe# @v toten
Blätter auf' dem Hals, der Brust, der Decke, die auf dem Neuoeborenen lag;
diese Verbindung zur Außenwelt schien davonzugleiten, diese Neugierde im Akt
des Überlebens.
Und
die Um-ebung, in der M. leb@n mußte, wurde immer unerträg'-
licher.
lias hätte ihr der Herrgott jetzt besseres bescheren können, als ein wenig
menschliche Güte jener, die sie umgaben und ein wenig sichernde Gewohnheit, das
Mö,-,liche zu erleichtern; sie hätte ei@eseei, so aufziehen können, da@ 7dann einmal warmen Hände haben würde,
eines, starken Rücken, ein leuchtendes Gesicht.
Doch dazu waren wohl Frauen von stärkerer Natur nötig, die sich überall
an den Händen zu fassen schienen, um das Leben fortzusetzen, alle waren sie
impulsiv und gut im Fleisch. Sie aber
war zerbrechlich, ihr Leib müde; sie befand sich am Rande.
"Du hast eine schwerblütiae, sehr ernste
Frau!" Nichita
einmal
D. bei einem Besäufnis.('-'lY@-r'--Sd-h@rmut müssen wir mit Gleichgültigkeit be@,eaneii hier in unserer Welt,
sa"te er. Also auch dieser
schwerfällige ernste Mensch be,7ann zu verlöschen, sein inneres Feuer zu vergessen, das ihn nicht mehr
brannte, und seine Schale zu verlassen, außer ihr zu sein.
Sich
von sich selber frei machen. Zu wissen,
daß nichts aus deinem Innern wünschenswert und zu etwas nütze ist. Es
erwärmt niemanden mehr. Dies ist deine
Selbstvernichtun-; es hat Ähnlichkeit mit einem verlöschenden Brand.
U-isterblicL,1 geworden durch einen einzigen Kaimr
schnitt. Milchfurie, die Brüste sind
ges,-'-iwoll-en: jetzt habe ich einen Nisbeutel auf dem Fleisch, es brennt wie
Feuer. ja, lieber Ulysses, wir haben einen schönen jungen (Ave 1,-aria, also!
der Dir ähnlich sieht, -nur dir. (UnglUckseliger). Da kannst du Deine Fin,ge- und Zehen
sehen. Es sind £leine. Die Haare genauso wie Du sie bei Deiner
-eburt zu tragen beliebteste ein @vüste@- schwarzer Haarschopf. So, als hätte nicht ich ihn geboren, sondern
eine an dere r-rau.
Ich
murmelte, das Murmeln setzte sich sc hmerzha£t in m@inem I-.,ii-ler"i
Eort: Als hätte nicht ich ihn geboren.
0
Mar@'n o l@@,ann, wenn Du mich so geliebt hättest, wie L--ben und Tod
zusammengenommen, wäre ich dir keine große sondern nur eine kleine und
erträgliche Last gewesen. jetzt fallen mir vor Erschö p£ung die Augen zu. Freust ]Ju dich über Deinen TU-gen? Was gedenkst Ju jetzt mit Deinem Sohn zu tun?
'perhalb
des
Die
Nacht vergeht mit unruhigen Träumen, darin nimmt Frau Holle Maria zu sich. Ich
erwache und sehe den hellen Streifen des Morgens im Oten über dem Nachbardach,
über dem Quittenbaum, höre sogar Vögel zwitschern; es muß August sein, es ist
heiß in der Steppe, das Fenster steht offen, aber was sind das für Vögel, alles
erstarrt, auch der erste Tautropfen, als ich hinaustrete, erstarrt auf meinem
Gesicht. Doch atme ich erleichtert auf, denn ich hatte geträumt, erschossen
worden zu sein, eben, doch die Kugeln kamen nicht an, alles erstarrte. Die Welt
stand still. Und ich höre jetzt den Milchwagen über das Pflaster holpern, ein
Summen.... Wir haben Angst vor den Blauen. Mircea war schon verhaftet worden,
und mich beschatten sie seit einem Jahr. Mein Schatten heißt Jordan, ein
Polizeiphilologe. Maria ist 23 Jahre alt
und ich 26. Beide haben wir das Bewußtsein Verspätete zu sein; ohne Jugend noch
jung. Jordan lädt mich zu "freundschaftlichen Treffen" ein. Wenn das
Telefon läutet, fahre ich jedesmal hoch, fährt mir der Schreck in die Glieder.
Und in einer Redaktion läutet dauernd das Telefon. Sie holen mich nicht, ich
muß freiwillig gehen. Wenn Maria es merkt, fährt sie mir nach. So, als hätte
sie Angst, ich könnte verschwinden. Spurlos. Wie andere auch. Und das wußte
sie. Sie zitterte. Ich bin dünn. Blaß.
Immer müde. Schlafe bis zu zwölf Stunden am Tag. Und Maria auch. Es heißt, dies
sei der Vitaminmangel.
Sonst nur der sinnlose Gang der Tag.
Stunden, Minuten, Sekunden. Zeitgefühl von Gefangenen. Zeit totschlagen, wir
sind ja nur Mücken. Sind wir schwach? Kann das Schuld sein?
"Ja." Und Maria wartet auf das
Fest. Fest des Lebens. Maria bekommt einen Anfall. Als hätte jemand eine wunde
Stelle berührt. Ein Fest also. Liebe. Aufmerksamkeit. Du siehst mich ja gar
nicht, daß ich da bin, schrie sie, und ihre Stimme überschlägt sich. Sie weint.
Ihr Vater erscheint besorgt im Flur, knipst das Licht an, geht nervös auf der
Veranda hin und her, man sieht seinen Schatten wie jenen Scherenschnitt durchs
Mattscheibenfenster; Maria hat einen Ausbruch gehabt, nachts um drei, der erste
Hahn hat schon in der Nachbarschaft gekräht
- erster fahler Dämmerstreifen im
Osten, Sterne beginnen zu verblassen, Kühle. Gefühle der Sinnlosigkeit würgen
Maria, sie greift sich mit beiden Händen an die Kehle, sie drückt zu: keine
Blumen ins Bett! Du hast mir wieder keine Blumen ins Bett gelegt, schreit sie
Sie braucht ein Zeugnis, sie braucht einen Beweis, daß sie gesehen wird, von
jemandem, der sie an-sieht, anerkennt. Sie meint, sonst müsse sie verschwinden,
sich auflösen. Ich stehe hilflos neben
dem Bett, schwitzend. Voller Angst, daß sei wirklich Hand an sich legt. Gelähmt
und schwach stehe ich da und flüstere: Was hast du, komm, sei ruhig, sei ruhig.
Fá bine, fá bine! Alles ist ja gut, gut,gut, gut. Was sie erstrecht in Rage bringt. Und Morgen bring ich dir Rosen. Ja, Morgen, immer nur Morgen,
am Sankt Nimmerleinstag! Und mein Blick fällt auf den Spruch über meinem Schreibtisch,
da steht: "Und hättest du der Liebe nicht, wärst du nur ein ...
und eine klingende Schelle." Schreiben, ach, schreiben. Ich
schreibe täglich, und fühle mich dann besser. Das Vibrieren im Satz, im
Intervall des dauernden Aufschubs von Leben, wiege mich in Sicherheit, hab auch
Tod und Angst abgeschafft, und die Unfähigkeit zu leben. Schuld? "Ja." Von Anfang an hatte ich "zu
Hause" Angst, das "Leben zu versäumen". "Reue"? Ja.
"Schwäche"",Liebesschwäche"",Abwesenheit".
Und
vergraben uns jetzt wie unter festgewordenem
Nebel, wo nur noch manchmal mit dem Irisstab herangerudert kam der
"Sonne, feste Welt/ mein ausgeschlafenes Herz." Sitzen am Fluß, glotzen in Nebel und fallende
Regenstreifen, reden über Ebenbildlichkeit. Maria aber vom Zählen der Rosenblätter:
Er liebt mich, liebt mich nicht, liebt mich... Legt den Finger auf den Mund:
Schsch. Rauschen, tatsächlich. Doch fad, wenn nichts dreinfährt oder der Blitz einschlägt. Abführen! Oder die
Blattkombinaton soll aussehn wie deine V., sage ich, das 13. Blatt hat
eine Farbe, die wir nicht sehen können. Willst du sie sehn, fragt Maria leis:
hebt den Rock, hat Nichts darunter, und ich wühle mich in ihre fahlroten Lippen ein mit dem Mund, als suchte ich ihr
zweites Gesicht, die Schamlippe Scechina. Als wär es die Lösung, die einzige
aus dem Summen herauszukommen, Zeitlose, so, davon erfaßt und geschüttelt, und nachher satte
Traurigkeit. Denn nachts hatte ich einen bösen Traum gehabt, daß ich
abgecshnittene Hände hätte und so verhungern muß, weil sei mir nicht bis zum
Mund reichen, und die Früchte, die vor mir hängen, für mich gar nicht greifbar
sind, lag im Bett neben Maria und schrie. Du hast im Schlaf wie ein Tier
geschrien, sagt sie: Es muß ein Todesschrei gewesen sein. Ai visat urat, Piticule..
Im
Wissen hat sich viel geändert, nicht aber am Liebesmangel. Durch die Frauen,
die ich inzwischen "geliebt" hatte schon gar nicht. Es wurde mir viel
an Gefühlsidealismus ausgetrieben. "Amo ergo sum" ist wohl nur hier
im Himmel gültig?! " Ganz sicher nicht!" Später aber erkannte ich,
daß Lieben, Verliebtsein , zwar etwas ist, daß das "Seinkönnen"
nährt, das Leben als das Unheimliche
erkennt, ein abgründiger irrer
Traum, aber nicht genügt, zugleich ein weiteres Vergessen, Selbstvergessen in
jener "Krankheit", das als Lebenssteigerung Gefühle des stark gelebten Augenblickes gibt:
Rut
Nur momenthaft
ein Aufblitzen der eigentlich stärksten Angst: das Vergehen als eigentliches Vergehen,
schmerzhaft auch als Abschied von der Person, die das entfachte. Und Schreiben
wurde so alles... Ist das Schuld? "Dies vor allem ist Schuld."
Am nächsten Morgen dann das
"Treffen". Ich gehe über den kleinen Gemüsemarkt, innere Unruhe, ein fremder Zustand, vor mir
taucht Jordan auf (mit Aktentasche), Jordan, unordentlich gekleidet, wie der
bekannte Strizzi aus dem "Doktor
Faustus". Haare hängen ihm struwwlig
ins Gesicht, der Hemdkragen steht offen, spricht lispelnd und gebrochen deutsch, aber fließend
russisch, hat ein Jahr KGB-Training in
Moskau hinter sich und ist Germanist, Linkshänder und Spezialist für unsichere
Intellektuelle, er sollte mir "das Bewußtsein wieder einrenken". Wollte aber auch "Berichte". Gehört
das zur Schuld? "Ja." Ich weiß
es. Da steht er, holt mich, Genosse
Jordan, der Strizzi. Seht vor mir am Gemüsemarkt, vor einem Tomatenstand; wir
wirken auf Passanten wohl wie zwei Freunde, zum
Gespräch oder zum Anmachen von
Frauen da, eine Bäuerin sieht unter dem
schwarzen Kopftuch herüber, bietet Ware
an, lacht, Jordan lacht überfreundlich zurück: er hat ein Dopplgesicht, eines
über dem anderen; so trägt er es, da mischt sich ein Menschengesicht, dieses
ein wenig pferdeartige Jordangesicht, mit dem darunter, das er zu verstecken
trachtet, das von einer staatlichen Unterwelt geprägte, vermischen sich sich
einer krampfigen Fratze der gequälten
Freundlichkeit, und ist doch so ekelhaft zweideutig, so unappetitlich, daß ich
beim Händegeben zurückzucke, nachher des Bedürfnis habe, mir die Hände zu
waschen...
Und jetzt sitze ich im leeren Zimmer.
Summen und Rauschen, wie eine
Seelenkugel. Die Fenstervorhänge zugezogen wie zur Strafe, Nachbarschaft im
Laut, dies Schweigen Feichlink. Jetzt kommen sie alle. Aufwachen jetzt! Die Tür unverschlossen, ein besonderer Trick.
Und doch diese unsichtbare Verbotslinie. Tische und Vorhänge ungebraucht und
doch schon verstaubt. Was sollte ich da, Denunzieren? Sie wollen moch als
Beobachter und hab ihnen tausendmal gesagt, daß ich dazu nicht geeignet bin.
Mein Gott, alle sind Denunzianten. Auch Paitz endet doch so? "Laß den
jetzt, von dem konntest du doch damals noch nichts gewußt haben!" Aber
jetzt weiß ich, daß ich damals schon er war, weil ich all dies Weite nicht
wußte, konnten sie das mit mir anstellen! "Ja, und weil sie es jetzt nicht
mehr mit dir anstellen, da sie ins Wahrscheinlichkeitssystem verbannt sind,
lebtest du lange als Schatten, ohne Jetzt." Wir brauchen dich, weil, wir wissen, welcher
Mist in eurem Kopf steckt, hatte Jordan noch gesagt.Das, was von der Idee der
Partei und den Direktiven der Partei
abweicht, diesen Dreck in dir und deinen Kollegen, das mußt du uns
aufschreiben. Und was ihr die "Realität" nennt, die erschafft ihr mit
eurem gottverdammten verseuchten Bewußtsein, wir aber haben etwas anderes vor:
die Revolution, wir erschaffen eine neue Welt. Du bist einguter Genosse,
und dein Großvater erhält auch seine
Pension zurück, wenn du uns hilfst! Und
saß da vor dem Papier und brütete. Dageegn nur die aufgeschlagenen Bibeln des
Tierarztes und die Apokalypse Johanni? Ich empfinde dumpfen Ekel wie vor einem
Insekt. Ekel der Sprache, stinkend nach Zeitung, nach roten Broschüren, leblos,
eine Leich. Nein, nein es hatte nichts zu tun mit dieser dieser selbstgemachten
Unsterblichkeit, fern von irgendeinem Gott, außer der eignen Herrlichkeit. Dort
unten in jenem Angst- und Dreck-Moment mit dem Stift in der Hand, war ich
himmelweit entfern von den Diktatoren, die hatten das gleiche Konzept, und ihr "Rohstoff" war das Leben von
Millionen Menschen. Auch meines. Und
doch warst du schwach, hin und hergerissen zwischen "Glauben" und
Ekel. "Aber du hast immer noch
etwas verschwiegen. " Ja, Schlimme Gewissenbisse wegen einer einzelnen Tat
damals, ja: Meine Schuldangst kommt plötzlich hoch (und ich werde mir des
Kontrastes bewußt; wir fahren eben durch diese niedliche deutsche Landschaft am Neckar.) Und weiß, ich müßte
alles aufgehen lassen wie Früchte. "Wo ist der Geruch vom Neckar wo das
Gesicht von Jann, ich sehe sie nicht, schmecke sie nicht, kein Bild kommt, und
auch du siehst es nicht, es muß hier wirklich werden, stelle es dir besser
vor..." Das Auto surrt, der
Innenraum ist vom Rollen der Fahrbahn erfüllt,
dringt ein auch bei geschlossenen Fenstern, löscht die eigene Spur laut in seinem
Ohr, - ich starrt durch das Glas nach außen, Jann fuhr.
Ist die Erinnerung wirklich wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will, dachte ich: eigensinnig und aufsässig wie
Circel, unser kleiner schwarzer Pudel.
Ich erzähle Jann Längstvergangenes, das jetzt wieder auftaucht: Jugendsünden
an der Uni aus längst vergangenen Tagen, als ich Stalin-Anhänger war, verbohrt
in die Idee vom "sich zuspitzenden Klassenkampf", die auch allen
Schauprozessen den höllischen Grund geliefert hatte. Sitze in der Aula, sitze im Auditorium
Maximum der Uni, die schmale Gestalt mit dem feinen Gesicht von DF sitzt in der
ersten Reihe, gekrümmt, neben einem alten jüdischen Assistenten, der
mitgekommen war und ihn mit dem Mut der Verzweiflung verteidigte, als die
Ankläger vom Podium wie Hyänen über seinen besten Studenten herfallen. Vor
allem die schreiende Irina. War es die Rache der Proles am Geist? Hab ich zu
diesem " gesunden Leben"
gehört oder es mir damas aus-gedacht, und war zu ihm geflohen, als wäre
es gleichzeitig "eine Idee"? Ach, der "arme" edle und
unsportliche DF, den wir "Fuhri" nannten, als würde er uns andauernd
eine Abfuhr erteilen mit seiner blitzenden Ironie, seinem Hochmut jeder
"Gruppe" gegenüber, diese Verachtung, die aus seinen dunklen Augen blitzte, ein asketischer Mönch,
der hohnlachend die groben Gedanken und "Analysen" seiner Kollegen
vernichtete, auch meine? Und ich sitze in mich zusammengeduckt im Wagen und
erzähle Jann stockend und so spät, jetzt voller Scham, wie ich diesen sensiblen
Kommilitonen, der schon halb wahnsinnig unter dem Druck der Umgebung, unsere
Feste, Sitzungen, fahnengeschmückte Umzüge und Saufgelage verhöhnte, so daß ich
einmal, als wir von solch einem "Fest" kamen, unbeherrscht in dieses
ironisch grinsende Gesicht, auf diesen Mund, aus dem die vernichtenden Sätze
kamen, die uns auslöschten, unbeherrscht und in besoffenem Wutausbruch
einschlug, "Fuhri", der in seinem stilvoll, aber arm eingerichteten
Zimmerchen wie in einer Höhle hauste, nächtlang las, sich über allem nicht nur
erhaben fühlte, sondern es auch war: Geist, der ihn verzehrte, spindeldürr und
von Hunger damal ausgezehrt, aber mutiger
Nietzscheanhänger, nur jemand, der weiß, wie gefährlich das damals war,
begreift diesen Helden, der damals schon rechts und Antikommunist gewesen war,
daß ich diesen "reinen Geist" und überheblichen Mephistopheles, sage
es jetzt zu Jann, denunziert hatte, immer noch habe, denn das bleibt für alle
Ewigkeit... "Mein lieber Terplan", kam da die sanfte und warme
Stimme: "weißt du denn nicht, wo du jetzt bist? Du sollst mit dir streng
sein! Doch vergißt du, wo du jetzt bist.
Hier , und im Prozeß, den du dir
machst - erlebst du alles neu und wieder, veränderst du auch was war. Nichts
ist vergangen und unveränderbar für immer, fertig gemacht und ganz tot, solange
es in dir fließt und jetzt dort, sieh vor sich geht in sich in dich geht - und
nach dem Tode kannst du das ot wiederholen, denn das was gewesen war istjetzt
frei, nichts als einmal und im Leben materialisierte Erfahrungen und feste Überzeugungen, und jetzt kannst du
dieselben Elemente auf ähnliche Weise verwenden, ein Maler ihre Farben. Kannst
sei neu zusammensetzen, sogar korrigieren wie auf iner Linwand, sie sogar in
jneer Form wie sie gewesen waren wieder ganz ungeschehen machen, neu
zusammensetzen, im Anteil neuer Erkenntnisweisen als Kräftefeld.. " Nein,
nein, es ist noch in mir: ich habe das Schlimmste getan, jetzt und für immer.
"Solage du daran glaubst ist es tatsächlich so!" Sieh, so war es
doch: Sieh, wie ich da in der Aula sitze: Die wütige Irina schreit: und jetzt
der Fall des ideologischen Klassenfeindes D. Fuhrmann, Genosse Terplan hat ihn
zur Exmatrikulation vorgeschlagen. Und sitze da, Angst und Scham schnürt mir
die Kehle zu. Hrzklopfen. Muß ich ds Wort ergreifen? Prickeln, das Magengefühl.
Übelkeit. Und völlig ausgedörrt innen. Kein Raum für Gedanken. Nur: Recht
gecshieht ihm, Rehct gecshieht ihm, murmelt eine Studentin neben mir, die auch.
völlig von meinem "historischen Recht" überzeugt war. Und das alles, obwohl wir wußten, daß F.
nicht nur gefeuert, sondern daß am nächsten Morgen um fünf Uhr das
Securitateauto vor dem Studentenheim stehen , sie auf den armen gekrümmten
Körper einschlagen, ihn mit Fußtritten traktieren, ihn holen, und er für Jahre
spurlos verschwinden würde...
Glaube
und Überzeugung. Zweifel!
"Wie war das denn möglich?"
Du versuchst zuerst mal auszubrechen!
winzige Augen, die einwärts sehen, erst sehr spät, kamst du auf sie, die das
Blatt umdrehn, alles wenden, wenn auch nur in der inneren Druckstelle,
Druckkammer. Damals hofftest du, alles leicht fertig zu haben, alles zu
überspringen, auch dich selbst, hohnlachend, alles abwerfen, fertig sogar zum
Totschlag. Ich weiß ich weiß, wir,
da,damals Stalin Zugeneigten, waren damals alle auf hemmungslose Weise
"befreite" Söhne, braun oder rot oder schwarz , spielt keine Rolle,
Nihilisten, Engel des Terrors, wie heute die Idealisten mit der MPI und der Bombe, alles Herausgesprungene aus
der Folge, Nachfolge, dem Folgen und strengen Zeitreihen, den Ahnenreihen des Besitzes mit lauter Totenköpfen als Glieder
der Kette. Dann kam da Cristians Stimme spottend: "Und jetzt, jetzt
sehntest du dich gar danach, ein Umgebungsfetischist, verzehrtest dich nach den
Wonnen der Großfamilie und möchtest wieder zum Alten, der abgehauen, der, so
meinst du, verschwunden ist. Und gäbs doch Grund und Boden, du, der Patriarch
mit zwanzig Engeln, pardon: Enkeln, Gesinde und Jung- und Altknecht, Rössern,
Kühen, Kälbern, Schafen und: das LAMM
Gottes über den Wassern und Weiden, offen der Himmel, strahlend das
Licht aus den Höhen, und du ziehst dich
am Lebensende nun auf der
Jakobleiter Sprosse für Sprosse hinauf, nach Testamentseröffnung, versteht
sich. Solange aber schwebend über dem Totenbett und dem alten Fleischgefäß, bis
alles Nötige in deinem Sinn geordnet, Haus bestellt, Zukunft unter Dach und
Fach. Damals aber als Student warst ich der Hausvater im Ideellen. Schön ordentlich die Vertreibung aus der
Herkunft rückgängig gemacht. Dann aber im Elend, und zu Besuch zu Hause in der
Stadt B. kam sie mir vor, wie ein weiblicher
Körper mit großen Brüsten, und wollte dies Körperwarme im Dunkeln mit den Augen, ja, mt allen Sinnen
wieder fotografieren, wie früher sollte es schmecken, unbedingt. Hatte ich
nicht mein Leben lang versucht, mir ein
Bild zu machen; es gelang nie, es gelang nur, indem ich mir und anderen Gewalt
antat. So reiße ich auch jetzt die Augen
weit auf, doch es scheint oft kein Film im Apparat zu sein. Und seh doch nur
die eigenen Bilder, erinnert. Seh mich jetzt in der Unibibliothek sitzen, vor
Regalen, Bücherwänden, Roten Broschüren,
mit denen wir die Welt anhalten wollten, um die Größten zu sein.
Doch
es ist in tieferer Abgrund, es reicht in andere Dimensionen als nur ins
Sichtbare und so Faßbare, ich hab mich
ja aus solcher Schwäche andauernd auch schuldig gefühlt, sagte ich: ähnlich wie Tasso der Kirche gegenüber,
weil er nicht glauben konnte. Seine Selbstanzeige. Sein Wahnsinn. Ich kann das
verstehen. Im Kommunismus ist die stärkste Gewalt das mißbrauchte,
fehlgelenkte Glaubensbedürfnis. So hab
ich mich schuldig gefühlt, weil ich meine Zweifel hatte, weil ich das
"Absolute", also die soziale Revolution nicht engagiert genug
mitgemacht hatte, mich letztlich unfähig gefühlt hatte - auf allen Ebenen, das
Unvollkommene am Staat, das Unrecht, die Verhaftungen, die Securitate usw. mit
"Klassenkampf" und notwendigem Kampf wider die "Feinde" zu
rechtfertigen, war mir doch genau bewußt, daß diese "Feinde" auch in
mir selbst waren, ja, meine Substanz ausmachten. FEIND also, der ich wirklich war! So schloß sich ein diabolischer
Zauberzirkel. Und ergab ein seelisches Inferno. Aber es war schlimmer: ich
wagte es mir gar nicht zu erklären, und schon gar nicht, es mit jenem hehren
Ziel zusammenzubringen, sondern haßte diesen Staat und seine Verbrecherpartei
insgeheim bis in meine Träume; das Unbewußte war davon infiziert. Diabolische
Erklärungen und Absicherungen dieser allen gemeinsamen Komplexe lagen in der Ideologie
bereit: und der Zauberzirkel schloß sich wieder: meine Zweifel, meinen Haß
führte ich dann auf meine "ungesunde Herkunft" zurück, diabolisch genug:
alles was an biographischer Schwäche, an persönlicher Schwäche da war, zu Gunsten
des Systems und für Schuldgefühle eingesetzt werden konnte. So wars auch bis
hinein in die Verstrickungen, daß ich als solch ein "idealistischer"
Stalinist Kollegen bekämpfte, da sie dem aufgezwungenen Schema gemäß nicht
"richtig dachten" - aus Herkunftsgründen, wie ich meinte. Dabei
sprachen sie aus ihrer Substanz heraus, ich aus meinem aufgesetzten diabolischen
Gedankengebäude, das wir auch noch "Überzeugung" nannten, und wo ich
also ein "Überzeugter war! Alles
nur ein seelischer Zwang, denn eigentlich war ich ein unpolitischer Mensch,
wollte in mich selbst und in mystische Literatur- Phantasien über das Rätsel
des Daseins versinken, dort fand ich meine Schwingungsfähigkeit wieder, die
vom Alltag gestört und unterbrochen wurde, daß mich Ekel überkam. Doch hier
entstand dann wieder Schuldbewußtsein, weil ja all diese privaten Träume als
bindungslose Dekadenz hart abgelehnt wurden. K.s Verhaftung in Freiheit, die
unsichtbare Verfolgung, war ein genaues Abbild meiner Lage. Doch bei einer
Verhaftung erhältst du inen Schlag: es ist wei bei einer Todesnachricht. Angst
kam hinzu, weil wir uns bei einer Festnahme ertappt fühlten. wenn auch nie auf
frischer Tat; ich haßte den Staat, doch gestand ich mir diesen Haß nicht ein.
Hatte Angst, diesen Haß hochkommen zu lassen, ja, maskierte ihn, wei die
anderen, mit Ja-Sagerei, Jubel, fand krumme Wege zu Staats-Gunsten im DENKEN-.
Das
Auto mit den zugezogenen Vorhängen; ich höre meinen Atem, ich spüre meine
Hände, das glatte Vinillin wie ein Tier an den Händen, wenn ich mich am Sitz
festhalte. Es riecht nach Schweiß. Ich schwitze, wenn ich Angst habe. Ich bin
wie gelähmt. Ich werde ihnen sagen, ich bin doch Marxist! Und sei werden laut
lachen, roh gröhlen. Witze reißen. Alles hat sich verändert. Das Straßenbild
ist nicht zu sehen, die Geräusche sind nicht mehr vernehmbar oder so gedehnt,
so zugespitzt, ein Autohupen zum Beispiel, als wäre jeder einzelne Laut
abgetrennt, aus der Welt herausgeschnitten, so, als gehörte ich nicht mehr
dazu. Es ist ein schöner, warmer Septembernachmittag, beharrlich Schweigende
sitzen neben dir. Du bist wahnsinnig nervös. Prüfungssekunden zu Stunden
gedehnt, bis du ganz erschöpft bist. Du bist eine schwache Natur. Du bist kein
Held. Ein komplicenhaftes Verhältnis mit
den Leuten in Zivil, die aber eine unheimliche Uniform ist, zwischen Verhaftetem und Geheimdinstleuten
stellt sich etwas teuflisch- koboldhaft Vertrautes her. Ekel. Doch als wäre das Erbrochene neu
geschluckt. Du machst mit. Fast untertänig. Lieferst dich ihnen aus,
akzeptierst den Zustand ohne Protest, keiner hat einen Haftbefehl vorgezeigt,
und du denkst nicht einmal daran, ihn zu verlangen. Rechte? Ha. Du hoffst, es
sei nur in "Versehen", sagst es, beteuerst deine Unschuld. Hast alle
Zustände. Der Eingang, in den dr Wagen jetzt einfährt, scheint so eng zu sien,
daß du nicht durchkommst, doch du kommst natürlich durch, nur früher, war es
undenkbar, daß du allein da hineinkommen kannst. Und gingst lieber auf die
ander Seite der Straße. Der Vorhang hat sich verschoben, due siehst eien
Lieferwagen, ein Brautpaar vor einer Kirche mit großen gelbroten Sträußen, zwei
Männer streiten, doch alles summend und wie ein Traum, du gehörst nicht mehr dazu. Das Eisentor schließt sich. u
wirst eine Treppe hinaufgeführt, doch es ist keien Treppe, es ist eine
Nrventreppe, es ist jetzt nichts mehr voraussehbar, es können die schlimmsten,
dir die unvorstellbarsten Dinge zustoßen. Jede gewohnte Geste, etwa wenn du
eine Verabredung hast, eine Freundin triffst, alles ist vorausschaubar, hier
nicht. Genua jene Sicherheit, jene
Überzeugung, die du meintest von ihnen zu erhalten, haben gerade sie jetzt
zerschlagen. Von jetzt an nur noch Zweifel. Der Boden wankt.
Es geht aber immer weiter auch heute weiter
mit dem Zweifel? "Ja. Es gibt hier kein Heute oder Gestern. Und was du da eben erlebt hast, ist auch
gerade jetzt geschehen!" Es gehtv
wieter, ich weiß, jenes rote Gefahrenspiel ein Kinderspiel, ein Abklatsch, wenn
auch ein gefährlicher, geht wieter. "Und jezt?" Zunehmende
Verdrossenheit, wie ein gescheiterter
Geistlicher am Ende deies Lebens. Ich hab in Süditalien in Tassos Stadt ein
Tasso-Gedicht egschrieben, beeindruckt von Tassos Selbstanzeige.
Inquisition: Denn die Evidenzen saßen nur noch/ Im Heiligen
Consilium der Inquisition./// Einer war da in Tasso/ Der glaubte./ Der andere
aber/ Die Skepsis/ Spaltete ihm das Hirn./Es zeigte ihn an jener der glaubte:
Er/ War die Spange, der Ring/ Der sich schloß/ Zum seelischen Gleichgewicht/ Um
einen armen Kopf.
Terplan
aber kämpfte gegen den Gehorcher
in sich an. Und auch gegen die Häßlichkeit und den Mißmut. Schreiben
half ihm dabei. Und in guten Stunden sprachen Rut, wie er Pia auch nannte,
Cristian und auch der Engel mit ihm, und er konnte mit ihnen Gespräche führen.
Und wie wir wissen, mischten sie sich ein,
wenn er schrieb. Cris zum Beispiel lamentierte, daß Terplan sich zu selten an
den Ungenannten (den Engel in und bei ihm) wandte, er solle ihn doch anrufen,
ja, es bestehe sogar die Möglichkeit, daß er ihn etwa zu Janns Engel schicke, um den Streit zu vermeiden
oder zu schlichten, oder wenn er schwierige Dinge zu tun habe, könne der für ihn
völlig unsichtbar das Terrain bereiten.
Als
ich heute durch jene Straße ging, wo L., eine alte Freundin,
gestorben war: die von einer Straßenbahn zu Tode gefahren worden ist,
und sie war heute wieder da, sie bewegte sich in mir, sie redete, sie sagte
wie zur Entschuldigung einen sehr schönen Satz: Liebe ist Leben für immer. Starb sie vor Müdigkeit? Starb sie, weil sich an jenem Tag über dem
Atlantik wieder einmal ein Barometrisches Minimum ausbreitete, ostwärts wanderte - Rußland zu, sie aber
mit der Schwere in den Gliedern? Und mit
der Angst. Schmerzen und Wetterfühligkeit? Auf dem Hauptplatz jener östlichen
Großstadt, wo sie gewohnt hatte, waren
die Neugierigen damals zusammengelaufen, um zu gaffen, und sahen die
Ohnmächtige oder schon Tote blutüberströmt unter den Rädern liegen; der
Schaffner rang verzweifelt die Hände, zerrte an ihr. Doch keiner half. Ich weiß es nicht genau, dachte Terplan: ich
bin kein Augenzeuge. Ich war bei diesem
Unglücksfall nicht dabei. Das
Unvorhergesehene war geschehen, der Tod, und dort in jener Straße jener
östlichen Großstadt, es war schon in der neuen Zeit, stand auch diesmal einer dabei, wie er
aussieht und wie er heißt, ob er ein Gesicht hat oder ob er es verloren hat,
ist in diesem Fall unwesentlich, jedenfalls
versuchte er, auch diesen
Unglücksfall restlos zu erklären: Es sei
der zu lange Bremsweg, sagte er und
blies sich bedeutend auf: ein Zufall,
vielleicht Nachlässigkeit sei es gewesen... Nichts anderes.
Daß Terplan dort in seiner Stadt
abwesend gewesen war, ist kein Zufall,
daß er dort nicht für einen Augenblick stehen bleiben konnte, um ohnmächtig
und völlig ratlos dabei zu sein, ist nicht restlos zu erklären, auch wenn ich
es immer wieder versuche, dazu ansetze,
und genau so ohnmächtig bleibe, als wäre ich bei jenem Tode dabeigewesen; Ich, ein Abwesender, der die Augen der
Toten nicht sehen konnte, jenem Unbekannten zu widersprechen; daß es aus war, bezeichnet auch mich, diesen
Terplan, der ich sein soll, im Leben jetzt, genau so wie sie im Tod einen Namen
haben soll, den sie nicht mehr aufschreiben kann, wie früher:
Komm
Geliebter, laß dich träumen.
Sieh,
der Mond hängt in den Bäumen,
unsre Zeit ist bald vorbei.
Ich heiße Terplan; ich blicke zurück, ich
frage: was war geschehen? Das Ich, diese dumme Verstellung, die auch noch
wehtut, gehört abgeschafft. Sie allein ist es ja auch, die stirbt. Und dann,
wie nähern sie sich an, alle, die ich geliebt habe, ich weiß: wir sehen uns wieder, und ich sehe
sie, wie sie verschmelzen, ein wunder Punkt des Wiedererkennens wartet auf
uns.
So ist er, der Michael Terrplan: - wie
immer, zwischen Nicht-Mehr und Noch-Nicht, das im nächsten Moment gewesen sein
wird, andauernd im Zweifel, ob es ihn überhaupt gab: und was denn nun wirklich
los sei. Dieser Körper, wie das schöne aber träge Auge, das kann doch nicht
alles sein. Stimmt. Er aber: Fliehendes Kinn, der Bart grau, an jedem Faden,
was hing daran, da kam der Tod entlang; Fäden, Haare, an einem Haar hing, der
Bart, den er sich jeden Morgen gefärbt hatte, weil er sich selbst im
Spiegelbild so nicht ertragen konnte, der innere Zustand entspricht dem
Gesicht. Er erinnerte sich an eine Geschichte, wo alle Spiegel verhangen sein
mußten, in einer andern Geschichte waren Spiegel und Spiegelbilder verboten.
Doch was sind die Geschichten noch, der Betrug, dachte er, als gäbe es eine
Folge in diesem Abgrund der Sekunden. Geschichten ver-sichern, deuten
nachträglich, jaja, Nichts Anderes wird nicht gesehen.
Und
doch ist Maria, die Liebsbedürftige, jetzt versiegt, vertrocknet, als habe sie
nun alles hinter sich, sie ist müde, vielleicht müder noch als Terplan.
Betroffen las er einen Bief, den sie an ihre Nichte ins ehemalige Zuhause geschrieben
hatte: "Ich habe Angst vor unserem Tod:
Ich kann ihn nur in der Vorstellung sehen, ich bleibe ohnmächtig in
diesem zauberhaften Nichts, dem kalten Blick, dem gebrochenen eines armen
Tieres. Voller Angst streiche ich mit den Händen über die unter der Haut
spürbaren Knochen meines Gesichts, und halbbetäubt von den dumpfen
dahinschleichenden wortlos vergehenden Stunden, setze ich mich demütig fast an
den Rand des Bettes. Immer sind es Betten, wo mir solche Gedanken kommen, sich
heranschleichen, mich nicht mehr loslassen. Vae vae cucu victis, Benedictus,
Benedictus ... der ganze Tod ist nichts ... ventris... ventris.
Du nimmst dieses ganze Nichts mit dir.
Für immer.
Glaubst du ans Nichts, oder kehrt es sich
um, wenn du an irgend etwas anderes glaubst?
Ich wache auf mit kalter Haut, trockenem Mund,
die Glieder sind wie gelähmt. Vater unser, der du bist...
Voller Wut ziehe ich meine Hände zurück und
verschwinde für immer. -
Nachhausekommen. Was ist das? Zuerst weit wegziehen und weit bis zum Wahnsinn,
doch näher dem Schmerz, nirgends zu sein, um wieder zu wissen, was
Nachhausekommen wirklich ist?!
Und der Tod?
Ein Versuch, nach Hause zu kommen?
T.
behauptet es! Ich habe das Tier früher einmal auf seinem Gesicht gesehen,
wenn er schlief, todmüde vom Trinken. Und schrie. Und ich durfte ihn nicht
wecken!
Für den SDohn aber Schlösser, Sehnsucht,
Märchen. Zauberei. Alles für ihn, alles. Mit dem Rad. Mit der Geschwindigkeit
der Jahre.
Die Blätter, die Schmetterlinge. Du kennst
doch diese Abendstimmungen, diese Illusionen der Geborgenheit! Schön
rhythmisch, ganz und gar rhythmisch schlägt die Glocke der Kirche im Park. Und
ich zünde mir im Schweigen ein unendliches Licht an. Manche rauchen dabei. Ja,
Erinnerungen kommen, so, als seien es Leute: ein Schiff von unserem letzten
Urlaub, als wir es uns auch erlaubten kurz im Glück zu sein, von dem T., der
nun im Süden wohnt, meint, er habe es fassen können, dauernd. Wie er sich
getäuscht hat, der Arme! Er ist irgendwo der Alte gebliebn. Der Alte! Wir konnten es noch für Augenblicke genießen, für
Augenblicke, denn Glück liegt immer nur im Augenblick! Saluti, tutti saluti.
Von einer fernen Insel, der Insel Galinara, der Insel Galinara. Schmecke auf
der Zunge weißes feines gebratenes Geflügelfleisch, im Backofen gebratenen
Kartoffeln, Puddingeis, Orangensirup, Mandarinen und Reis, und Lachen. Süden,
wie ein lachendes Gesicht, Lachen wie Irre, rausplatzen, und dabei gar nicht
wissen, was wir eigentlich sagen, nur Blödeln, als sei Blödeln das Glück! das
wir andauernd erfinden.."
Es sind 20 Jahre vergangen seit der Flucht
und Aussiedlung. 20. Lang zum Leben, zu kurz zum Sterben. Was bleibt. Maria
hat ihr Leben für den Jungen geopfert, er ist ihre "Investition".
Jetzt stehn sie zwischen Tür und Angel, im Streit. Sie schreit ihn an, steht da
in ihrer selbstgeschneiderten Jacke, mit Tand behängt, wie ein schöner Clown,
das Gesicht ist wie Bronze geworden, ich denke, eine edle Indiofrau. Er aber,
sein schmales Gesicht mit der beherschenden Nase, gerötet, schreit zurück in
den Spalt, wo sie steht im Schutz der zu kleinen Öffnung, draußen, und als
dränge er sie noch weiter aus dem Raum, geht er drohend auf sie zu,
schneidend ist seine Stimme.
Sie ist gegangen. Wir sind allein.
Immer muß sie Recht behalten! sagt er. Und
die andern Unrecht, auch wenn es umgekehrt wahr ist.
Ja, sagt T., deshalb habe er sich ja von
ihr scheiden lassen. Diese Frauen, sagt der Sohn, sie wollen einen immer nur
einsperren, und für sich behalten.
9.
März. In der Calea Victoriei mietete ich ein Auto und fuhr über Ploiesti und durch den Bucegi,
nach Siebenbürgen ... alles so unwirklich ... Auf der Autoheimfahrt nach
Schäßburg in den Vororten. Terplan sah zum Fenster hinaus - fern wie ein Hauch
der Baragan. Beim schnellen Fahren fiel ihm auf, wie langsam sich die Ferne
bewegt, kulisssenartig, als wäre es eine abgehobene Beschreibung, während die
Nähe rasend schnell vorbeirauschte, und das Mitnehmen des Straßenrandes im
Blick nur mit Mühe, nur als verwischte Spur
gelang. Wenn du dem nachhängst, sagte er, min st du verrückt zu werden,
wenn du aufschaust: rechts die Kontur der Stadt, ein einzelner krummer Baum
etwas näher neben einer Scheune, schon ist er nicht mehr da, asl würde das Auto
dieses Vorrücken der Sekunden im Sehfeld nochmals überholen. Genau so geht es
mir. Und so redete Terplan dann wie ein Wasserfall, Rauschen von draußen, drinnen aber seine Stimme: was er ertragen
hat, kam raus, rücksichtslos. Es kam zur Sprache nämlich der
Ankunftsaugenblick, der Schock des viel zu schnellen Rhythmus im Westen, und dann die schmerzhaften Folgen.
Man war ja im Osten, in der Balkanhauptstadt B. nach außen eingesperrt gewesen, und es hatte sich angestaut ein
enormer Freiheitsapettit, so, als gäbe es tatsächlich irgendwo Eden samt Eva.
Und von der Todlosigkeit bis zur Körperfreiheit und das Angenehme dieser Welt.
Terplans hektischer Monolog, er fragte nämlich beharrlich nach den Ursachen
dieses schlimmen Druckes, früher abends, jetzt morgens, und ein Schuldgefühl,
das notdürftig nur jeden Augenblick verheimlicht, durch Übung ein wenig
vergessen wird. Ja, was ist es denn eigentlich, woher kommt dieser Druck, kommt
der nicht aus der Untiefe, weil es keine Entsprechung mehr für Gefühle, für
Nähe gibt, die vielen schweren Träume nachts, die mich wie eine nächtliche
Krankheit verfolgen, das "Leben" verdrängen, wirklicher sind, könnten
der Erklärung näher kommen, rief er.
Und
dann bei Sinaia in den Bergen wieder ein Stau. Terplan starrte wie hypnotisiert
auf das Nummernschild unmittelbar vor sich. Es begann wieder zu regnen, Jann
setzte den Scheibenwischer in Bewegung. Der Asphalt wurde naß. Duft von nassem
Gras, Erde, Gesträuch in der Nase. Fernes Donnern. Beim Aussteigen eine fast
schmerzhafte Empfindung der Frische; würzige Bergluft, Holzfeuergerüche,
rauchkalte der Sternenhimmel, dert Orion funkelnd über einem Bergdorf . Also
alles wie zu Hause? Dachte er. Doch nicht. Er war getrennt von dieser
Schönheit. Was ist das für ein
mysteriöses Leiden, das so laut und
anklagend wird, daß der Betroffene nicht mehr schweigen kann? Heimweh kann man
es doch nicht gut nennen! Und absurd
scheint es auch zu sein, wenn es dem so Leidenden nach außen in dieser
schönen Gegend so gut geht, wobei die Schönheit eher noch zur Steigerung der
Krankheit beiträgt. Terplan behauptet,
es sei die Freiheit, die sich hier nirgends wirklich zeigen könne. Alles-eins,
sagt er, es ist alles-eins, oder alles ist so, wie es ist, unverrückbar. Jann
behauptet, Terplan ertrage das "Freigestelltsein" nicht! Und genau
damit hatte sie recht. Kaum erträglich, daß es kein Echo mehr gibt! Und daß es
keine uns berührende Umgebung mehr geben soll!, sagte er, und anstatt der Beine
abgeschnittene Wurzeln. Fernweh und abgetrennte Nähe. Und weiß kaum mehr, wie
sie schmeckt. Manchmal wie ein Wahnsinn in seiner Kl.ause über alte rosarote Fensterbänke
streichen, wo der Mörtel abbröckelt, Sonne hat die Ziegel angewärmt, und ein
Tasten im rissigen Mörtel, wie im alten Haus seines Großvaters in S. Manchmal
fällt ihm noch Maria ein, wie ein Zeichen für alles, was einmal fühlbar war.
Auf dieser Höhe müßtest du dich halten, um nicht zu fallen. Oder wenn du
fällst, überlegte er, dann stehst du nicht wieder auf. Denn es gäbe dann keine
Distanz mehr, die uns allein am Leben hält, und der Garant dafür sei Maria:
Ihre Augen sind braun, ihre Augen, in der Farbe wechselnd, im Zorn wurden sie
fast schwarz.
Erstaunlich, wie man die alte Grenze zwischen der Walachei
und dem ehemaligen mitteleuropäischen Siebenbürgen „sieht“, mit Händen greifen
kann! Wie trist die Landschaft doch bisher gewesen war, die Dörfer verkommen,
grau. Jetzt alles viel ordentlicher, bunter, sauberer.
Am Morgen dann die Fahrt in meine
Stadt. Mitten durch eine Abwesenheit:
Nach Hause. Zuckmanteln, welch ein Name,
tief im Hirn blitzt es auf, Nadesch, "Weinland". Es war
einmal: Das Bild, aber ich bin nicht da.
Eine "Scholle" in die Hand
nehmen? Felder bebaut, es ist gesät.
Welch eine Wiederentdeckung: die Kontur der Berge. Und plötzlich erschrecke
ich: schmecke Weißwein auf den Lippen, Zähne am Glas. Weißen Speck und Brot im
Mund.
Marienburg, die Kirchenburg von außen. Sie ist abgezäunt, Treppen führen wie früher
hinauf zu den geschwärzten Mauern, der Pfarrhof aber ist leer. Auch nachts
brennt kein Licht hier. Der Blick, der da hinaufgeht, die Treppe hoch, durch
die Luft über die Mauer fliegt, ist wie abgeschnitten.
, ich hatte in dieser
Nacht geträumt, daß es Siebenbürgen noch
gab: mitten durch eine Abwesenheit, nur
das Licht war sehr fahl, und die Straßen
voller Schlaglöcher, Löcher, Löcher, durch ein Loch nach Hause, ich
hatte alles vergessen, doch den Umweg über
Neumarkt hatte ich noch nicht vergessen. Dann das braune Wasser der
Kokel, es floß unter Weiden, ich sah die Wirbel da, genau, Hochwasser, wieder
die "Kokel," ein Name, im Hirn blitzt es auf...
Und
in der Nacht hatte ich geträumt, geträumt, daß ich nach Hause wollte, das gelbe
Türchen war auch offen, sogar das Hoftor hinter dem Roßkastanienbaum, es war
auch Licht zu sehn in der Diele, deutlich sah ichs durch den dichtgewachsenen
Efeu, Herzblätter; doch als ich klingelte, die Klingel direkt über einem weißen
Porzellanschild "Transsylvania Versicherung", ich hörte das Klingeln
drinnen im Vorzimmer und in der Küche, doch niemand öffnete, alles war
totenstill. Da versuchte ich auf meine Weise ins Haus zu kommen: Da wo der Efeu
wächst, an der mit scharfkantigem Mörtel verputzten Wand, alles wie tausend
kleine Schüsseln an meinen Handballen, da drückte ich, wollte die Mauer
durchdrücken, und es wurde kälter und kälter dabei, langsam, schön langsam
verwandelte sich die Mauer in weißen sauberen Schnee, ich gelangte immer tiefer
in dies Schneewand, schrie, als wäre ich von einer Lawine verschüttet worden,
kam nicht mehr raus, nicht rein, und langsam fror diese Schnee- und Eismauer
zu, drückte mir den Atem ab!
So
nah: Wench
Vgl.
korrigieren!
Nur noch einige Kilometer bis S. Viel zu rasch geht alles. Die Distanzen
sind so klein. Früher der Pferdewagen. Da brauchte man Stunden.
Ich
biege rechts ab, da an der Stelle, wo mir Großvater auf dem Pferdewagen die Himmelsrichtungen
erklärte hatte, und Hüh, Tschea, wo "links" und wo "rechts"
einmal gewesen war, ich fühl es noch an den Armen, der Hand, seinen Griff, mit
dem er das Wort an der Hand festmachen wollte... Pferde hier, streichelst Pferde,
im Pferch, auf der Wiese ein Galopp, dies junge Pferd, und es gibt einen
Wallach jetzt, der überholt spielend alle andern bei Pferderennen, um
sieben-acht Längen. Erinnerst du dich: die Kindheit: da spielten wir auf dem
Papier, ein Spiel wars, zu Weihnachten geschenkt: Pferderennen. Und auf der
Fahrt, der letzten mit Jann nach Hause: an allen Häusern im Donaudelta ein doppelter
Pferdekopf.
Nein, hier am Ursprung der Erinnerung, da,
die Biegung mit Pferden, ein leichter Trab nur, sogar im Schritt, die zwei
braven Braunen, und eine Bremse auf dem Rücken, das Zucken der Haut, der
Geruch, und die Pferdeäpfel im Staub. Lauter Reitergeschichten, wieso, das
Überschlagen eines Pferdekörpers, wieviel Jahre, Jahrhunderte werden so
überschlagen, Jetzt.... Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die
Nacht... Und wer hat es geträumt, Großvater, ein Pferdenarr, im Ersten
Weltkrieg hoch zu Roß, oder die Schlacht... Zaumzeug und Steckenpferd, wessen,
ja, der erste Ritt, Galopp mit dem WehrmachtsHauptmann hier vor dem Tor, nein,
ohne Brunnen, nur ein Kastanienbaum, Kastanie,
Holzmarktgasse, warme dampfende Haut, und dann Bomben: verbrannt, es
stank nach verbranntem Fleisch bei der Lederfabrik, ein Stall lichterloh, die
armen Pferde, rannten, Galopp, überlebende Pferde in die Kokel, langer
schwankender Schweif und fängt den Glanz auf von der Sonne... eben binde ich
sie an einen Pflock, Rauschen...
hohe Bäume, dieses
Haus mit grünen Fensterläden, als wärs auf dem Markt der Düfte, Tannenholz,
frisches Sägen, Kreischen von Kreissägen, Bandsägen, Wirbeln von Sägespänen,
Blut, einer den Finger abgesägt, pass auf!!! am Roten Wirtshaus Gröhlen sie,
andere auf der Heide blüht ein kleines... Holzmarkt, hoffentlich kein Holzweg
jetzt, sicher, nein, gelb die Fassade... wie Neid könnte es dich überkommen,
ja, damals noch zu Hause, wie schön noch diese wirklichen Dinge, die mich
umgaben, damals, alles festgefügt, und jetzt umgibt uns der Auswurf der
Maschine, anstatt Bäume.. dort der Park, hohe Pappeln, ich seh sie, dieser Duft
des Gartens, Jasmin, ists Juni? Und immer wieder das Bild, tief reinfassend,
ungezügelt, ein Schreck: Ich ritt
schnell, ich stieg am Ende der Straße von meinem Schimmel, diese Stute! Es war
eine Sackgasse, am Ende der Straße stand eine schöne Villa in einem Park mit alten
Bäumen. Als wär in jenem Park etwas wichtiges verborgen, etwas, das ich
verloren hatte, so das Gefühl. Ich band das Pferd an einen Pflock vor einem
großen Bürgerhaus mit grünen Läden, und ging dann durch die Haustür in den
Flur. Auf der Kommode saß ein kleiner schwarzer Kater. Er kam mir bekannt vor.
Und wußte schon, was kommen würde, wärs gefährlich, daß ich weiß, was
geschieht, hellsehend? Weißgestiefelten Huf noch hochgehoben, ihn zu prüfen,
wann, wußte ich nicht, viel früher freilich, und eine dunkle Empfindung dazu -
...Ein Raum Nirgendwo, Null, wie die Kraft, Pferdestärke, PS heut, Abbreviatur
wie das Leben jetzt, Nichts, Nulla, sagt einer, "luogo senza luogo",
wo du die Nacht hörst... Und im URBANO da kommt Pegasus fliegend ins Blatt,
treibt an, ist ER, der mich reitet, nicht Sohn der Medusa, doch, doch,
Hauptgeboren aus Angst vor dem Tod: die Kraft, die uns treibt, Alles nur unsicherer Zufall, der Geburt, des
Sterbens, undurchschaubar, mein armes Auge, Pferd des Lebens, Galopp.
Ich biege endlich auch in Gedanken, hier,
rechts ab, fahren an Viehställen entlang, ein Zigeunerlager. Ich denke
plötzlich an den Abfall in Haiti, in Mexiko City, während wir den alten
Bezeichnungen nachfahren, die in meinem Hirn platzen: Hula Danesului,
Atelshill, Attilas Höhe. Die "Gottesgeisel" soll da gewesen sein!
Versunken. Vergessen. Am Waldrand entlang lebt es noch, Grün. Stämme. Sogar
Blumen. Doch von rechts der beizende, stechende Geruch des brennenden
Müllbergs. Sogar hier, wo Kleinst-Idylle war, wo Füchse und Wölfe in die
Strohfeuernacht bellten, ist Welt, hat sich
sogar hier der Stil des Schreibens der Zerstörung anzupassen: Wie zum
letzten Trost ists, wenn ich hochsehe,
der Himmel da, die Wolken, darüber freilich die am Tag unsichtbaren
Sterne, kaum anders als damals. Die Juden glaubten noch, der Messias könne
jeden Augenblick in das Ticken der Sekunde treten. Dann bleibe sie stehn. Bald
sehe ich ihren alten Friedhof hier: Doch es gibt keine Lebenden mehr, Erich, er
allein verwaltet die Synagoge. Also hierher käme der Messias nur wegen eines
einzelnen. Im Dezember 1989 hatten für wenige Momente vielleicht alle eine Chance. Ioana hat es mir
erzählt. In der Revolution bricht die Überraschung jenes
Wartenden jede Gewohnheit auf, die dieses Neue verstellt, doch was schon
geschehen ist, holt das Überraschende
ein, vernichtet es wieder.
Kurven, Krümmungen,
dort unten der Fluß, und es gibt eine sehr reine Quelle am Ufer, rötlich der
Sand: Eisen, Krümmungen also, Knoten. Ich sehe sie schon, glaubt nicht, ich sei
wahnsinnig, mehr noch, ich spüre die Vernichtung hier mit dem ganzen Körper,
den scharfen Geruch verbrannter Erinnerungen? So, als sähe ich das alles
"draußen" durchs Autofenster fern auch die Hure Historie, die die
Apokalypse im Bauch trägt, und hier nun auchjubelnd sie weiter ficken haut nach
"drüben" ins Jenseits ab, ihre Haut zu Markte tragen, am besten
geschlossen als Staat, als ganzes Land westwärts, zur Hölle zu fahren. Und auch
von meinen Leuten ist ja niemand mehr hier. Noch Norbert und Ilse, ihren Paß
haben die aber noch nicht abgeholt. Ich werde sie morgen besuchen, ich habe sie
20 Jahre nicht gesehen. ich sehe Norberts Gesicht nicht mehr vor mir.
Attilas Höhe. Oh, mein Gott, von da schickten
wir Modellflugzeuge hinab nach Dunnesdorf. Dort, sieh, den Kirchturm. Schön,
solang er fern ist. Halt mirs vom Leibe, nun gut, hier diese Zeile, bitte: Das
Herausspringen aus jeder Landschaft, jeder Biografie und sogar aus der
Eigenerfahrung, ist nicht unfair. Uns fehlen hier die Haufen Zeitungen. Also
sind wir nicht wirklich in unserer Zeit, hätte Jann, die Unermüdliche Leserin
gesagt: Du bist also DA, und sagst du wärst es nicht?
Dann nach der Kurve: endlich ist die
Wench außerhalb des Blickfeldes: ich fahre hinauf am Wald Rand, Gras
Böschungen, Erd- und Blattgeruch wie nach dem Regen die Elemente: zur
vertrauteren Hülle, und biege da in den Holzweg zur "Breite" ein.
Parke, wir hatten vor 20 Jahren mit Jann hier gegessen, Sármálute cu
mámáligutá,, Kraut, Mais Brei.
Und jetzt schämte ich mich, sah: Arme
Ferienhütten, nachgemacht dem Wohlstand, wie Hundehütten. Nur mit Mühe hätte
ich hier Jann ins Lokal reingezogen. Aber sie ist nicht hier, hat keine Erinnerung. Damals, als wir zum
erstenmal hier waren, sah sie nur den niedrigen finsteren Raum. Bier, Rauch,
langgezogen, innen langgezogen, grau, wie eine
ausgeflossene Farbe: Tische, daran saß eine Hochzeitsgesellschaft, die
sangen, hoben das Glas uns zu, Scham, mich abzuwenden, nickte, war wie ein
Phantom plötzlich im Rauch verschwunden, zurück in den Schankraum, ein Bier,
nein, ein Wein, nein, ein Brot, NEIN. Janns unwilliges, von Ekel verzogenes
schiefes Gesicht... Und ich, ich weiß, es war wie ein vorausgeworfenes Zeichen
unserer Trennung.
Die Außenwelt ist im Verschwinden, hier findet
das Modell des kleinen Untergangs statt. Und jene schöne alte Erinnerung, samt
den Gedanken dazu, mit ihrer Langsamkeit, ist für unsere abgemagerten Sinne zu
schön. Die Wirklichkeit gibt es nicht mehr.
Die Brutalität des Außen, das bis zum
Äußersten geht, ist eine offne oder heimliche Materialschlacht. Wir wissen, es begann mit dem Ersten
Weltkrieg; Bilder, die vor mir auftauchen:
der Geruch nach Ledergamaschen, das Stifken meines Großvaters und die verstaubten
Haufen der Weltkrieg-Eins-Ilustrierten mit Schlachtenbildern, Dicker Berta,
Rotekreuzschwestern...Seither - anstatt
Erfahrung, Leben, Erinnerung: Industrie, Masse, das irdische Inferno. Was
Jahrtausende galt, Gedächtnis, liegt nur noch in den historischen Nebenräumen, wo Vergessen
aufgehoben wird. Es ist ähnlich wie mit dem Wetter, dem genügt das leichte
Schwanken einer Blume, der Rauch einer Zigarette, der Flug einer Möwe oder hier
eines Spatzen, damit es sich für einen andern Verlauf seiner unerschöpflichen
Phantasie entscheidet, die hier aus einer andern Zone widerscheint, zur Sprache
kommt.
Damals mit Jann war ich ausgestiegen, hatte
eine Faustvoll nasser Erde genommen und
den Lehmklumpen auf das weiße Auto mit deutscher Nummer geworfen, das
mitten auf dem würzig riechenden Waldweg stand.
Der Blick verschleiert, feucht, grau an den Rändern, schon halb
aufgelöst das Bild und der Blick in die Ferne, flache Berge, ein Dorf, ich
buchstabierte "Dunnes-Dorf". Und wir fuhren dann rasch ab. Die große
Distanz zu überwinden.Und jetzt war ich allein, nicht einmal abreagieren konnte
ich mich.
Aber
zu schnell bin ich in der Wench. Wiese, Fluß, Wald. Die Wench, sie ist es, und
sie ist es nicht, wie ihr entstelltes Gesicht, es ist vorbei mit den alten Erinnerungen. Eine
Müllverbrennungsanlage. Berge von
alten Reifen unter dem verlassenen jüdischen Friedhof. Das Bild erfaßt mich:
Rauch darin, Abfallhaufen brennen am Ufer, an der Wenchbrücke, die der Fluß
mitgerissen hatte, jetzt steht eine neue Betonbrücke da neben einer Abfall-Wüste. Ich steige aus,
versuche zu sehen; alles ist kahl. Am Ufer der Stadt zu, die man noch nicht
sieht, sie ist hinter dem Berg mit den Friedhöfen, dem verlassenen jüdischen
Friedhof, versteckt. Hinter den Berg, denk ich, werden wir nicht mehr kommen;
am Ufer eine verlassene Industrieanlage, Röhren, Gestänge, dahinter die
Bergkuppe, früher Schußfahrt auf
Schiern. Die Gegend war ja einmal dicht mit meinen Erinnerungen besetzt, mit
jenem Kind, das ich nicht mehr bin, das aber immer noch in mir ist.
Schneegeruch? Was löscht da aus? Wir biegen rechts ab, da an der Stelle, wo mir
Großvater auf dem Pferdewagen die Himmelsrichtungen erklärte, und Hüh, Tschea,
wo "links" und wo "rechts" ist, ich fühle es noch an den
Armen, der Hand, seinen Griff, mit dem er das Wort an der Hand festmachen
wollte. Wir biegen rechts ab, fahren an Viehställen entlang, ein Zigeunerlager.
Ich denke plötzlich an den Abfall in Haiti, in Mexiko City, während wir den
alten Bezeichnungen nachfahren, die in meinem Hirn platzen: Hula Danesului,
Atelshill, Attilas Höhe. Die "Gottesgeisel" soll da gewesen sein! Versunken. Vergessen. Am Waldrand
entlang lebt es noch, Grün. Stämme. Sogar Blumen. Doch von rechts der beizende,
stechende Geruch des brennenden Müllberges. Sogar hier, Jann, sage ich: sogar
hier, wo Kleinst-Idylle war, wo Füchse und Wölfe in die Strohfeuernacht
bellten, ist Welt, hat sich sogar hier
der Stil des Schreibens der Zerstörung anzupassen: Ökologie?! Wie zum letzten
Trost ists, wenn ich hochsehe, der
Himmel da, die Wolken, darüber freilich die am Tag unsichtbaren Sterne, kaum
anders als damals. Die Juden glaubten noch, der Messias könne jeden Augenblick
in das Ticken der Sekunde treten. Dann bleibe sie stehen. Bald, Jann, zeige ich
dir ihren alten Friedhof hier: Doch es gibt keine Lebenden mehr, Erich, er
allein verwaltet die Synagoge. Du wirst ihn kennenlernen. Also hierher käme
der Messias nur wegen eines einzelnen. Im Dezember 1989 hatten für wenige
Momente vielleicht alle die Chance.
Alter Träumer.
In
der Revolution, dachte ich, sprach es aber nicht weiter aus: bricht die
Überraschung jenes Wartenden, bricht
jede Gewohnheit auf, die dieses Neue verstellt, doch was schon geschehen
ist, holt das Überraschende ein, vernichtet
es wieder.
Ich stieg aus. Nahm eine Faustvoll nasser
Erde und warf den Lehmklumpen auf das weiße Auto mit deutscher Nummer, das
mitten auf dem würzig riechenden Waldweg stand.
Der Blick verschleiert, feucht, grau an den Rändern, schon halb
aufgelöst das Bild und der Blick in die Ferne -
flache Berge, ein Dorf, ich buchstabierte "Dunnes-Dorf"; und
wir fuhren rasch ab, die große Distanz zu überwinden.
Dämmer im Kopf, schon als Junge, den ersten
Becher, Dreikäsehoch, und reichte mit den Armen grade eben hoch auf die
Tischplatte, da stand ein Weinglas, ich nahms und trank es aus, mein erster
Rausch, Nadescher Wein, mein Gott, das Künd, schrie die Oma, "Weinland", ha, und mit Großvater
im Koberwagen, Pferde schnauben, Pferdeduft, sie äpfeln, ich darf kutschieren,
Großvater zeigt es mir und zeigt auf die Kontur der Berge... und plötzlich erschrecke
ich, schmecke Weißwein auf den Lippen, Zähne am Glas, Weißer Speck und Brot im
Mund. Ja, wir sind da, in einem Jahr, in zweien, in hundert Jahren in
tausend, nahe am Herzberg die Kirchenburg von außen und abgezäunte
Treppen führen wie früher hinauf zu den geschwärzten Mauern, unser Pfarrhof,
ich hatte da mal mit Großvater gestanden, kam zu seinen Patienten, den Pferden,
Schweine quietschten, dieser penetrante Gestank der Ställe, Kot erinnerst du
am genausten, ach, die Madeleine, dort der Stall, ach, da waren wir drin
gewesen, aber der Koben ist leer alles so leer, daß auch ich kaum begreife, einfach den Kopf ducken, Staub
und alter Mist rieselt in den Nacken, Kitzel, stinkt, und du liegst auf den
Knien, Nichts wirklicher als ein Schweinestall im Traum... Meine Leute aber
hielten ihn für die größte Sünde, den Geruch, mein Hund nicht, mit Wollust
saugt er ein an Welt, wo sie am stärksten nahekommt, im Gestank, weiche
Materie, wälzt sich darin, der Schweinehund. Wir halten sie uns fern mit den Augen, alles
andere ist unfein. Großvater pflegte über sein Dorf zu sagen Augen schöne
Fensterlein, Augen.
Aber da hängt jetzt ein Schleier davor wie
der trübe Himmel da oben, die Augen: Vergeht es dir die ersten Häuser sind geduckt, siehst du
eines ohne Dach, und die Fenster
vernagelt aufgeweicht wie ein altes Hirn, die Straße inmitten und umgeben von
Grün, sieh da, ein Kessel Eden niedergehalten: die Mühle am Anfang sagte
damals der letzte Pfarrer, erzählen sie, dann hielten wir mitten im Kopf, die
Welt sei ein Dorf, ich wie erschlagen, die Leute auf dem Fußgängerweg
gegenüber, was meinst du die Frage ist spät: wer will der Natur dies bedeuten
letzter Gedanke an solch ein verwüstetes Wort. Und sie kamen auf mich zu zwei
Frauen die den großen Pfarrhof verwalten, sie kamen mit ausgestreckten Händen und offenen Gesichtern auf mich zu und führten mich hinein wo früher
Frau Mutter gewesen war.
Erst als ich die Silhouette der Burg sah,
unverändert alt, war wieder dieser Stich freudigen Erschreckens da.
Aber nicht das Leben, nein, ein Nie wird
euch gewonnen sein! Dann marschieret unser Zug ... ach, ich seh ihn vor mir, es
ist ja "Maifest" zuerst vom Marktplatz aus, von unserer Kaiserstraße,
dem Mittelpunkt der Stadt aus hierher, glotzend stehn Rumänen und Ungarn am
straßenrand, bilden Spalier, neidvoll. Sowas bringen die nie zustande, so ein
Schülermaifest, ein Scopationsfest; festlicher umzug und dann familienweise zur
Breite: Bier und Holzfleisch, das raucht und duftet, aber bitte keinen Waldbrand,
da gibt es extra Wächter: es ist noch nie vorgekommen! Wie wonniglich das
Maigrün: Immer: Wonnemond: Roter Mund der schönen Frauen. Familienweise über
die Attelshill, Attilas Höhe, Attila aus Asien war hier, geht die sage aus den
nibelungen not soll ja an der Hülle bei einem Gastmahl damals von einem sächsischen
Schützen zu Tode getroffen worden sein, Saga: ja, wir waren damals doch noch
gar nicht da! Alos mit Ochsen-Koberwagen vorbeifahren, und vorher schon am
Steilautürmchen das Grab des Türkischen Pascha passiert... Kichern. Das Heimweh
schlägt dir nicht gut an! Ich erinnere mich an einen Blitzschlag bei solch
einem Maifest, es war nachmittags ... aber wichtiger der Pascha, liegt unterm
Steilautürmchen samt seinem Elefanten, ein Goldschmied vom Gldschmiedeturm aus
soll auf diese Entfernung so treffsicher gewesen sein! Aber der Koberwagen,
auch die Ochsen blumen- und maiengeschmückt
(Rotbuche), so Ankunft auf einem eichbestandenen Plateau (Breite). Hatten eine
Laubhütte, Tische und Bänke, es wurde Bier getrunken; Holzfleisch gegessenen.
Der S.-Großvater hatte es organisiert, manchmal sogar für den ganzen
Jagdverein. Wer hat dich du grüüüüner Wald/aufgebaut so hoch da droben...
Großvater sehr eifrig. Er war in einer Wirtschaft. Jux. Latzi, der Laufbursch mußte
mithelfen. Stantepeh alles holen! Vormittags der Zug von Burgplatz und
Schulgasse – bis in die Schülertreppe hinein. Alles schwarz von Menschen. Wenn
es regnete die Pilze der Regenschirme. Blasiaständchen dem Stadtpfarrer. Der
dankt froh. Die ganze Schlerschaft in weißen Hemden, dunklen Hosen. Schon
einige in Braun. Koppel und so. Fahnen. Girlanden um die Brust. Ich hatt´ einen
Kamraden, inen bessern find´st du nicht!
Ich hatte einen Mitfahrer am
Steilautürmchen aufgenommen, der war neugierig, wollte wisssen, was ich da
suche, und sagte es auch gleich, daß ich meinen Vater suche, und der Andere,
natürlich ein Walache, meinte: Der wird sich freuen. Wollte auch wissen, wie
der Vater aussieht. Ich aber war abgelenkt, denn jetzt... Erst als ich die
Silhouette der Burg sah, unverändert alt, war wieder dieser Stich freudigen
Erschreckens da, also war ich kein lebender Leichnam, auch der Mitfahrer hatte mich ja
angesprochen, gesehn, tatsächlich, ich lebte, war DA! Und fühlte plötzlich auch
das Bild von Mama am Herzen, sie hat sich immer gern fotografiern lassen, nicht
wie die ganz Alten, die fürchteten, daß sie da eingeschlossen werden, eine
ganze Wand mit Familienfotos hatte sie in ihrem Zimmer, und ich dachte: Lauter
Tote, nicht mehr im Licht, nur noch auf diesem Papier. Oder?
Aber meinen Vater, den Herrn Vlad, kenne Se
den?
Nu, domnule, ich leb erst seit zehn Jahren
hier, ich komme aus Bistritz, Bistrita.
Ah,. Bistritz am Borgo Paß. Da ist mein
Großvater geboren. Da will ich hinfahren, obwohl der Großvater jetzt auch hier
ist! Ach ja und den großen Untoten!
Wer?
Ach, nichts, nur eine Phantasie... So ist
das, wenn man lang nicht zu Hause war.
Überall diese leeren Häuser. Unkraut,
zerbrochene Fensterscheiben... wuchert das Gras.
Die Sachsen ziehn fort. Ich bin einer der
letzten. Da sollen Sie mal sehn, wie es auf den Dörfern ist. Das zieht dir das
Herz zusammen... wie alles verfällt!
Und dann verabschiedete er sich ja, ich war
erstaunt, wie er plötzlich wie vom Erdboden verschwunden schien, das "Grüß
Gott" kaum hörbar.
Von der Albertstraße bogen wir in die
Holzmarktgasse ein; Und ich erkannte das Erinnerungshaus wieder;
grünverblichene Jalousien, wie altgewordene Augen, niedriges Gassentor,
gelbverblichener Zaun, Farbe vom Wetter verwaschen, abgeblättert: unser Haus.
Wieso steht es so vor mir, wie eine Kreatur und wie ein Schlag ins Gesicht. Im
Garten arbeitete ein Mann mittleren Alters, sah über den Zaun, mißtrauisch. -
Wer sind Sie, was suchen Sie? Ich zögerte, stotterte, sagte: Ich bin DS.
Freude auf seinem Gesicht? Kommen Sie bitte herein, meine Frau wird sich
freuen.
Er ist nicht mehr tabu, dieser Ort. Früher:
das Haus der Securitate. Der ehemalige Folterkeller daneben, der Schrei,
nachts, die frühere Landwirtschaftskammer, sie ist jetzt eine Klinik. Erinnerungen fließen, die Wand ist weg. Und
da bricht Wirklichkeit durch.
Ist sie zu stark, diese Wirklichkeit? Jeder
Stein ist nah und doch so fern, der Garten, wo ich mein gemietetes Auto parke,
komisches Gefühl, jetzt im Garten, wo der Birnbaum, der Apfelbaum mal stand,
die Laube, der Zaun zum Senator lang, jetzt mit dem Auto überfahren, die
gleiche Erde, da ist jetzt eine Art Schopfen, ein Hühnerstall mit gackernden
Hühnern, ein Hahn kräht, alles so furchtbar eng und klein, und doch so fremd,
was schimmert da durch? Das Küchenfenster mit dem Mauervorsprung, mein Gott,
ich taste mit den Händen danach, er ist immer noch abgetreten, damals von
meinen Kinderfüßen abgetreten, wir stiegen hier immer so zum Spaß ins Haus ein,
und erhielten dafür Prügel, wenn Mama uns erwischte.
Ganz scheu ging ich ins Haus, Herr Agapie
begleitete mich, ging mir voraus, als kenne ich mich hier nicht aus; Reise in
die Nähe, ins Ferne Land der Jahre? Die braune Eingangstür, das Schild
„Transsylvania Versicherung“ immer noch da, der Klingelknopf der gleiche, die
vier Marmortreppen, das Vorzimmer, der weiße Spiegel, alles noch da, die Tür
zur Diele, der Tisch, die Holztäfelung, und die Nische mit der Holzwand, den
Bänken, die aufklappbar waren, es sind, rings um den Tisch, wo wir meist aßen,
mit den Eltern und Großeltern. Das Speisezimmer, der Kachelofen, die Kredenz,
das Rauchereck, alles noch da? Wie ist das möglich? Nur – alles abgeschabt und
alt. Armselig wirkte es auf mich. Wir setzten uns an den Tisch, Frau Agapie
kam, begrüßte mich herzlich. Wir tranken Tee. Eine Zuika lehnte ich ab. Zu
früh. Fürchtete auch meine Sinne zu betäuben. Frau Agapie hatte sich fein
gemacht, geschminkt sogar, ihre dunklen Haare gekämmt. Sie sah mich noch
neugeriger an als ihr Mann. Beide sind Lehrer an der Bergschule, er war eine
Zeitlang auch Direktor, konnte aber kein Wort deutsch. Die Töcher, aber die
Töchter, sie studieren in Klausenburg, eine sogar Germanistik. Ich mußte
erzählen. Italien? Ja. Und weshalb nicht Deutschland. Ich versuchte es ihnen zu
erklären, sie verstanden es nicht, daß ich gewartet habe, also sozusagen in der
Vorläufigkeit gelebt hatte, jahrzehntelang, um einmal wieder nach Hause zu kommen,
mich sozusagen aufgespart.
Und jetzt kommen Sie also nach Hause?
Fragten sie verwundert. Wissen Sie auch, was Sie hier erwartet?
Ich erklärte
ihnen, daß mich Mutter geschickt hatte, nach den Gräbern und den Häusern zu
sehen.
- Die werden
jetzt entschädigt, zurückgegeben, das geht ja nicht, sie sahen mich mißtrauisch
an: die meisten Häuser sind ja vom Staat oder von Privatpersonen gekauft
worden, wir haben es auch gekauft, vom Herrn Machat, dem Sohn des Professors
Machat. Und der hat es von Ihrem Vater gekauft, als Ihre Eltern auswanderten,
samt den Möbeln.
Ich beruhigte sie, es sei Nostalgie, es sei Neugierde,
die mich jetzt habe zurückkehren lassen, und der Wunsch meiner Mutter.
Sie können aber gerne hier bei uns wohnen,
boten sie mir an.
Ja, ich danke ihnen von
Herzen, genau das wollte ich Sie bitten, wieder ein paar Nächte in meinem alten
Elternhaus zu wohnen, zu sehen, was für Erinnerungen da hochkommen. Ich möchte
darüber schreiben!
Wir wissen es, wir haben davon
gehört, daß Sie Schriftsteller sind. Und es freut uns auch, daß unser Haus
jetzt seine Vergangenheit zurückerhält, zurückerhalten darf … jetzt nach der
Revolution! Sie wissen es ja, wer vorher hier jahrelang drin war, welche Leute,
was für eine Institution, ich weiß… die Securitate.
Ich sagte, ich müsse mich
jetzt verabschieden, meine besten Freunde erwarten mich noch, der Herr Salmen…
Ach, der domule Salmen, der
letzte evreu von Schäßburg, jaja, den kennen wir. Und auch die Doamna Edith,
die Tochter vom Herrn Doktor, dem guten Arzt, ja, das waren noch Zeiten, als
der domnule doctor mit seinem Instrumentenköfferchen durch die Stadt zu seinen
Patienten radelte!
Agapie gab mir noch den
Hausschlüssel. Ich nahm ihn wie ein Geschenkt entgegen, und dankte
überschwenglich, zerdrückte eine Träne. Agapie sah mich mit einem ernsten Blick
von der Seite an.
Es ist fast wie ein Krankheitsgefühl, eine summends Empfinden
von Rekonvaleszenz, hier zu sein, hier, wo in zwanzig Jahren täglich meine Gedanken
in diesem Haus waren, Bilder im Kopf, Erinnerungen, nun wirklich hier sin,
keine Vorstellungen mehr, sich diese mit diesem Zimmer, der Diele, der Haustür,
der Klinke, dem abgetretenen Mauervorsprung im Garten am Küchenfenster
berühren, und immer wieder Szenen und Geschichten auslösen, Proust auf
aktuelle, ganz verrückte Weise, Waise? Summen, Erstaunen bei der
Wiederbegegnung, jetzt , als ich das Tor öffnete, das gelbe Tor, wie niedrig es
ist, alles kleiner als in meiner Erinnerung, vis-à-vis der lange Beton- und geflochtene
Drahtzaun zum geheimnisvollen Filipescu-Garten, gleich daneben das hohe
violette Haus, Dr. Flipescu, ein Arzt, man sah ihn nie, immer diese Stille,
Verlassenheit des Gartens, auch das Haus, die Läden früher, wie jetzt auch,
geschlossen, ich ging die Holzmargtasse
zur ehemaligen Ecatarina Teodoroiu-Strasse, an der Ecke die Camera Agricola,
auch sie früher Securitateunwesen, Schreie aus den Kellern,… ging die Straße in
Richtung Burg, mein ehemaliger Schulweg, dort das Heydelhaus, mit der Scheune,
wo wir Strohburgen, tiefe Gänge, Zimmer bauten, Doktores spielten, unsere Schwänze
besahen, abtasteten, mich der große Junge zum Homoakt zwingen wollte, den Arsch
hinhalten, komisch, wie oft mir das passiert ist, auch mit einem Freund in
Bukarest, dann mit einem Assistenten, der mich mit einer Hausarbeit zu sich
nach Hause bestellte… doch auch die Doris kam in unsere Heuburgen, und ließ
sich gern befummeln und der Versuch, die kleinen Schwänze in ihre V
reinzuzwängen mißlang auch nicht… aber
gleich gegenüber das Fielkschlösschen, ja, mit dem Türmchen, wo Max, der mit
dem Luftgewehr gewohnt hatte, und diese tragische Liebesgeschichte mit dem deutschen
Hauptmann, dem Meyer-Göring, und der Rosi passiert ewar, sich vor den Russen
versteckten, als die hier einzogen, ja, Die Eingeschlossenen von Altona in Schäßburg …
Ich sah auf die Uhr, ich war
andauernd stehengeblieben, es ist nun schon
spät, Adam wartet, sicher auch Edith mit dem Abendessen. Sie werden sich
wundern, daß ich immer noch nicht da bin! Hoffentlich ist ihm nichts passseirt,
ein Unfall? Werden sie denken.Und ich legte noch ein Bricket zu, nahm mir vor,
jetzt blind durch die Gegend zu gehen, sonst würde ich bis morgen Früh nicht
bei ihnen in der Hüllgasse
ankommen. Und ging schnell über den
Neuen Weg, stand nach acht Minuten schon
vor deRwackligen Toreinfahrt des von Regen und Wetter ergrauten „Blankens“, die
Entfernungen sind anders als in meiner Erinnerung.
Ich ging durch den langgestreckten Hof, sah
nochmals in meine Tüte, wo ich für Adam Bücher und für Edith allerlei
Sächelchen mitgebracht hatte, verlangsamte meine Schritte, wie armselig diese
Mitbringsel, die für sie so wichtig
sind, und ich erinnerte mich, wie
fremdartig, wie aus einem fernen Paradies, auch mir diese Westsachen einmal
vorgekommen waren, als ich noch hier lebte; jetzt freilich nahm auch hier
Gottseidank dieser Glanz ab, wurde langsam zum unmöglich zu erfüllenden
Bedürfnis; die Sachen lagen sogar in den Schaufenstern, doch niemand konnte sie
sich leisten; ich ging die drei
Treppchen hoch und stand vor Salmens Tür, klopfte… dann die große Begrüßung und Umarmung.
Der runde Tisch war gedeckt. Komm, nimm
Platz. Wie war die Fahrt. Der Flug. Wie findest du das Land. Salmen
überschüttete mich atemlos mit Fragen, als müßten die fast zehn Jahre seit ich
nicht mehr hier gewesen war, aufgeholt
werden. Damals, 1990, hatte ich mit Jann das Land besucht, 16 Jahre nach meiner
Ausreise, ich durfte nicht einreisen bis zur Revolution, ein Miltärgericht
hatte mich zu sieben Jahren Haft verurteilt: wegen illegaler Ausreise mit
Dienstpaß!
Salmen war sehr gealtert; und Edith auch.
Doch imme noch war er geistig voll da, seine Neugierde kannte keine Grenzen.
Ich sagte, ich könne mich nicht gewöhnen,
hier zu sein, es sei immer noch schwierig, diese vielen Zeitschichten, die über
meinem Gedächtnis liegen, abzubauen, es gelinge nicht.
Ich weiß, ich glaube es zu kennen, nur kommst
du jetzt von der Gegenseite, du hast es mir ja oft genug geschrieben, und jetzt
diese „postmoderne Gleichgültigkeit“ und Oberflächlichkeit, als ich bei euch
war, hab ich das auch gespürt. Und jetzt soll das auch hier bei uns so sein;
wir können uns nicht beklagen, wir sind arm, unsere beiden Renten reichen kaum,
wenn ich die „Wiedergutmachung“ nicht erhalten hätte, ich nicht auch aus Israel
Unterstüzung bekäme, könnten wir glatt verhungern. Ich weiß nicht, wie es die
Leute hier schaffen, aber du siehst immer mehr Bettler, und Straßenkinder,
verzeih, neben den herrenlosen Hunden, alle wühlen sie in den Abfalltonnen!
Jetzt sogar hier, nicht nur in den Großstädten, dort, in Bukarest vor allem,
ists katastrophal; noch sind wir also nicht in jener Gleichgültigkeit
angelangt, es ist noch immer alles sehr hart hier! Fast härter, sagen manche,
als zu Zeiten Ceausescus, weil alles offen ist, du darfst alles und kannst
nichts! Aber ich wollte etwas anders sagen, als ich 44 aus dem Lager, aus Transnistrien hierher
kam, da gingen mir auch die Augen über, ich konnte mich an dies normale Leben
einfach nicht gewöhnen, meinte zu träumen!
War
das also früher, als wir in Bukarest in die „Bomba“ saufen gingen, als Salmen
Bibliothekar an der Uni gewesen war, ich kannte den Kleinköpfigen, ein wenig
merkwürdig Totengesichtigen mit Hornbrille seit meiner Studienzeit, da war er
eine Respektperson gewesen, zeitweilig auch Direktor der
Fremdsprachen-Bibliothek, die er aufgebaut hatte; später hatten wir uns angefreundet,
als ich bei einer Literatur-Zeitschrift arbeitete und Autor wurde. War damals
noch die letzte „normale“ Zeit gewesen? Und es ging uns damals so „gut“?
Seltsam
vertraut und zugleich so fremd kam mir der alte Freund vor. Und Edith, mit der
ich ja verwandt war, sie aus der Kindheit kannte? Sie, die ein paar Jahre
Ältere, hatte mich damals immer etwas von oben herab behandelt: Na, wä giet et
Klenner? Und sächsisch zu reden, war mit einer gewissen Herablassung verbunden
in jenen gehobenen Kreisen, sie, die Arzttochter mit ihrer attraktiven, wenn
auch an Bulimie leidenden Mutter, die war eine bekannte Gesellschaftsnudel, die
Trudel der Stadt, mit edlem Kränzchen, da wurde nur deutsch gesprochen. Auch im
Haus wurde nur deutsch gesprochen, mit Hansonkel, ihrem Vater, dem Hausarzt,
sprachen allerdings alle sächsisch, er
gehörte ja „zu uns“, der Bruder der Ami, meiner Keul-Großmutter. Seltsam, auch
mit Ulrike, Ediths Schwester, die jtzt in München lebt, spreche ich nur
deutsch; sie können wohl gar nicht richtig sächsisch, genau wie meine
Kronstädter Großmutter, die sich auch für eine Adlige hielt, deren Ahnenpaß
verloren gegangen war, auch sie sprach
kein Wort sächsisch: Ühr müt eurem Düalekt! Und nun lebte Edith ausgerchnet mit
dem letzten Juden ihrer Heimatstadt zusammen. Schon lang, schon lang. Und er
soll furchtbar eifersüchtig sein.
Ich
saß gedankenverloren da, als wäre es mir unmöglich, in der Gegenwart anzukommen, das Bewußtsein dieser Präsenz
hier auch „zu halten“, immer wieder brach ich durch … Du bist doch hier, T.
wach doch endlich auf. Doch was tat Adam? Wahrscheinlich sind alle Menschen
kaum je wirklich in der Gegenwart und in der Außenwelt, nur einen Augenblich
da, und schon wieder „in Gedanken“ oder von Erinnerungen abgelenkt, ganz wo
„anders“!
Salmen
erzählte eben von seiner Tätigkeit in Budapest bei der Waadah. Auch von jenem
Besuch bei der Familie Mendel im Baruch-Haus, wo sie zusammen den Tikkun Chazot
gefeiert hatten. Als wir uns noch nicht kannten, war Salmen schon da, war in
meinem Erinnerungshaus. Es gibt so seltsame Zufälle und Fügungen. Berg und Tal
kommen nie zusammen, Menschen wohl, sagte er. Adam Salmen ist fest davon
überzeugt, daß all jene Gefahren damals nur besonders starke Gleichnisse waren,
Zeichen für einen viel größeren Willen auf der Bühne der Welt. Und schon in
unserer Bukarester Kellerpinte (unserer Stammkneipe "Bomba") hatte er mir geraten(denn schon damals
schrieb ich an diesem Buch), es doch wenigstens zu versuchen, wenn es denn auf
Deutsch sein müsse, das Exil in die Schrift einzubringen, utopisch im Satz, das
Exil, als wärs dem Tode voran, aufzuheben. Daran maß er alles.
Es
ist erstaunlich, daß ich so lange gezögert hatte, zurückzukehren. aber
inzwischen lebte er ja schon länger unter Sachsen, erkannte sich in unseren
Seelen aus und war verständlicherweise neugierig zu erfahren, was mit uns los
ist.
Er
sagte: Diese Unentschlossenheit, die hast du geerbt, transsylvanisch geschlagen
bist du, mein Lieber, Grünauge, sitzt du da mit zu kurzem Hals und fern der Heimat. Warum bleibst du nicht bei
uns? Manchmal kann er verletzend sein. er spürt jedenfalls die Ähnlichkeit, das
ist klar. Jann und Adam, beide weltgewandter als ich, was ich als Spott
empfinde, das ist nur die kleine Distanz, wie die meisten Siebenbürger,
verletzliche Bauern, schwerfällig und dünnhäutig, ein wenig naiv, leicht
reinzulegen. Juden, Reichsdeutsche, Rumänen – alle viel weniger, weltoffener.
Wir, die Klötze, vertrauensselig, sentimental, natürlich auch gerade und zuverlässig.
Laß
das Spintisieren, sagt Adam Salmen, der mit den dunklen Augen, der mit den tief
liegenden Augenhöhlen, wie ein Totenkopf, ja, dachte ich, uraltes Volk, man
siehts ihm an, allen sieht man es an, auch Edith sieht man die Herkunft an,
daraus haben die Braunen dann ihren Mord gemacht.
Warum
bemühst du dich nicht um eure Häuser hier? Es ist natürlich schwieriger als
Ausländer, müßtest die rumänische Staatsbürgerschaft annehmen!
Das
sicher nie mehr. Einmal reicht mir. Und die Häuser möchte ich mir zuerst einmal
ansehen.
Nur
Entschädigung steht dir zu, ich hab mich erkundigt. Entschädigung vor Rückgabe!
Aber das Sommerhaus könntest du kaufen, ich hab mit der Familie Wulkesch
gesprochen, sie wollen auswandern, hatten das Haus vom Staat gekauft.
Meine
Mutter hat mich gebeten, mich um die Häuser zu kümmern.
Na
also, sagte Edith. Wie geht es ihr? Grüß sie von uns, ich komme so selten zum
Schreiben.
Es
geht ihr schlecht, sie ist in der Klinik. Ihr Herz macht nicht mehr mit.
Ach,
ich mag sie sehr. Hoffentlich sehen wir uns noch einmal!
Aber
sie wird wohl kaum mehr kommen können. Warum fahrt ihr nicht mal nach
Deutschland?
Ach
weiß du, sagte Edith und hob die Schultern.
Ich
weiß mein Lieber, ich kenn dich, du "Waisenkind", auch du bist der
geborene Besucher. Und zitierte eine entlarvende Gedichtzeile von mir... Der
Grüne Wagen blüht mir, doch ich wollt ein Haus... Wirklich?
Spintisier
nicht, sagte Adam ein wenig ungehalten. Willst ein Haus? Naja, wer möchte es
nicht? Hab mich auch ein leben lang danach gesehnt, hab fünfmal meine
Bibliothek verloren, fünf Staatsbürgerschaften gehabt, immer auf der Flucht, es
begann 40 aus der Bukowina, als die Russen etwas lange blieben, kam nach
Siebenbürgen, nach Ungarn, nach Wien, dann nach Bukarest und jetzt bin ich
Gottseidank kein Bundesdeutscher "Wiedergutmachungsjude", haha.
Siehst du, was uns die deutsche Sprache alles schenkt, beschert oder befiehlt.
Das Alphabet prügelte mit einer mit der Lederpeitsche auf den Rücken, es steht
immer noch dort, willst du es sehn? Auf deutsch befahl er mir, mich zu bücken,
niederzuknien, den Kopf zu beugen. Auf deutsch kam das Kommando: Feuer bei
vielen Verwandten. – aber laß das jetzt, Adam, überredete er sich: Die Träume
arbeiten für dich. Und du, T., weißt es auch. Hier, nimm das Nächstliegende,
schreib und sprich von einem ganz besonderen Haus, sprich zum Beispiel vom
haus, das wie eine Frau sein soll, freilich – in jener anderen Sprach, der
haßgeliebten hebräischen, unserer Sprache, die den deutschen
Minderwertigkeitskomplex so tief berührt. Ihr könnt es nicht verkraften, daß
wir nur zu Gast auf der Erde sind, dagegen kämpft ihr ein Leben lang, es nicht
annehmen zu müssen, ritter, Tod und Teufel, diese gigantische Angst, weise
sein, weise werden zu müssen, der trotzige deutsche Kindskopf, ich darf es wohl
sagen, T. gestatte, ich weiß es auch aus der Literatur, aus den Volksmärchen
sogar, aber auf meinem Rücken stehts genauer und deutlicher noch, die immer
noch nicht vernarbte Konsequenz. Unsere guten Rumänen hier, auch die Juden, die
bei Gott keine Engel sind, sie haben gelernt, sind so lange geschlagen worden,
jahrhunderte-, jahrtausendelang – bis sie den Tod annahmen. Und nun gehört auch
ihr Sachsen dazu. Doch wollt ihr das nicht annehmen, desertiert aus eurem
Schicksal in neue Überlegenheit, ins reiche Deutschland! Immer die Sieger, auch
in der Niederlage! Die Weisheit der Verlassenen, Verratenen, Vergessenen nehmt
ihr nicht an! Aber habt ihr sie, unsere Brüder hier zu Hause, nicht auch
verraten und verkauft, verlassen, sag?! Du gehörst hierher, nicht nach Italien,
dein Ausweichquartier.
Ich
weiß, ich nehme meine Schwäche an, diese Wohnung im Diesseits, sie ist
friedlicher hier, eine Wohnung im Wind, wie der hebräische Buchstabe Beth. Ein
Haus dieser Art hatte ich ein Leben lang; sag doch mal BETH, es ist ein
Lippenlaut, ein Zeichen wie ein Urknall, freilich nur die Lippen, die aber
aufgehn wie eine Rose, lach jetzt nicht, wie eine Rose oder wie eine weibliche
Scham, um jemanden hier einzulassen, einen Gast in diese Welt, die sichtbar
ist, ein Haus, in dem wir wohnen können.
Ich
leb jetzt in diesem "Kotez" hier, aber hier ist das andere Haus näher
als im Westen. Die Stille, das Nichtsein von vorhin wird durchbrochen, es ist
wie die Wiederholung des Schöpfungsaktes im Kleinen. Und du, T., ich kenn dich
gut noch von hier, von Bukarest, erinnerst du dich an unsere Wodkagelage in der
"Bomba"? Immer hast versucht, an dies zu glauben, sogar in der Zeit,
als du den Überzeugten spieltest. Versuchs auch jetzt, das ist das Haus, nach
dem du dich sehnst. Ist nicht unser ganzes Elend dies, daß wir alles viel zu
wörtlich nehmen, "dingfest" machen wollen. Und deine "Vaterlandstage
oder Die Kunst des Verschwindens" hab ich mit Genuß gelesen. Du kannst was
in der Literatur. Kannst du es auch im Leben? Je kleiner, ja leidvoller und mit
allen Sinnen und deinem ganzen Sein erlebt das Haus ist, um so näher ist Er!
Wie tief geht dir dein Haus in Italien?
Weißt
du, wo Er mir am nächsten war? Damals in Beton eingemauert, ja dort, du weißt,
dort im Straflager, nur der Kopf noch frei, da ertrug ichs. Sommer. Um mich
Gras. Blumen. Fliegen kamen; ein Schmetterling setzte sich auf meine Stirne,
flatterte, sah die zerbrechliche Figur, sah die zarten, fast durchscheinenden
gelben Flügel, ein Punkt: wie ein Auge aus Farbe. Ich war da. Ja, ich war mit
ihnen. Mein Herz schlug. Entweder du lebst oder du bist tot, dazwischen gibt es
jenen Zustand der Tortur, aber der vergeht, nach einer gewissen Schmerzschwelle
bist du fühllos und bewußtlos; das Wachsein ist wie eine Strafe. Ich schlief
stehend im Beton, Beton hielt mich aufrecht, trug mich, schien sich an mir zu
wärmen, ich leckte gelegentlich an ihm, rauh, kalt war er, und doch gehörte der
zu mir, er war von dieser Welt. Ich liebe sie, diese Welt. Hier, wo ich jetzt
lebe, gibt es sie noch. Du weißt, ich habe damals, als ich auch zu dir nach
Italien kam, K., einen Freund, einen "Wiedergutmachungsjuden" im
Schwarzwald besucht. Er weinte, als wir uns in die Arme schlossen. In jener Öde
des Schwarzwaldes gibt es die gefühlte Welt nicht mehr. Manchmal sehne ich mich
in jenen Betonblock zurück, wo die Herzen noch heiß waren. Dort verglich ich
nie. Hier werde ich gezwungen zu vergleichen. Alles ein falsches Vergleichen.
Ja, es ist wahr, der Schmerz dort war wie eine Auszeichnung, er wurde von den
meisten auch so getragen. Jene, die klagten, täglich sagten, sie seien doch
unschuldig, ja, weshalb habe es gerade sie getroffen, was wird noch sein –
jene, die sich ausmalten, was ja eigentlich schon vergangen oder im Vergehen
war, starben unter Qualen.
Adam sagte das ernst, seine großen Augen
sahen mich an, ich erschrak, denn so hatte ich ihn noch nie gesehen. er war mir
immer etwas ängstlich und schwankend vorgekommen, unentschlossen, ratlos oft.
er war mir vertraut wie eine eigne Krankheit – sein ewiges Verschieben, die Vorläufigkeit,
in der er sich einrichten konnte, seit langer Zeit nirgends mehr fester Boden
unter den Füßen, Zuhausesein vergessen, nur noch eine alte Erinnerung. durch
ihn schien es, könnte ich auch wie in einem Vorbild, in einem Menschen aus
Fleisch und Blut dem begegnen, was sonst
nicht faßbar war, was uns zu Verspäteten gemacht hatte, die der Zeit mit
hängender Zunge nachlaufen mußten, unzufrieden und gehetzt. Trug Adam die
Ursache unserer Qual, die der Grund heutiger Schwäche überhaupt ist, in sich? Ich
sah ihn von da an mit anderen Augen: wirkliche Gegenwart, dies starke
Anwesendsein, das aus Schwäche immer wieder versäumt wird, wie er sagte, weil
sich die Versäumnisse angehäuft hätten und so brackig würden. – Und das, mein
Lieber, das nennen sie dann LEBEN, wagen es so zu nennen! Die Hoffnung ist zum
Warten geworden, in tödlicher Gefahr, denn alle schlafen, dabei gäbe es eine
ungeheure Arbeit zu leisten heute, sagte er. Das Rätsel des Todes selbst muß
entschlüsselt werden... daß es ihn nicht gibt, da wir schon längst hinüber sind
und es nicht merken!
Nur wer ernsthaft
Widerstand leiste, der lebe aus. Heute hieße dieser Widerstand Verzicht,
Ablehnung des gesamten Lebensstils der Kloake, die nun auch hierher überschwappe.
So redet Adam K., mein alter Freund, dem ich
ein Ziel verdanke.
Als ob mich auch
heute wieder im Zwischenzustand von Schlaf und Wachen etwas angerührt hätte,
das wie ein Buchstaben war. Sah dann, wie so oft, eine meiner eignen
Manuskriptseiten, schien in ihr zu verschwinden, da gabs Türen und Fenster,
Stiegen und Zimmer, aber alles war sanft-unwirklich, löste sich auf, vertraut
und quälend und war wie hier in S., wie oft im Ausland????? stand ich im Hof,
die Sonne schien aufs Dach des Schopfens, Klogerüche wurden spürbar, ich
rutschte das schiefe Dach des Mendel Baruchhauses hinunter, die Ziegel waren
heiß, ich pflückte neben dem Gras ein großes M. Adam stand da und sagte: Siehst
du, Muttersöhnchen, mußt es nur umkehren, ist ein E wie Widerstand. Dann
plötzlich ein Brand, hoch schlug die Flamme aus diesen Seiten.
Ich
fuhr schon nach drei Stunden wieder ab. K. hatte diesmal bei mir einen
schmerzlichen Eindruck hinterlassen, so stark war mir die Distanz zu früher,
der Kontrast zum alten K. bisher nie aufgefallen. Ich hatte ihn auch zum erstenmal
nach seiner Emigration in Deutschland erlebt, sonst immer nur in Bukarest. Es
gab ihn nicht mehr.
Wenn
Adam so sprach, verstummte ich, fühlte mich in einem höheren, in einem
vertrackten Sinn als ein Sohn Adams, ein mißratener Sohn und mache "das Gesicht",
wie Jann es nennt, eine Mischung aus Niedergeschlagenheit, Kleinmütigkeit und
hilfloser Verehrung, aber vielleicht auch ein verdächtiger latenter Haß auf
jenen. der mich zerstört hat, obwohl ich es völlig richtig und in Ordnung
finde.
Den
ersten Abend verbrachte ich also mit Adam und Edith in der Hüllgasse. Und erst
spät kam ich wieder auf den Holzmarkt. Agapie hatte mir den Schlüssel gegeben.
ein seltsames Gefühl, den Schlüssel zu diesem Haus zu haben. Ich faßte ihn fest
an, er bewegte sich in meiner Hand. Ich ging vorsichtig, um niemanden zu
wecken, die fünf Treppenabsätze des Hausflurs hinauf ins Vorzimmer, wo immer
noch die weiße Kleiderablage mit dem runden Spiegel stand. Jede Berührung
brachte neue Erinnerungen, ja Träume hoch, so daß ich meinte, durch ein
Dickicht von Eindrücken zu waten. Hier in diesem Vorzimmer handelte ein Traum,
den ich nicht mehr vergessen kann.
Die
Stadt hatte sich ja mit Träumen vermischt, als gäbe es Substantive vor einer
Bahnschranke, dahinter Hügel, niedrige Häuser, ein Kreuz, Schanzgraben,
Katzenköpfe, Wiesen gelb von Primeln, Frühjahr, Rauhreif, auch an den
Telegrafenmasten, auf den Drähten, alles tropft ins Jenseits, und in den Türen
auf der Gasse große Liebespaare. Dann diese Schranke, die sich hob, donnernd
für ein Güterzug mit Panzern vorbei. Ein Leichenwagen schien alles
einzusammeln, Gras für Gras, und darüber flirrten die grünen und farblosen
Libellen. Heiß der Stein. Und ich fuhr über die Brücke, das schwarze Auto blieb zurück, konnte nicht folgen. Ein schmaler
Weg führte zu einem Haus, die Tür stand offen, ich trat ein. Da war das
Vorzimmer meiner Kindheit mit dem Spiegel, ich sah hinein und sah dort einen
Bekannten, Niemand; ich war also da. Nicht? Mit einem harten Schlag fiel die
Haustüre zu, und ich erschrak gar nicht. Draußen hupte es unterdrückt,
Kastanien fielen prasselnd vom Baum vor dem gelben Zaun, Staub wirbelte auf. Da
kam aus dem Speisezimmer durch die Diele ein Fremder, er ging auf mich zu und
sagte, ich müsse ausziehn. Ausziehn? Nein. mich ausziehn. Und schnell
entkleidete ich mich und fühlte mich so nackt sehr leicht. Auf der Terrasse vor
dem Haus standen schon andere Leute, ebenfalls so ausgezogen wie ich, zögernd
standen die da, die Terrasse hatte kein Geländer mehr, nur der Maulbeerbaum sah
über den Rand, man erkannte die Krone. Die andern sprangen einer nach dem
andern in den Abgrund. Ich schaute ihnen nach, aber sie stürzten nicht, sondern
sie schwebten...
Ich
ging leise, um niemanden zu wecken ins "Herrenzimmer" und legte mich
ins "Galabett". Im Halbschlaf kamen die Bilder...
Viele
Beete, Levkojen, Stiefmütterchen, aber auch Spargel und Krautköpfe, Petersilie,
Möhrenbeete, Eiersuchen zu Ostern, die eier in Büschen versteckt, Flieder,
Pfingstrosen, Bajariesen. Warten auf den Heiligen Geist zu Pfingsten, Zittern,
wenn die Dienstmagd Roszi den Rock hob. Oder Mariechen nackt in die Wanne stieg
und wir am Schlüsselloch zusahen. Wenn wir ein Osterbild mit der Leica
schossen, dann zwitscherte die schöne Minch: Achtung, jetzt, da kommt das
Vögelchen. Joi.
Jetzt
fand ich nur eine kalte abweisende Wand, die Augen sehn zwar diesen Zaun, wo
einst der Rappe des deutschen Hauptmanns stand, aber ich sehe alles wie durch
mattes Glas; der Rappe wiehert, der Bursche striegelt mit einer harten ovalen
Bürste den Pferderücken, der deutsche Offizier hebt mich aufs Pferd: ich reite.
Vier Jahre später zogen Russen durch die Gasse, ein Major kam ins Haus,
Erschrecken, aber er verlangte nur weiße reine Leinwand, ein Flintenweib hatte
geboren, die Nachgeburt, das Blut da auf einem der kleinen Panjewägen, Stroh,
Klappern, endlose Kolonnen von Panjewägen, die durch die Albertstraße zogen,
arm; bei den Deutschen waren es Panzer, waren es Kradräder gewesen, die rasten
da die schnurgerade Straße entlang, berührten kaum den Boden, flogen, sagte
Mutter, durch die Kindheitsstraße, wo der Kastanienbaum fehlt, jetzt ist die
Staubstraße asphaltiert; keine Bilder kommen, nichts regt sich; sie kommen beim
Wachliegen nachts, das Kissen am Kopf, weich, ein Tier, das alte Schlaftier, und
der Rost der Eisenstäbe und Gitter der Laube, an der zarte hellviolette
Klematis hochwuchs, rissiger Holztisch, sein Rund, diese rauhe Oberfläche an
der Hand, sie kommt hoch, die Schaukel am Apfelbaum, niedere Äste im Beet,
Astern, Löwenmaul gepflanzt nach der Schnur, Erdgeruch dick, und weiße
Engerlinge, die sich winden, am Kopf bräunlich wie Zacken die Freßwerkzeuge, er
wird mit der blitzenden Klinge der Schaufel halbiert, windet sich in der Furche
des aufgegrabenen fettigen Beetes; wir lebten, wir waren da, Prickeln, die
angst im Bauch, in der Nase Schulbodengeruch, schwarz... Und in der
Speisekammer der alte dimpige Geruch nach Mäusen, das Badezimmer...Und die Oma
sagte: Schön warm, graulst tea net, menj Jang. Nor, antwortete ich: Genau in
diesem Zimmer!
Ich
hatte damals Fieber. Lag im Wickel. Heiß. Dunkelheit als "Pelzkugel auf
der Zunge", aber der Kopf dick, wächst wie eine Wasserkugel, die ich im
Hohlraum am Gaumen und an der Zunge schmecke, der Kopf ist auf der Zunge
riesengroß, summt, er, auswärts gewachsen ein Ozean, der Wassergeschmack.
Wie
ein Säugling gefesselt. Es war heiß. Roszi in rotem Rock und schwarzem Leibchen
an meinem Bett, wie sie mir Märchen erzählte, Märchen von den Nénis, die
fliegen können, und sie hob den Rock hoch, um mir zu zeigen, wie man fliegt,
und wollte mein Pimmelchen reiben, wollte es rein haben in ihren Zwiebelduft
und das Gewächs zwischen ihren Beinen. Ich aber fand das große mondene Gestirn
viel schöner. Auf dem Kasten lag Vaters Violine, klirrte und summte, wenn ein
Wagen auf der Straße vorbeifuhr, klirrte und summte wie in meinem Kopf.
Mein
Körper ist zerschlagen. Mutter fühlt meine Stirn, sagt: Du glühst ja, mein
Junge, du glühst ja wie Kohle, glähst jo wä Kiel!
Es
tanzt ein Bibabutzemann in unserm Kreis herum, wiederum. Schweißnaß wälze ich
mich im Bett. Habe einen Wickel um den Leib und muß schwitzen. Die Uhr tickt.
Und es summt im Raum. Viele Stimmen aus dem Speisezimmer. Einer erzählt ausm
reich. Licht kommt näher. Der Kopf wird dick wie eine Schweinsblase. und wächst
und wächst, ob sie bald zerplatzt? Ein Wassergeschmack wächst, eine Wasserblase
ist innen, das Ohr weich, auf weichem Hasenfell, ein Tier, eine Katze in mir
schnurrt und zirpt, eine große Muschel wie die auf Omas Spieluhr, die klimpert
los: Üb immer Treu und Redlichkeit bis an dein küüühles Grab... Und das Zimmer
wird rund zirpt im Blut wühlen die Tiere und dann galoppiert Otatas fuchsrotes
Pferd durch den Kopf, redet wie Fallada, da du hangest... und das Pferd dampft
wie der rote Kupferkessel im Badezimmer, Brüderchen und Schwesterchen kochen im
heißen Wasser...
Ich erwachte dann
"wirklich", es war spät, ich rieb mir die Augen, war erstaunt hier zu
sein im alten Herrenzimmer; wachte ich oder träumte ich? Nein, ich war da, ich
ging ins Bad, duschte, und
frühstückte; die netten Lehrer sind in
der Schule; sie haben mir im "Speisezimmer" schön gedeckt. Damast. Ich bin
"Ehrengast". Im Kühlschrank finde ich wie früher Butter und Milch.
Ein Pferdewagen rollt eben vorbei. Und ich denke daran, daß sich kein Bogen
schlagen läßt ins Vergangene, zu 1944 oder zu 1950, als wir hier wohnten. Der
Abgrund unübersprungen: Nur Worte fallen mir ein, auch hier im "Speisezimmer".
Gelber Kachelofen, der summt nicht wie früher, die Glas- und Schiebetüre zum
Herrenzimmer ist offen, alles noch da, die Vorhänge, das Rauchereck, sogar das
alte Spiegeltischchen meiner Mutter, braun, an das ich fasse, als wollte ich
so den `Durchbruch` erzwingen, die Zeit zusammenfallen lassen in einer Fingerberührung, Kindermagie. Obwohl die Agapies, sich rührend
bemüht haben, alles so zu erhalten, wie es einmal war, weshalb eigentlich? -
ist über allem eine fremde Schicht von Unerkennbarkeit, die Jahre, die Atmosphäre;
es sind nicht nur die Nägel, von Securitateleuten, die einmal hier
gewohnt haben, in das Furnier der Schiebetüre geschlagen, oder die Parketten,
die von ihnen mit Linolöl eingelassen, nun schwarz wie ein Schulboden aussehen,
nein, es liegt auch in mir selbst... "Zu Hause" in der Holzmarktgasse...?
Frei, nicht in der Zelle? Ja, etwas hat sich in mir verändert: die Angstwand
ist weg. Die gibt es nicht mehr. Diese Kluft, dieser Abgrund zu unserer
Kindheit, die Folterer hier, die Securitate gibt es nicht mehr, im Kopf aber,
ja, da ist sie noch, wie Mircea, Mircea, der arme Selbstmörder...
Eine Woche nach Mirceas Verhaftung holten
"SIE" auch mich. Das Verhör
am Anfang, das Verhör. Du zitterst in den Worten. Du schreist. Ich weiß nichts,
schreist du. Du weißt, brüllen sie dich an. Wir wissen es, daß du es weißt,
red, du verdammtes Schwein! Wo ist dieses dreckige Buch, wo ist das Manuskript
von Mircea? Er hat alles gestanden, er hat alles gesagt, wir wissen alles,
hier... und der Knollengesichtige zieht eine Schublade auf, hier, siehst du
dieses Protokoll, da steht alles schwarz auf weiß: steht; bestätige es und du
bist frei. Frei! Wo hast du es versteckt, dies Drecksmanuskript. Dein Freund
ist längst dort, wohin er hingehört: du weißt, die Hölle, der Kanal, du, sein
Komplize, du weißt. Die Hölle der Kanal. Du, sein Komplize, Staatsverrat, rede
oder du darfst ihm Gesellschaft leisten. Und so war es dann, auch ich kam für
eine Zeit in diese Wahnsinns-Mühle der
Securitate.
Mein
Schatten damals ... er wirkte schmuddlig, das Haar fiel ihm ungewaschen in die
Stirn ... aha, der Teufel aus den Dr.
Faustus. Ein Strizzie es stellte sich tatasächlich heraus, daß diese staatliche
Unterwelt. Eine Art Pakt mit mir wollte... Ich sollte Zeno verraten.- Alle
Freunde verraten. Kannst es nicht
verhindern, daß sich ein komplicenhaftes Verhältnis einstellt zwischen dir, dem
Verhafteten und den Geheimdienstleuten.
Ekel steigt hoch. Und du machst
doch mit. Fast untertänig. Lieferst dich ihnen aus, akzeptierst langsam
den Zustand, hoffst es sei nur ein 'Versehen', sagst es, beteuerst deine Unschuld. Und ärgerst dich gleichzeitig, daß du sie
heranläßt an dich so nah heranläßt an deine Zustände. Sie kennen den Zustand. sie brauchen deine
Angst und Unsicherheit, die Straße durch
die das Auto mit den zugezogenen Vorhängen fährt, hat sich verändert. Die Geräusche scheinen gedehnt, zugespitzt,
so, als wärst du krank, die ganze Welt ein Krankensaal. Autohupen, wie herausgeschnitten aus der
Außenwelt. Du gehörst nicht mehr dazu, diese
Straße rückt weiter und weiter, die Leute wie in einem Stummfilm. Vom gewohnten normalen Leben bist du durch
eine unsichtbare Wand getrennt. Kinderwägen,
Sonne draußen, Autos fahren fast lautlos vorbei, zwei Männer streiten, ein
Lieferwagen hält, ein Brautpaar steht dort am Kircheneingang der Kathedrale
mit Familienbegleitung, mit großen gelbroten Sträußen sie schienen mich zu
bemerken, erstaunt, ironisch, ja höhnisch, ausgeschnitten war alles, wie nicht
zueinander gehörend, furchtbar vereinzelt und einsam unter diesem grauen
Himmel. Es nieselte. Der Wagen fuhr durch das Tor, das Tor wird
geschlossen. Die Treppe, die ich hinter
Jordan, so hatte der Schmuddlige sich vorgestellt, hinauf führte eine
elektrische Nerventreppe... Als wärs nicht mehr eine Treppe, wie ich sie bisher
gekannt hatte, sie f iel aus dem Namen.
Ich sagte "Treppe", um sie , zu sich zu bringen, es half
nichts. Das Wort war sinnlos, abgezogen,
ohne Bedeutung.
Und atemlos war ich auch, als sie
mich dann holten.
Ein Abend wars, auch diesmal mit Adam, es war
in unserer Lieblingspinte, ein fensterloser Kellerraum, als wär die Zelle schon
in uns! Adams Gesicht vor mir, Adam mit der runden Omabrille, wie eine doppelte
Lampe die dunklen Augen. Adam, der mit der Plötzensee- und Sibirienerfahrung.
Auch er erzählte gern. Und dichtete. Und so war er am Leben gebllieben „Nur so
kannst du mich jetzt noch vor dir sehn, Herr Genosse!“ So alberte er mit dem
tödlichen Ernst. Doppelbödig seine podolisch-jüdische Intelligenz In den Augen
immer ein kleiner Schalk und ein großer verborgener Blitz. Wir tranken aus
Wassergläsern Moskowskaja Wodka. Er erzählte von Eliade, „was du kennst „Pe
strada Mântuleasa“ nicht?“ und dann flüsternd: „ Du mußt die Geschichte
unbedingt lesen, es ist so, als wäre es deine und Mirceas Geschichte!“ „Meine?“
„Ja“. Und Adam sah mich komisch von der Seite an: „Da ist ein Held, der
andauernd Geschichten erzählt, die SIE zu entschlüsseln versuchen, die
Geheimpolizeiphilologen.“ „Die Geheimpolizeiphilologen“? „Ja. Du kennst sie
noch nicht?“ Und wieder sah er mich an, als wäre ich ein Baby. Und so war das,
als wir dann hinaustraten auf die Straße, wer hatte mitgehört? Wurden wir beide
verhaftet, in ein Auto gestoßen und in Calea Victoriei zur Hauptmiliz, wo
damals auch die Securitate mitresidierte, gebracht.
Und wurden in einen kahlen Raum
geführt. Nur ein Tisch und zwei
Stühle. Die Verhörlampe. Ein Fenster, darunter gehen die Neuverhaf
teten in furchtbarer Erregung unruhig hin und her. Du mußt stundenlang warten. Dann beginnen dich zwei Sicherheitsoffiziere, die sich nach zwei Stunden abwechseln,
pausenlos zu verhören. Wo hast du die Schmierereien versteckt, du weißt, welche
ich meine!!Sie waren versessen auf unsere Zeilen, wollten Mirceas geschriebene,
und meine noch ungeschriebenen Texte. Wo hast du die Schweinereien, wir wissen,
daß du weißt, wo sie versteckt sind.
Wortsalven
gingen auf mich nieder: Du lügst! Ich weiß es nicht. Du lügst.Ich hab nichts geschrieben Du lügst,
du Schmierer, Schreibbandit. Du lügst
wie gedruckt. Angst hielt mein Lachen zurück.
Sie
ließen mich nicht schlafen; ich mußte mit dem Gesicht zur weißen Wand
stehen. Die Wand wurde weiß, wurde
schwarz. Ich sollte nachdenken, ich
sollte dort an der Wand 'die versteckten Zeilen´ wiederfinden, sagten sie. Schlaffolter.
Davon hatte ich schon gehört. Die
Lider werden schwer, der Kopf sinkt auf die Brust, die Kniee knicken ein, dann
schreckst du hoch, schwankst, doch du fällst nicht um.
Grab
ein Loch im Weiß der Mauer, das flimmert, und da kann ich durchgehen, es
blendet, es reißt ein, wie Papier, denk ich, dreht sich wie rasend, ich seh die
ausgerissenen Ränder, als hätte einer einen Stein durch eine Papierwand
gewendet ...
Und auf der Wand vor mir, über dem Loch erscheint
eine Schrift, Stille. Wie ein Abreißen
des Zeitfadenn, Heller, schmerzender 'Ton im Ohr. Ich weiß plötzlich, und dazu ein vom Bauch
zur Kehle an den Nervenbahnen hochsteigendes heißes Strömen, das den Körper mit
Angst anfüllt, Überflutet. Und Sand, im
Kopf, zwei Nächte haben sie mich nicht schlafen lassen. Schlaffolter nennen sie das. Dabei ist mein Körper von der fürchterlichen
Prügel bei der Einlieferung noch ganz wund.
Und die Eisenfessel an Händen und Füssen brennt wie Feuer. Und wieder sinke ich hinab, gottseidank. Und Er frägt auch schon. Du bist schuldig, hast dich gegen Mich vergangen. Rede! Wer hat dich verführt. Ich weiß es nichtl Natürlich weeißt du es,
Elender, Verbrecher, Verräterl Du weißt es nicht, Freundchen, wir werden dir
das Lügen schon austreiben. Aber Ich bin
unschuldig? Was, du behauptest auch noch
unschuldig zu sein? Wärst du unschuldig,
wärst du doch nich hier. Was glaubst du,
verfluchter Kerl, wir machen je einen Fehler, wir wissen nicht Bescheid, wenn
wir zu diesem ORT verdammen, und wen nicht?
Und du weißt es genau, gib zu, wer hat es dir gesagt, wer hat dich gegen
uns das versuchte verräterische Denken beigebracht, wer, gesteh, wenn du
gestehst, ist deine Strafe milder. Los,
bekenn, wer war es? Nenn die Namen, los,
sofort. Aber ich weiß es doch nicht, ich
zerquäl mich, martere meine Gedanken, ich denk an Dich, Herrgott, und find nur
ein großes Loch, eine leere Stelle, mein Gott im Kopf. Ich weiß es nicht.
Wieder lügst du. Ich
weiß genau, daß du es weißt. Los,
bekenne. Wir haben auch noch andere Mittel!
Hier, hier, sieh, dies ist deine Akte , da steht alles genau. Wir wissen alles. Und du, du Elender, mußt nichts anderes tun,
als zu deiner gemenen Schuld, bekennen, Uns und niemanden sonst, und nichts
sonst...und keine falsche Bewegung, Kerl, sonst wirst du gerichtet, die Wand
steht, das Kommando "Feuer!!!" kann jede Sekunde gegeben werden. Merkst du denn gar nachts, bist du
blind?! Du stehst schon längst an der
Wand, die Augen nicht verbunden, aber das Blenden, das Blenden, das Licht ist
unsere Gnade, daß Morgenrot unserer Fahnen ...
Fehltr „unsinn“
Es ist der
Kommentator meines abgelaufenen Schicksals, hab ich auch Mama gesagt. Und die zum Bewußtsein erwachte Besinnung
jetzt, wenn ich hier drin in meinem Anwesen bin, mich wieder gut und in Ordnung
fühle, kommt zu spät, und muß dieser unwiderruflichen Vergangenheit entgegensehen,
erinnert, Herr Todt. Ohne dieses
Medikament, diese Droge, Mutter, Vater: DORT!, kann ich nicht mehr leben, geh
ein, bin auf dem Trocknen!. Jetzt hör
ich endlich wieder die Vögel auf den Apfelbäumen singen. Gewundene Vögel, Reste einst selig gewesener
Menschenseelen, die weiter strahlen. Und
an der Stelle, wo das Kind war, ist die kleine Insel, mit Vergißmeinnicht bepflanzt,
blau, hör, hör, es klingt wie früher, Erlösersymbole im Gras. Kehrs nie um, lies nie wie in der wahren
Bibel hebräisch, die Wahrheit käm raus, Herr Todt. Am liebsten diese Gespräche in der Lücke mit
Mutter vor den Andern, die wie ein Diskusmesser durch den Kopf gehn ... Furcht.
Sie sehn subatomar, sehn durch die Mauer, alle Schwingungen, auch die
unsichtbaren. Sprech ich mit ihnen durch
Telepathie, wirds erfahrbar. Stimmlich
in mir. Doch tuts weh. Ein Zwitschern und Surren im Kopf.. Summen.
Und das wächst enorm. Wassergeschmack
vor dem Einschlafen. Doch red ich mit
Mutter (ach, bin ich ein Todesmuttersöhnchen? Wieder rein, woher ich gekommen
bin: dute in aia a mási? Fluich, geboren zu werden?), wenn ich mit ihr rede,
kommt einiges raus, was auch stundenlanges Brüten verheimlicht, Stirn eng, der
Ring. Gedankenverfertigung, sprechend. Erzähl, sagt sie, wirst gesünder; das hat sei von ihrer
Mutter! Und als wir im Garten unter den
Apfelbäumen spazieren gingen, standen Arbeiter im Gras, schaufelten was nah am
Teich, der Kies knirschte unter unseren Sohlen.
Vogelstimmen, Frühling. Autos
hörbar auch. Und Redelust des Verbindenden,
das freut. Sagts auch ihr! Und auch Vater, der immer dabei ist! Machte mir Spaß. was siehst du dort im Gras,
Todt? Ich: Besondere Schattiergngen.
Wegen dieses Buches, als wäre es wirklich, und
eine TAT, daß ich wegen ihr verhört werde?
Von der Securitate. Und sie
drohten und schlugen: auch die wollten wissen, wo DAS BUCH sei. Wo ist Mirceas Buch, du Schwein!? Stand im kahlen Zimmer, Autos hupten von
draußen, einzige Verbindung zur Welt, ein Summen, saß da, betäubt:
Über diesen Graben
sollte ich jetzt springen. Zu spät!
"Normal" werden. Nein, eher ein Verlust des letzten Alibis,
nicht leben zu können. Ein Emigrant in Pension. Soll ich wieder wie früher
sehen können, riechen, als wäre sie mein, diese damals so jungen Sinne: Da, ein
Stück blau Wand, alte Ölfarbe, oder ein vergessenes grünes Fliegengitter am
Fenster, die braune massive Eichentür, daran das Schild TRANSSILVANIA,
Einzeldinge, Eindrücke strömen, Zeit
noch, bekannt also, doch es bindet sich nichts, fällt aus dem Augenblick,
Alltagsgefühl: heute. Nur die Namen sind da: Filipescu, der Nachbar, Kuales,
der mit dem Wolfshund, Bellen nachts,
Blumennamen: Klematis, die Laube, alles so schmeckbar, auf der Zunge des
Gedächtnisses zergehts, macht glücklich? Die Namen allein sind geblieben,
wecken wie die Gerüche starke Gefühle. Ich kann sie mitnehmen, ich brauche gar
nicht hier zu sein! Diese Kluft läßt sich nie mehr überbrücken.
Meine Erinnerung stammt aus einem andern Jahrhundert, hier, meine Kindheit:
Diktaturen hatten den Zeitbruch und die Vernichtung der Wahrnehmung und der
Fähigkeit glücklich zu sein durch Wachtürme und Stacheldraht wie in einem
Indianerreservat erhalten, die Zeit mit Fahnen und Gewehren umstellt und so
angehalten. Jetzt fließt sie wieder und alles verwirrt sich.
Ein
Ganzes der Erinnerung aber ist nicht möglich. Das Wesentliche der Vergangenheit
verschließt sich, das Außergewöhnliche scheint nun verschwunden; was jetzt da
ist, das Herrenzimmer, die Gasse, sind in eine fahle Normalität getaucht und
wie verlassen, nur Trümmer, Relikte, - es ist wie eine Stadt nach einer
Überschwemmung, da ragen die Reste aus dem Schlamm hervor. Wenn ich die Augen
schließe, das Gedächtnis aufbricht, nah, wie ein Traum und unschuldig wie jedes
vergessene Erleben... fällt mir dieser fade Geruch nach Maiglöckchen ein, die
baumelten an einem Stiel, wie weiße zarte Träubchen, am Zaun entlang auf ihrem
Beet neben der Laube, bis hin zum Kompost und den Abfalleimern in der
Gartenecke zur Landwirtschaftskammer, Camera
Agricola, vor der es mir grauste, wo aber damals die Familie Márgineanu
wohnte, zwei Töchter und ein älterer Sohn; aber wenn ich die Augen öffne, und
nicht ab sehe davon, ist nichts mehr da.
Echo des Zeitbruches, jahrelang nur in der
Phantasie. Durchbrach den Boden des
Bewußtseins und es lag jahrelang irgendwo im Dunkeln. Furcht, es könnte durch
diese Begegnung vernichtet werden. Weiterleben wäre dann unmöglich. Eine
endlose innere Wüste wäre da.
In der Speisekammer der alte dimpige Geruch
nach Mäusen, das Badezimmer... Und dann
die Nacht.
Ein Pferdewagen rollt vorbei. Und ich denke
daran, wie sich der Bogen schlagen ließe zu 1944 oder wenigstens zu 1950. Wann?
Der Abgrund unübersprungen: Nur Worte fallen mir ein.
Die Einsamkeit meiner Erinnerung wächst, je
älter ich werde; nur das Buch ist freundlicher, der Zwischenraum, wo es
niemanden gibt, durch mich noch spürbar.
Wie es wirklich war, ist weniger wichtig. Aber die Hausfrau in meinem ehemaligen Elternhaus fand
es sogar richtig, sich zu entschuldigen, daß es den Kupferofen nicht mehr gebe.
Und daß die Tür zugemauert worden war, die Tür vom Schlaf- zum Badezimmer,
dafür gebe es ja eine Türe aus der Küche ins Schlafzimmer. Sie zeigten mir die blaue Bemalung mit den
goldenen Sternen in der Diele. Die ist geblieben, sagte Frau Agapie, die ist
uns kostbar. Nur die Diele mußte abgetrennt werden vom Treppenhaus, das hinauf
in die Mansarde führt, dort wohnt eine andere Partei, Partei? Worte sind
Gefühle, manche machen Angst, ja, Parteien, anders besetzt?: das Haus ist
geteilt. Wie das Gedächtnis, denke ich.
Die netten Agapias lebten, so schien es mir in
der Wüste meiner eigenen Empfindungen.
Die Zeit also so lang abliegen lassen,
unbewegt, bis sie sauer wird auch in den
Gegenständen, einem unendlichen faden Warten? Oder gibt es die Aura nicht,
verfaulte Zeit, auch in den Mauern, den Läden, den Stühlen schwingt nichts. Es
nimmt mich nicht auf. Was heißt noch "zu Hause". Die Dinge sind
kaputt, auf dem Weg zum Abfall, ihre Zeit ist vorbei, und keine neue? Ich erinnere
mich noch, wie meine Eltern vor ihrer Ausreise nach Deutschland, gezwungen
wurden, wieder in dieses alte Haus einzuziehen, es gab da ein Gesetz der
Rückgabe, der halben Wiedergutmachung, immer wieder, als hätten die Machthaber
den besten Instinkt, als hätten sie immer nur in der Angst vor dem Jahr 1989
gelebt, und das "Normale", um die Revolution zu vermeiden, unter
Kontrolle wieder eingeführt! So hatten meine Eltern mit meinen beiden Geschwistern und deren Kindern
hier in diesem Zimmer versucht, "wie früher", Weihnachten zu feiern;
die Möbel, die Vorhänge, die Bilder, die Lieder waren die gleichen, sogar der
Christbaumschmuck war der gleiche, und doch wirkte alles wie gestellt, wie
eine arme Kulisse, erzählte meine Mutter, es gab eine untergründige Vernichtung,
die uns und auch die Dinge so verändert hatte, daß sie wie gestorben
erscheinen. Und wir, sind wir denn auch schon längst tot? Die Biographie
dieses Hauses, und die seiner Menschen war brutal unterbrochen worden.
Die Außenwelt ist im Verschwinden, hier findet
das Modell des kleinen Untergangs statt. Und jene schöne alte Erinnerung, samt
den Gedanken dazu mit ihrer Langsamkeit, ist für unsere abgemagerten Sinne zu
schön: jetzt ist alles nur noch im Buch geborgen und zusammengeführt; die
Wirklichkeit gibt es nicht mehr.
Nur eines ist verändert: die Angstwand, sie
gibt es nicht mehr, freilich dahinter dehnt sich ein im Vergessen
wachsender Abgrund, und diesen Abgrund zur Kindheit sollte ich jetzt
überspringen. Zu spät "normal" zu werden. Es war eher ein Verlust des
letzten Alibis, nicht leben zu können. Wohin nun mit der Exilfähigkeit, ohne
ein ordentliches Exil mit
Angsthintergründen, die daraus etwas Heroisches gemacht hatten, so daß
man gut damit leben konnte, nicht-lebend.
Nein,
das tat weh, gar nicht mehr weh, zu spät, zu verborgen, fast überkam mich
Gleichgültigkeit da, in mir trug ich jenes andere Schäßburg, das es nicht mehr
gibt; ich fahrte ja sowieso bald wieder fort; ihr könnt hier mit diesem weiter
leben. Und dann war jenes, das es nicht mehr gibt, doch da: wenn ich die Augen
schloß, nur den Stundturm schlagen hörte, als hätte ich einen Schlag erhalten,
Erinnerung war zu nah, und murmelte: Gott
erhalt dech Scheszbrich! Ich war
wieder zum Rundgang aufgebrochen, ging „unter die Burg“. Und da stand ich jetzt
vor dem Folberth-Haus. Da hat sich ein Hausvater auf dem Dachboden erhängt; es
gibt wenige Häuser hier, wo kein Selbstmörder durch die Räume geistert, nachts,
wenn man daran glaubt. Dort, diese hohen Fenstern, sag ich, darunter stand ich,
Weißt du wieviel Sternlein stehen...Lichtjahr. Nur das Wort blieb im Stern, den
du siehst ist vergangen. Die Stirn
allein, die Bahn am Himmel, ein Warten; als kämen wir noch an. Könige, mein Gott
wandern dem Lichtjahr der Kindheit entgegen. Sterne zählen, eine poetische
Aufgabe, die Lichtjahre waren uns nah, auf den Lippen fanden wir diesen warmen
Korngeschmack aus der Sonne in einem Kuß. Nachts, Mondschein und Ständchen, sag
ich und lache verlegen, für meine erste Liebe, ich war damals fünfzehn, sie
vierzehn. Und wir küßten uns die Lippen wund, standen am Zaun, und ich tastete
mich dann mit Schmerzen in den Hoden nach Hause, jeder Schritt zurück tat weh.
Genau
diesen Weg, den ich jetzt geh, die Treppen hinab zum Misselbacherischen Magazin
in der Gartengasse, vis á vis vom Barth-Haus, sieh, es steht noch, und wenn der
Weg vereist war, fuhren wir mit einem "Hanthe", das war ein Brett auf
das Schlittschuhe montiert wurden, den Hang hinab, die Füße ausgestreckt, und
hielten uns an zwei seitlich angebrachten Griffen fest.
Du
kehrst noch einmal zurück im schnellsten Gedanken: Wer kann es glauben, daß es
die Stadt nach soviel Zeit noch geben wird. Die Liebe? Ihre Gedanken und die
Gedanken der Mutter erreichten dich immer noch, Liebe, die vergangen ist,
bleibt bestehen, Gottes Augenblicke.
Die
Fassade täuscht. Mein freudiges Erschrecken, jetzt hier zu sein, auch. Wie war
das früher mit jenen gefestigten Konturen der Welt gewesen, der Wald war mit
seinen Gerüchen ganz bestimmt und an einem bestimmten festen Ort: ein Wald!
Und du? Einklang mit den Jahreszeiten, mit dem Alter des Herzens, die Farben
stimmten noch, die Gerüche, der Wind an den Händen. Die Freundschaften paßten
in die Häuser und Gassen...
Jahre der Abwesenheit wie
eine Wand zwischen mir und meiner Stadt. Es
gibt andere Tränen. Da plötzlich dieser vertraute Stundenschlag. Die
"alte Zeit", heute ist alles möglich, sagen die Leute. Zeit ist
schneller als der Traum.
Wenn ich ein Vogel wär und
auch zwei Flügel hätt`. Sie wird nie mehr wieder kommen, keine von jenen, die
für immer fortgegangen sind, wird wiederkommen, wie diese Stadt, wie die Toten
alle. Sie werden nie wiederkommen.
Doch da, was war das. Jetzt trifft mich doch
noch der Schlag. War das nicht Martha, meine Liebste, da durch eines der beiden
Tore des Schneiderturms kam sie, war sie bei Dora, der Zahnärztin gewesen, ja,
sicher, es roch auch nach Zahnarzt, und sie kam auf mich zu, sie war wohl nicht
mehr krank, sie schien zu schweben. Und ich begrüßte sie :
Servus, Martha, wie geht es dir denn?
Nicht schlecht, und dir?
Wir haben uns lang nicht
gesehen, eine ganze Ewigkeit nicht!
Das stimmt, da hast du
recht! Du rechnest auch in Ewigkeiten? Warst früher anders.
Sie sah irgendwie verändert
aus, wirkte ein wenig matt. Ihre Blässe schüttete sie etwas bekümmert über mir
aus, nickte, sagte: Jetzt sind wir ja bald da, faßte mich an der Hand; die war
weicher, zärtlicher, als früher, kalt allerdings, und dann stieß sie ganz
unerwartet hervor: Michael, also auch du kannst nicht mehr lieben? Verwechselte
sie mich, war sei übergeschnappt?
Ihre Hand wurde spröder,
fast hart, und sie ließ meine los, als gäbe es auch in dieser Gemeinsamkeit,
die sie aussprach, keine.
Was hast du denn für einen
Beruf?
Keinen, sagte ich.
Du spürst wahrscheinlich
eine ähnliche Starrheit wie ich.
Ihr weißes Kleid bauschte
sich im Wind. Sie schien vor mir aufsteigen zu wollen.
Aber wo sind wir denn jetzt?
Vielleicht kurz vor unserer Fahrt nach Bistritz, um Großvater zu besuchen? Ich sitze ja im alten Herrenzimmer mit den
furnierten Schiebetüren, und schreibe dies alles auf, auch das Erstaunliche,
daß Martha die steile Treppe zum Schneiderturm hinauf gehen wollte in jenes
Haus des alten Selbstmörders. Ich hatte nur einen Augenblick nicht hingesehen,
sie hatte noch leicht aus ihrer Weiße gewunken, da war sie plötzlich nicht mehr
da; meine Unaufmerksamkeit hatte sie das Leben gekostet. Es gab sie wieder
nicht mehr, aus den Augen aus dem Sinn; wieviel Jahre sind es nun schon her,
daß sie an Krebs gestorben ist, vielleicht fünfzehn oder zwanzig Jahre? Doch
jetzt ist sie wieder da, sie hatte schon die Karten gekauft, und ich hatte hier
über dieses Papier gebeugt, verwundert ihre langen beringten Finger mit den
Fahrkarten vor mir gesehen, "Asche zu Asche, Papier zu Papier",
gemurmelt, dann von dem so angenehm geborgenen Augenblick, mit dem
ich jetzt den Raum wahrnahm, wie erlöst aufgesehen. Und dann meine Gedanken beruhigt
durch ihre plötzliche Anwesenheit (es ist also alles nicht so schlimm!!)
Also, wann wirst du dich
endlich als Hauptperson deines eigenen Lebens akzeptieren? Hörte ich ihre Stimme. Und sie hörte mir dann mit
geneigtem Kopf lächelnd zu, als ich sagte, daß es doch verrückt sei, wie man
aus einer Hypnose in die andere gleite, immer gefesselt, immer ganz so im guten
Glauben, "drin" zu sein. So narrt dich auch das Papier, so narrt dich
das Licht oder der Traum, egal – du bist weichköpfig andauernd verführbar und
hypnotisiert!
Willst du vielleicht
dazwischen fallen, den inneren Monolog abbrechen, wo würdest du dann landen?
Aber ich weiß schon, wovor
du jetzt Angst hast, Martha, daß du wieder "herausgerissen" wirst,
wenn ich wirklich und so also auch ohne dich nach Bistritz fahre.
Wer, hatte sie das gesagt?
Hier, Liebster, schreib mal was WIRKLICHES, unterschreibe
hier dieses Testament!?
Welches Testament? Daß du all die "Goldcocosei",
die dein Vater unter dem dritten Apfelbaum im Baumgarten vergraben hat, uns
hier läßt; sie gehören unserer Stadt.
Ja, dieses Ja, sagte ich, und schrieb, murmelte dabei: Von
der Zahl zum Zählen. Herrlicher Abfall.
Und erinnerte mich, wie Vater damals andauernd zur
Securitate nach Tg. Mures bestellt wurde, dort verhörten sie ihn, und er sollte
gestehn, wo das Gold vergraben ist!
Wenn das Telefon läutete, dann zitterten meine beiden
Eltern. Wenn jemand an die Tür klopfte, starben sie fast vor Schreck.
Einmal kam ich unerwartet nach Hause, klingelte, klopfte, es
war nachts. Ich hörte ein Flüstern hinter der Tür. Dann machten sie auf, wachsbleich
im Gesicht. Und fielen mir um den Hals, du, du bist es. Gottseidank.
Ach, die Cocosei waren wohl in der alten Blechdose drin,
jener, wo die Mitzmother ihre Backi hielt, ich mich hinauf ins Schlafzimmer
schlich, die Schachtel von der Kommode nahm und schnabulierte. Auf der Dose
waren Kinder gemalt, alle hatten einen Zeitungstschako auf und Holzschwerter in
der Hand. Sangen sie nicht schon mit hellen Stimmen: Heute wollen wir
marschiern, einen neuen Marsch probiern. .. Und
über diesem Westerwald, ja da pfeift der Wind so kalt!
Weißt du noch, Martha, unsere Neujahrsnacht im Park?
Freilich.
Mit wundgeküssten Lippen und einer Falsche Wein zum Trost
und zur Erwärmung.
Wir gingen in die gleiche Klasse.
Ja, und ich
wickelte in Russischstunden Transformatoren, fiel wie aus allen Himmeln wenn
ich aufgerufen wurde. War überhaupt kein guter, beflissener oder gar bewußter Schüler. Auch in den langweilgen Deutschstunden nicht
… Holitzer, der hochglehrt „Arsch“ sagen konnte
Ich erinnere mich eher an die Putzaktionen auf
Friedhof und Heldenfreidhof, die er anregte und überwachte.
Aber auch der Wagnerianer und Nitzscheaner Lang Rikki
mit seinem gepflegten Tonfall und seiner Liane hat in meinem Gedächtnis kaum
Spuren hinterlassen, nur Witziges, und er hatte ja kaum Humor …
… an Spott erinnere
ich mich, etwa „Rikki, beiß mich änd Ihr“, wie wir witzelten, weil er angeblich
vor seiner Frau „kroch“.
Eher war es der
Biologielehrer, der sich gern hinter den Mädchen hermachte, an dessen
philosophische Naturkundestunden im Naturkundesaal ich gerne zurückdenke.,
Ausgerechnet
der erwischte dich beim „Kluzzen“
während der Matura…
… und ich weiß
noch, wie ich rauzsfliegen und das Jahr wiederholen sollte!
Erinnerst du dich an den Musiklehrer und seine Komponistenstunden im
Festsaal…
Ja, da erinnere ich mich gern, seinen schiefgelegten Kopf beim Klavierspiel,
und die sensible, etwas altjüngferliche Ausstrahlung.
Seinen kindlichen Enthusiasmus mochte ich, er konnte sehr freundschaftlich
sein. Und ich reparierte ihm zuhause sein Radio, erklärte ihm, wie das
Wunderwerk der Technik funktioniert, und er in helle Begeisterung
ausbrach.
Da fällt mir seine komische moralische Belehrung (eine Art Sexualaufkärung
oder das Gegenteil davon) ein, die Sache mit der Frigga, wie die einherschreitet
mit der Schale voller kostbarem Gebräu (Nektar und Ambrosia, nein Met?)
… und keinen Tropfen verlieren darf, um es dann dem Auserwählten, dem
Einzigen zu schenken, der dann da kommen wird!
Wir hielten uns daran, das war unsere Erziehung, und die Jungen heute
würden darüber lauthals lachen!
Man konnte uns Jungen und Mädchen
tatsächlich blind vertrauen, man hätte uns
in der Nacht wohl auch nackt zusammenlassen können, es wäre nichts
passiert!
In unserem „Kränzchen“
ja auch. Nein, nein, stimmt nicht ganz!
Ich hatte eine Semliebe, Kränzchenliebe, sie 14, ich 15 zur Zeit der
Revisoraufführung…
Mein Vorgängerin, da war ich auch sehr eifersüchtig…
Konntest auch …wir spielten beide im Stück („bedankt sich in der Stille
und schweigt“)Ja, und diese Theaterereignisse, werde ich auch nie vergessen,
Wallensteins Lager, Kabale und Liebe („Halten zu Gnaden!“) Und der Musiklehrer als Sekretär Wurm,
Florescu als Ferdinand, Hiltrud als Luise! Und dieser fade Duft nach Puder und
alten Kleidern. Und jene furchtbare Nacht, und der letzte Abend von Kötsch, der
sich in die Kathi unglücklich verliebt hatte, und der noch Unsinn trieb, den
Schauspielern einen Stuhl in den Arm packte, so daß die in der Aufregung damit
auf der Bühne standen. Kötsch ging auf den nächtlichen Bergfriedhof, und
erschoß sich noch am gleichen Abend am Grab seines Vaters, und auf dem Schulweg
über den Neuen Weg kam ich daran vorbei, sah ihn dort liegen…
Aber bei einer dieser
Revisorproben vorher noch, trafs sich, daß wir beide, meine Liebste und
ich, wir hatten ja bisher noch keinen Kuß gewechselt, nur Briefchen, die wir
uns in den Pausen in die Hand drückten, und draußen auf dem Gang, dann vor dem
Klo trafen wir uns „zufällig“, und sie,
sie war es, zog mich in die leere Klasse rein, auf einer Schulbank
fielen wir ineinander, wie eine Frühlingsgewalt brach es aus uns, zum erstenmal
diese atemlose, besinnunslose Urlust und ich barg meinen Kopf in ihrem
Schoß…Kopf, der da reinwill, wir stammelten unsere Namen … unaufhörlich
stammelnd, tastend im Dunkeln …auf diesen bekritzelten, mit Taschenmessern,
Rasierklingen angekerbten Schulbänken … aber, nein, nein nichts geschah, wir
rissen uns los, jaja, die Frigga wohl, die hatte uns da was ins Ohr
geflüstert, und draußen waren wir, nein
ich war draußen, ich floh hastig in den hellerleuchteten Festsaal. Sie aber
blieb liegen.
Feigling!
Genau!
Ich sinnierte vor mich hin, war absent, dachte daran, was wohl gewesen wäre,
wenn ich sie, meine Jugendliebste geheiratet hätte… Und als ich mich umsah, war
Martha verschwunden. Oder war sie gar nie dagewesen, hatte ich mir das alles
nur eingebildet? Wie mein Leben?
Ich aber redete weiter wie ein Irrer, hoffte, Martha nochmals
herbeizuzwingen: Erinnerst du dich an unseren Gebirgsausflug in die Karpaten,
siehst du den Bergbauernhof auch vor dir, weißt du noch, wir beide gingen über
eine Wiese, und kamen dann im Hof an, sauber geschichtetes Holz im Hof,
weißweiß wie übereinanderliegende Knochen, der Mond flutet über diese Erde,
gespenstische Schatten warfen auch wir, ganz lang und durchsichtig, verzerrt
die Formen, Schafe blökten im Verschlag, wütend schlug Burkusch, der Hofhund
an, raste uns an seiner Kette entgegen, sprang hoch, wurde zurückgerissen,
Klirren, Aufheulen, ein neues Anrennen. Wir gingen die steile Holstiege hoch,
Füßegetrappel, Stoßen, schwere Bergschuhe hatten wir an den Füßen, Rauch in der
Luft, Ozongeruch, im Ohr ein Rauschen, wirkliche Tannen. Nachts lagen wir nackt
zusammen, engumschlungen, liebten uns,
doch dann trieb uns der Schlaf auseinander, jeder für sich. Jaja, und Gott für
uns alle, auch im Schlaf. Ich erwachte dann geblendet vom Mondlicht,
grauenhafte Milde der Mondfarbe. Ich fühlte, wie in mir die Kälte hochkroch,
sich an meinem Körper eine undichte Stelle suchte. ES stieg über den Rücken bis
zum Hals hoch, würgte mich. Und plötzlich schlugen draußen wild die Hunde an.
Ich sah wieder das Licht aus dem geöffneten Fenster auf mich zuschweben, ein
großer Schatten legte sich über mich, griff nach meinem Gesicht, tastete darin
herum mit gummiartigen Händen, ich stieß einen tierischen Schrei aus. Du
erwachtest, strichst mir erschrocken und tröstend übers Gesicht, den nackten Körper,
die schweißverklebte Stirn wie eine Mutter, jetzt glaubte ich nicht einmal dir
mehr, dem Holz nicht, den Tannen, dem Mondlicht nicht, Todesangst überfiel mich
und ich kroch wimmern wie ein kleines Kind zu dir in deine Arme, schutzsuchend
vor der Vernichtung, die krallenartige Finger hatte, draußen, wo ich allein
war, mich am Hals packen wollte. Aber warum sagtest du es mir so, menj Jang,
menj Klenner, hav nichen Angst, und hörte es, ja, Báetel drag, topilule,
Kändchen, Kändchen. Beruhigte mich, schlief ein, zurückgekehrt zur Mutter, ins
Nichtwissen, inn den Zustand der Todlosigkeit.
Ich
war aber am nächsten Tag in einer guten Verfassung, dachte nur ans Vögeln und
freute mich. So müßte man jeden Tag sein, so offen.
Martha,
in die ich mich verliebt hatte und die gemeinsame Nacht war bindend, wenn auch
kein gutes Omen, das in meinem Gedächtnis auftauchte, ihr schlanker schöner
Körper, der nach Mandelseife roch und ihr Mund mit der flinken Zunge, mit der
sie die Innenwände meines Mundes abgetastet hatte, ein Schock, Ströme davon, die
durch den ganzen Körper gingen, elektrisierten, mir die haut gewissermaßen
abzogen, als hätte wir ohne Haut aneinander gelegen, ganz wund.
Als
hätte das Verschwinden einen Grund, als hörte ich sie sagen, sie sei nur das
Echo... mit der Seele berührt sein, so werden wir wirklich... Wo aber ist deine
geblieben, du bist kalt, du bist krank.
Früher
bei gleicher Schwingung der Spaß, wie eine Nebensache das Vögeln. Kaum
anstrengend, ein Spaß. Ich erinnere mich noch an die Parkbank, wo wir früher
gesessen hatten, sie konnte mitten im Trubel auf meinem schoß sitzen, die Fut
unter ihrem Rock, da hatte ich schon einen Finger gelegt, wie eine Lunte, sie
hatte kein Höschen an, und dann von unten der Steife in ihr, und vor aller
Augen, ohne daß es jemand merkte, liebten wir uns wie zwei Verrückte, die den
Schein wahren können, stolz auf die doppelten Leitung, lachten uns an, so
jung... war froh, daß diese Bilder, die mich überfielen, gemeinsam waren und
glücklich, sie spannten keine tiefen Rösser an, die schwarz wurden, von unten
hochkamen, als wären sie in mir ertrunken, jetzt aufgewacht, und auch das fahle
Licht und Marthas warmer Körperduft (manchmal roch sie stark nach Schweiß), das
Linnen da an meiner Nase, nah, waren wie zu Hause, ruhig und gewohnt, keine
Angsttiere, wie in Deutschland, wo ich mutterseelenallein war mit ihnen, das
Fensterkreuz gewohnt, keiner hing daran und niemand zerschlug es, Glassplitter,
ein Schimmer nur, sanft, im spiegelnden Glas schon wie Abwaschwasser
Morgenlicht, und wunderte mich, daß ich geschlafen hatte, noch schlief, selten
schaffte ich es, wenn ich weiche Brüste und Schamhaare fühlte, auch war es
nicht möglich, daß ich mich davongeschlichen hatte, war zu unentschlossen,
täuschte mich sicher, denn ich lag doch weiter weich in ihrem Arm, und sie
träumte mit mir, als hätte ich mich da aus dem Körper gelöst, vorsichtig die
Tür geöffnet und wäre mit meinem Koffer auf die Straße gegangen, hätte sie
verlassen...
Im
Oktober war sie gestorben; in einer Klinik. Sie selbst war ja MTA, Gynäkologin,
hätte eigentlich den Hebammenberuf ausüben müssen, aber es widerstrebte ihr,
und den Beruf hatte sie sich von ihrem Vater aufschwatzen lassen, als sie noch
viel zu jung gewesen war, um sich dagegen zu wehren. Auch gab es in den
fünfziger Jahren in Schäßburg keine große Auswahl; und ihr Vater, KP-Mann und
Richter, hätte sie fast verprügelt, als sie den Wunsch äußerte, Theologin oder
Dichterin zu werden. Als medizinische Assistentin hatte sie, die den Tod
herbeisehnte, nach all den Jahren der beruflichen Qual nun wenigstens einmal
eine Chance: Sie kannte die Ärzte, mit dem Chefarzt war sie befreundet, und so
konnte sie sich all die schrecklichen Schmerzen des Krebsendstadiums ersparen;
sie erhielt die lang ersehnte Spritze und schlief fast glücklich ein, um nie
mehr zu erwachen.
Nach
dem Mittagessen montierte ich die Küchenlampe bei den Agapies. Ich ließ es mir
nicht nehmen, ja bat sie darum. Die Birne war an diesem Nachmittag geplatzt.
Komisch! Es war immer noch die alte Lampe von damals. Zu Hause war ich praktisch.
Du wirst noch ein Hausvater, Mihai, sagte Agapie. Wer hätte das gedacht. Wie
die Großväter. Deren Werkzeugkasten war ein Wunderkasten voller Überraschungen.
Leimen, hämmern, hobeln. Geruch von frischem Tannenholz. Harz. Vor allem vor
Weihnachten. Die Erinnerung soll dir zur Beruhigung aufblühen wie eine Pflanze
im Frühling, jetzt, an jedem Handgriff.
Aber
genau so war es auch zu ihrer Zeit: Geldsorgen. Banken. Kredit. Steuerprüfung.
Finanzamt. Besitz.
Wo
aber hatten wir in der vergangenen Angstzeit Geldsorgen? Was wußten wir von
Banken? Wir besaßen nichts. Nichts. Und gaben alles, was wir bekamen, sofort
aus. Essen, Trinken, Kleidung. Und "kamen zu nichts", lebten wie die
Proleten, doch ohne es zu merken. in holder Vorläufigkeit. Und schön naiv mitten
in Draculaland.
Heute Besuch beim ehemaligen
Securitate-Chef meiner Heimatstadt, Oberstleutnant Toma.
Er war einmal die Angstwand meiner Phantasien
gewesen. Er empfing uns bescheiden im Keller. Wir waren verdutzt: er umarmte
meine Frau und mich. Sagte: Du, wunderbar, daß du endlich mal da bist; früher
hätten die dich nicht reingelassen; mit deinem Bruder hab ich Fußball gespielt.
Am 22. Dezember konnte er es sich leisten, zu den Demonstranten zu gehen, zu
sagen: Revolution ja, doch keine Fenster einschlagen. Seine Leute hatte er
entwaffnet. Militär bewachte das Rathaus. Die Parteisekretärin, befahl ihnen zu
schießen, doch der Offizier rief, sie solle den Mund halten. Und verhaftete
sie.
Ich hatte es mir früher immer erträumt, meinen Geheimdienst-Dossier
einzusehen; in diesen nach altem schlechtem Papier stinkenden Mappen wären alle sozialen Geheimnisse meines
Lebens, die mich in ihrer Unübersichtlichkeit quälten, vielleicht
entschlüsselt, so dachte ich früher; im Westen hatte ich dieses Geheimnis
verlernt, es war nicht mehr so einfach, ein Zentrum zu haben, das Rätsel zu
lösen; zu Hause aber die jahrzehntelange Illusion: so wüßte ich
"Ausbeutersohn", und "Waisenkind des Klassenkampfes",
entwurzelt, anonymisiert, sozial kontur- und schicksalslos, durch diese Akte endlich über mich Bescheid.
Jetzt war ich nicht mehr so naiv, doch
neugierig. Im Osten war man der Angst hörig
gewesen; und jetzt war das Angstzentrum, die Geheimpolizei, aufgelöst,
wie Toma sagte, sie existiere nicht mehr. Wirklich? Das Zentrum; was aber blieb
als Ersatz? Der Oberst behauptet, er sei zu alt und so eben in Rente, die
andern aber, seine Untergebenen, "zu Hause". Und was machen sie? Fast
die Hälfte arbeitslos, sie suchen einen Job. Die Angstpolizei sucht einen Job.
Wir waren doch alle nur Idioten des Größenwahnsinnigen,
sagt er. Und wurden selbst überwacht. Seine Frau sagte, sie habe 20 Jahre Angst ausgestanden: "Denn die
haben doch eine Securitate der Securitate gehabt, Leute im persönlichen Dienst
des Tyrannen... Erst jetzt sehen wir, wie wenig wir gewußt haben, was für
Idioten wir waren."
Klingt uns das nicht vertraut? Nichts gewußt, und gewesen! Vieles
erinnert an die Lage in Deutschland nach Kriegsende.
Er verbittet sich in seinem Haus gewisse Namen,
z.B. Ceausescu, auszusprechen. Aber es gibt jetzt einen neuen
"Dienst", der soll auch die alten Computer, die Büros, die Akten und
so "übernehmen". Auch die Leute.
Haben Sie keine Gewissensbisse, diesem
"Orden" angehört zu haben, frage ich den Chef: die Securitate war
doch eine Art SS. Und Toma prompt: - Ja,
ja, das stimmt. Aber ich habe mich frei gemacht, ich habe einen Bewußtseinsprozeß
durchgemacht. Und auch meinen Untergebenen habe ich gesagt, redet anständig mit
den Leuten, brüskiert sie nicht, denn egal, aus welchem Grund du zu solch einer
Institution gerufen wirst, der Gerufene hat Angst, macht sich Sorgen. In
Bukarest wurden die Phantasiefeinde produziert. Paranoia... Ein ganzer Orkan
von Papier. Die Bürokratie war ein Wahnsinn. Alles lief so... nur Papier. Wenn
Sie die Akten sehen, greifen Sie sich an den Kopf, welch Unsinn da drinsteht...
Ich traute meinen Augen nicht, so redet jetzt
der ehemalige Angstchef der Stadt? Ein "Revolutionär" nun auch er?
Die Revolution, letztlich eine Inszenierung der Geheimpolizei, wie manche
behaupten? Das kann doch nicht wahr sein?
Doch war das Aufbegehren, der Untergrund,
sonst einer Minderheit reserviert, nicht
ein Akt der Masse, die die Gesellschaft der Funktionärselite überwältigte, die eine Minderheit war, eine
fade und langweilige Minderheit von Greisen und Paranoikern? Diese Umkehrungen
schienen sensationell und ermöglichten erfolgreich den Aufstand. Es war eine
Art falscher Mystik, falsches Geheimnis, etwas Unverständliches, das sich
aufblähte und angab, das sich aber dann langsam als Banalität, als Dummheit
entpuppte, und je evidenter diese Nacktheit des Kaisers wurde, umso näher war
sein Ende.
Denn der gegen den Staat gerichtete Untergrund
in den Köpfen und Seelen der Menschen ging mit einem echten, mit dem andern
Unverständlichen, dem eigentlichen Rätsel um, der eigenen Existenz, dem
eigenen Leben und dem eigenen Tod: bis hin zu den Opfern, den Toten, so daß
dieser geheime Untergrund siegen mußte, als gewichtigeres Dasein. Nach dem
Gelingen aber war der Ort so leer, brach jenes andere Unverständliche, wenn
die sozialen Barrieren und Schutzzonen fallen,
so gewaltig durch, daß die Angst größer war als vorher, Depressionen
eintraten.
Doch in der Lücke, im Übergang
in der Stunde Null brach das Unfaßbare wie im Tode durch, war jede Logik,
Plausibilität, Rationalität gelöscht, Wissen entlarvt. Ja, es zeigte sich
gerade wie alt und abgestanden das wirklich Vorhandene gewesen war.
Am nächsten Tag
dann das Mittagessen im „Stern“, schon auf dem Weg in „die Stadt“, tausendmal
wa ich früher so durch die Albertstraße gegangen, überfielen mich die Szenen
und Bilder, und lauter Tote: sah sie, auch Vater und mit Großbvater, wenn sie
aus dem „Geschäft“ jeden Mittag nach Hause kamen, der Alte schlurfend, nach
einem Schlaganfall, von Sles, seinem Sohn gestützt, geführt, alt? Ach, er war
ja etwa so alt wie ich heute! - am Roten Wirtshaus vorbei, an dem ehemaligen
Löwischen Wohnhaus vorbei, wo ich mit Hocke, Tschik, Werner und vielen andern im
großen Garten Indianer gespielt hatte, dann die Tichy-Garage, vis-á-vis das
Leonardthaus, das Ernst-Paulin-Haus, das gelbe Haus, wo ich mal aus dem
Hausenblaszhaus bei der Ungarn-Dame zu Besuch gewesen war, das Eck mit dem
ehemaligen Moritz-Laden, wo ich früher um Brot anstehen mußte, ach, jeder Stein
rast da in meine Erinnerung, Bilder kommen hoch, tausende Szenen, die sich
übrlagern, am Haus von Physi vorbei, dem Roth Karl, meinen Physiklehrer und
Witzeerzähler, einer der Sonderlinge der Stadt … als er die Marx- und
Engelsfotoso 48 in den Schaufenstern der Läden sah, stotterte er … jaja, seht
da, lauter Engel… war Bruder des Abgeordneten Hans Otto Roth, des Demokraten,
Physi aber war Anhänger der Naziparteie
NEDR, die sich im Stadthaussaal mit Anhängern der DEVR prügelte, sie sich
blutig schlugen, er mit dabei, und kam zum Unterricht mit verbundemem Kopf,
sagte lachend „Oh Haupt voll Blut und Wunden“… daneben das Hausenblasz-Haus, wo
meine Kindheitserinnerungen sprießen wie Spargelspitzen im Frühling, als täten
sie wie der Frühling weh, an der Polyklinik, am Eiskeller, an der Neuen Brücke,
die es nicht mehr gibt… vorbei, aber was gibt es überhaupt noch… keines der
Häuser ist so wie es mal war, meist verkommen oder so neugemacht, zugekleistert
wie in Deutschland, daß sich die Erinnerung wehtut, anschlägt, ich schau gar
nicht mehr hin! Geh schnell durch die Mühlgasse, an der ehemaligen Kaserne
„13. September“ vorbei, am Platz, wo
sonst immer der Zirkus stand, die Schießbuden, … nach dem Hubatsch, dem ehemalig0en
Brotgeschäft, ach, auch das Reinardt-Pretz-Haus, wo Mutter in ihrer Kindheit
wohnte, mit den Albertkindern, vor allem mit Andreas täglich spielte, der Marktplatz
… und dann, ich mach die Augen lieber zu: das von Ceausescu „systematisierte“
abgerissene Viertel … ein Trümmerfeld wie nach einem Bombenangriff… die Baiergasse. Da steh ich vor dem
Häuserblock, wo Kasimir von Kenossy gewohnt hatte, der Kinderfreund…. Und dann
Hotel und Restaurant „Stern“, das mal meinem Urgroßvater gehört hatte, der früh
starb, und die Grießi zog ihre fünf Kinder ganz allein auf, ließ drei Söhne
sogar studieren, Offiziere und Ärzte werden, einer fiel im ersten Weltkrieg,
der Willi. Nunja, im Restauran an den alten Marmortischen, einst Wiener
Café-art, Großvater versammelte sich ja hier mit seinen „Kumpanen“, den
„Morschen Knochen“ jeden Donnerstag zum Stammtisch und Gespräch, saßen da in
der Ecke auch einige westdeutsch gewordne Sachsen, Nostalgieheimkehrer wie ich
… sie sahen mir das an und winkten mich zu sich… ich kannte keinen, sie waren etwa
zehn Jahre älter als ich, also auch schon „morsche Knochen“.“
Man
stellte sich gegenseitig vor, und auch ich wurde erkannt. Ich wäre lieber in
meinem Versteck und anonym geblieben. Ich entzog mich und wollte doch auch zu
ihnen gehören. Der Wein löst die Zungen, Gläser klirren, Singen, jeder hat
seine Geschichte. Und alle gemeinsam... Es sind Geschlagene, wie ich auch. Doch
so selbstverständlich wie die meisten hier, hab ich den Schuh nicht, wohin ich
Schuld schieben kann. Rache geht keine zurück. Wir, die reinsten Engel. Was
ist, das ist, was wahr, das war. Wahr? Gelacht. Sogar wieder ein wenig
gegröhlt. Etwas Rauhbeiniges wird spürbar. Sind es dieselben geblieben wie
früher? Ändern sich nur die Zeiten, die Leute nie? Dies also unser Menschenschlag.
So um das Jahr vierzig hätten sie mich gelyncht oder umgebracht.
Es
ließ sich nicht vermeiden, daß man über die beiden Lager sprach. Ich sagte, wir
sollten unsere nicht vergessen!
Wir,
sagte Michael Hermann (jener mit den drei Schiffbrüchen), wir sind dem Hitler
in die Falle gegangen, aber den Russkis bin ich nicht in die Falle gegangen.
Verstanden... Sie, Sie waren immer ein Roter. Ich habe Ihr Buch gelesen. Das
nenne ich Verrat! Was, die Raketen, unsere, zurückziehn? Sind Sie verrückt geworden,
uns von den Bolschewiken überrollen lassen?! (Fast wäre er mir an die Gurgel
gefahren.)
Die
beiden Salmens?????, die mit am Tisch
saßen, blickten traurig herüber, hochrot im Gesicht. vielleicht wars der
Slibowitz. Die Angst. Die Erregung der Heimkehr. Alles kam ja wieder hoch.
Alles. Die feine Frau da mit der grauen Strähne, klein, flink, flüsterte: Dabei
waren Ihre Eltern doch so anständige Menschen! Wer, meine? Ja. Nun, die freie
Welt oder früher unsere winzige Gemeinschaft, da hing alles am Geldbeutel, und
mein Vater hat uns kujoniert. Mein Bruder lebt noch hier.
Vielleicht
aber klappt es, und sie sind im nächsten Jahr alle oben. Es ist kaum mehr
möglich, hier unten zu leben. Der Sohn hat zwar immer noch eine gute Stelle und
auch ein Haus, aber?????
Es
kam mir vor, als rede sie über Längstvergangenes; wie war das bei eurer
Ausreise gewesen, sagte ich: Da hattet ihr die gleichen aufreibenden
Hindernisse zu überwinden, die gleiche Angst, und alle waren wund und ganz
verstört gewesen.
Interessant
Heraussuchen
u. abschr. 135-136
Ich
verabschiedete mich. Und auf dem Heimweg erinnerte ich mich an einen schlimmen
Traum. Mein Mitleid holte diesen Traum ein, ich stand wie der Selbstmörder am
gelben Tor des Holzmarkt-Hauses, alles weiß, schneebedeckt, Dächer wie im
Kinderbuch. Ich sah die eigenen Spuren. Komisch, die haben also noch nicht
Schnee gekehrt, dachte ich; wie der Schnee da stäubt, eiskalt beim Kehren.
Klingelte an der Eingangstür dreimal. Doch niemand rührt sich. Sind nicht zu
Hause. Mutter auf dem Wochenmarkt – ist heute Mittwoch? aber da – plötzlich ein
Trällern im hause. Warum also machen die mir nicht auf? Sehe vor mir noch das weiße Emailschildchen
an der Tür: Transsylvania VERSICHERUNG 1934. Und gehe zur Hausmauer. Ich klappere
mit den Zähnen, friere, Rotzkerzen unter der Nase. Drücke, lehne mich an,
klopfe mit dem Körper, den Fingern, klopfe an die Mauer, sie ist in der Sonne
glitzernder Schnee, ich wühle mich tiefer und tiefer, es wird kälter und
kälter, komme nicht durch. Tränen rinnen mir über die Wangen, das Gesicht wird
fühlloser, die Wimpern weiß, der Körper blaugefroren. Und da berührt mich eine
Frau, zeigt aufs Fenster über der Eingangstür, das Oval, und ich taue auf, der
ganze Leib weint. Welch ein Wunder, daß wir noch da sind. Das Fenster hält sich
im Rahmen wie deine Augen, die eigentlich tot sind.
In
der Heiimat, in der Heimat, da gibt’s kein Wiedersehn...
Ich
ging diesmal über den Großen Markt, wo ja auch das ehemalige Geschäft meines
Großvaters und die alte Gewerbebank lagen, daneben die Apotheke "Zur
Krone" des Dr. Capesius... An der gelben Post, der Kondi Martini vorbei
hinaus zum alten "Internat", denn die Zeugin und Fürsprecherin Martha
habe ich nicht aufgegeben, nein, nein, ich brauche sie, ich brauche sie wie
eine lebendige Mauer, und wie Gedanken gleiten diese Gestalten, die ich fassen
möchte, vorbei, lassen sich nicht fassen. Einige Male noch in jenen Gängen,
eine ganze Stadt, ja, unsere Stadt schien es zu sein, da meinte ich, sie in der
alten Schulkantine endlich von weitem zu erkennen, doch sie kehrte mir gerade
den Rücken zu, und als sie sich umwandte, hatte sie ein fremdes Gesicht. Dabei
bin ich gleich drin in diesen Gängen, lese die Aufschrift am Tor nicht, so daß
ich mich nicht erinnern kann, je vor diesem Haus gewesen zu sein, also ist es
nicht unsere alte Schulkantine. Klar, es ist alles umgebaut, und niemand erkannte
mich, kannte mich? Nur die Treppen
hinaufgelaufen, wie es anständig gewesen wäre von mir, zwecks Ankunft dort, und
ich darf ja nicht zurück. ICH hinderte mich daran, denn zurück darf ich nicht,
die Zeitversäumnis, dies Eingestehen eines Irrweges wäre unerträglich.
Und
jene, die meint, ich sei es, als diese Vertreterin eines andern Ich, nicht
jenes, das ich bewußt kenne, muß auch dort gewesen sein, denn sie tauchte kurz
in einem seltsamen Licht wieder auf und sagte zu mir: Daß du, wenn du auch nur
eine Sekunde verlierst, schon dein ganzes Leben verloren hast, denn es sei
immer nur so lang wie die Zeit, die ich verliere.
Und
als käme nun die vertraute Stimme Marthas, die mir sagenwollte, ich solle nicht
noch einmal umkehren, sondern weiter, immer weiter gehen. Sie ließ sich meine
Frage gefallen: Aber wohin?
Du
siehst, es müssen immer einige Tage vergehen, bis "die Zeit" zur
Antwort da ist, synchron etwas passiert, der Umgang in Gedanken mit dir zu
drängenden Ereignis wird – diese Gedanken, die ich nicht loslösen kann von
jenem Einfallstor Martha, das nun auch in meinem Schreien eine fühlbare
Landschaft öffnet; soll ich dir danken, wem soll ich danken? Daß es auch in
solch kleinen Gesten mehr ist, frappiert, erfreut, läßt etwas Freieres zu.
Wahrscheinlich
werden so Kräfte in mir bewegt, die sonst stumm geblieben wären. Sprache und
damit Erzählung fließt nun zwangloser in diese Gedanken ein, und es ist ja eine
Öffnung bis in den Geruch und den Windhauch, den Baum, die Farben. Ja, die
Farben. Das ist es, und nicht nur die Malerfarben, mit denen ich gern umgehe
und umging. Glücksgefühl und Freude ist der heilende Maßstab für das Gelingen,
zum Kern zu kommen! Es ist das alte Insichruhn! Die Fähigkeit zur Zärtlichkeit,
zur Zartheit mit Mensch und Kreatur!
Sich dem was geschieht zu überlassen, das sei
vor allem wichtig, sagte sie. Dagegen sei nichts zu machen, kein Kraut sei
dagegen gewachsen, denn hättest du dich zurück gewendet und wärst dann nicht
entschlossen weggegangen, wärst du abgestürzt, so aber hören die Stufen unter
deinen steigenden Füßen nicht auf zu wachsen, solange du hier auf der Suche
nach deinem wirklichen Vater schwebst, ist alles gut. Ich kann dich noch
halten, und die Wand wird immer dünner, bis du endgültig bei uns bist. Deine
Reise war der erste Schritt dazu!
Es
war klar, sie ließen mich keinen Augenblick allein. Und im Internatshof sah ich
plötzlich Paiz, meinen alten Schulfreund, neben Martha stehen. Er kam auf mich
zu und sagte: Was suchst du denn hier?
Paiz macht sein griesgrämlichstes Gesicht, er hat immr noch
die alte Schülermütze mit dem einen Goldstreifen auf, mager ist der geworden...
in meinem Kopf taucht er zum zeitenmal auf: wie betent in einem Foto auf der
Steilau vor der blauen Veranda des Sommerhauses; wir gingen damals in die erste
Volkschulklasse. Hans, sein Bruder, auch er nun fast nur aus Licht hier, auch
er „tot“,stand hinter ihm und sagte: Daß wir uns doch noch mal wiedersehn...
Komm sag ich zu Paiz, und Hans kam mit, obwohl er sich hier
kaum mehr auskannte, und wir gingen den alten Schulweg zurück, wir waren nach
einer Weile wieder an jenem Punkt, wo ich Martha getroffen hatte, „unter der
Burg“, kamen am armseligen Häuschen der "Besorger" des Lehrmanngrundstückes
vorbei.
Weißt du noch, wie wir hier "unter der Burg"
Schlitten fuhren, auch über die Treppen ... sagte er mit einer ganz fremden
Stimme. Freilich weiß ichs. Am schönsten aber wars am Burgstadel, wenn wir die
Flugzeigmodelle starteten, Jungvolk und Ikarus mit deinem Onkel, dem Roth Totz
...
Den hab ich wiedergetroffen, sagt Paiz, der kann sich an
nichts mehr erinnern, ist schon zu lange tot.
Ach ja, die Fliegergruppe, sogar nach 44 funktionierte die,
weißt du noch?
Was wir uns da erlaubten, kaum glaublich, marschierten
durch die Baiergasse mit dem "Pädagogen" Scheel zum Internat hinaus,
und sangen "Schwarzbraun ist die Haselnuß", odert pfiffen zusammen
den Badenweiler. Sogar "Oh du
schöner Westerwald" und " Auf
der Heide blüht ein kleines Blümelein" an der Martini-Kondi und der alten
Post vorbei, an der Mädchenschule, am Hämchen, an der ehemaligen
Polizeistation, an der Knabenschule vorbei in die Hintergasse... "Wenn die
Soldaten durch die Stadt marschieren/ öffnen die Mädchen, Fenster und die Türen
hei warum, hai darum..." Und wir hatten die Stirn sogar "Die Fahne
hoch zu singen".
Das ging alles, trotz Stalinzeit, ganz schön weiter. Auch
die Fliegergruppe, und das Modll hieß weiter "Jungvolk".
Freilich, da war doch auch der arme Knopp Walter, der
Bluter.
Wenn er sich beim Basteln in dn Finger schnitt, das Bluten
nicht aufhören wollte, verschloß er die Wunde schnell mit dem weißen,
wahnsinnig schnell trocknenden Acetonklebstoff!!!
... ach, wo war sie doch gleich, die Fliegerwerkstatt mit
Totz?
Die hatten wir doch irgendwo in der Nähe vom Christiani
Dutz ..
Nein, das war beim
alten Telefongebäude, dort wio die Osivnik Liane gewohnt hat!
Mensch, wie bewohnt hier doch damals alles war!
Und dann, der arme Walter, ich hab ihn kürzlich hier oben
getroffen, er sieht wieder ganz frisch aus, der war damals doch ganz
ausgeronnen, durchsichtig das Gesicht, die Hände, hatte keine Kraft mehr, hatte
Blutkrebs, Leukemie. Lag zu Haus im Oberst-Knopp-Haus, das war sein Vater, der
Oberst Knopp mit Monokel, in der Schanzgasse auf der Burg, uraltes Haus, jaja,
nicht weit von der Terplan Lilli und der katholischen Kirche mit dem Siebenuhrläuten.
Und wir besuchten den Armen, spendeten alle unser Blut, hielten ihn so am
Leben. Eines Tages aber wurde das Blutspenden, da ja doch sinnlos, abgestellt,
und Walter verlosch langsam, er war erst
neunzehn Jahre alt! Ich weiß noch, er ließ beim letztenmal meine Hände nmicht
los und hauchte schnell: Bitte, bitte ... ich will nicht sterben!
Wir aber gingen ins Kränzchen. Ach, weißt du noch Paiz, unsere Wunderkränzchen?
War der Miker dabei? Ha, und du hattest dich in die Kibi, nein in die Gertrud
verknallt. Ich war der Martha nicht treu geblieben, hatte meine blonde
poetische Helga, mit der ich dann ging.
Ach, die Martha, die hab ich doch auch unlängst wieder
getroffen.
Aber die Gertrud, die wollte dich nicht.
Nein, die wollt mich nicht. Du gingst ja mit der Helga, da
machten wir schöne Ständchen. Du mit dem Baßflügelhorn.
Ja, ich mit der Posaune und dem Baßflügelhorn. Du ja nicht,
du warst Trommler mit dem Otti und dem Fuge in der Blasia, und Trommeln paßte
schlecht zu Ständchen.
Stimmt nicht, wir hatten doch dein „Am Brunnen vor dem
Tore“ - sogar mit einem Trommelwirbl
eingeleitet, dann erst kam dein Baßflügelhorn... Und Ännchern von Tharau... ist
die mir gefällt...
Und zu parlierend
und dischkurierend waren wir den alten
Schulweg zurückgegangen, alles so – wie es sich nun völlig umkehrt: Am
Fielkischen Schlößchen, dem Bauernhof vom Heidel Misch... bis zur Camera
Agricla und die Kastanienallee entlang waren wir bis zum kleinen Häuschen von
Fuge gekommen, vis a vis vom Senator Lang .. dem Haus von Puia ... ach, wie
hieß sie nur..
Aber Fuges Vater lebt ja auch nicht mehr? Und auch die
Mutter ist tot, und Magda seine Schwester?
Weiß nicht, bin ihnen dort nicht begegnet, sie könnten also
noch am Leben sein.
Aber den Koni, den müßtest du doch getroffen haben?!
Ja, den schon, aber du weißt, wir waren keine Freunde.
Aber mit dem Koni und dem Misch hatten wir hier in der
großen Scheune Heuburgen gebaut, da krochen wir durch die Tunnels ... und
spielten gegenseitig mit unseren Schwänzen und Eiern. Ich hab da nicht
mitmachen wollen, wennn die beiden Arschficken wollten und es auch taten. Aber
auch die Doris kam mal mit... und machte auch mit.... Doktores hieß das. Dieser
Geruch nach dimpigem Heu, Schweiß, und junger Möse...
Zu gleicher Zeit gabs gleich vi-á-vis di Tragödie des
Eingeschlossenen von S. Als die Deutschen nämlich hier abzogen, blieben einige
Wehrmachtsangehörige zurück, da war ein deutscher Hauptmann, hatte sich
vielelicht ins Capesius-Röschen verliebt?! Ja, sicher war das so. Und sie
versteckte ihn, brachte ihm täglich zu essen, brachte ihm die neuesten
Nachrichten. Und sie liebten sich...
Dann wollte der Mann doch raus, und nach Haus. Sein
Geliebte aber wollt ihn nicht verlieren und erzählte ihm von Tag zu Tag
schlimmere Greuelgeschichten. Auch, was ihm zusstoßen könnte... es gäbe da so
einig Fälle, wenn sie ihn erwischen würden...
Eines Tages war auch er nicht mehr da, er erhängte sich am
Fensterkreuz des Kellerfensters mit
seinem Hosenriemen, Koppel ...?
Aber wann war das?
Ach, so 1950, glaub ich.
1949 hatten sie uns ja aus unserem Holzmarkthaus
rausgeworfen und wir mußten in die
Gartengasse zu den Flechtenmachers übersiedeln. Da hatte ich ja dann einen
anderen Schulweg über den Neuen Weg und den Friedhof. Du weißt, was passiert
war.
Ja, Kötsch, wir fanden ihn auf unserem neuen Schulweg. Er
hatte sich auf dem Grab seines Vaters
erschossen. Unglückliche Liebe zu Katja. Dabei war er doch so ein Witzbold. Er
war, glaub ich, Inspizient bei der Aufführung des "Revisors" von
Gogol.. und da hatte ich mitgspielt, ich war einer der drei Kaufleute, und
Kötsch gab mir einen Stuhl in den Arm, und aufgeregt wie ich war, da ging ich
mit einem Stuhl im Arm auf die Bühne,
Kötsch hatte ihnb mir da in die Arme gelegt, und in der Aufregung nahm ich ihn
mit auf die Bühne.
Katja hatte eine Hauptrolle, und Helga auch..
Kötsch ging nach der Aufführung hinauf zum Bergfriedhof in
der Tasche hatte er den Revolver seines Vaters, und er erschoß sich auf dem
Grab seines Vaters. Ich werds nie vergessen, wie er gekrümmt da lag ... mit dem
Gesicht in der weichen Blumenerde vergraben...
Doch sag, Paiz, wie ist das denn dort "oben"
eigentlich? Was macht ihr den ganzen Tag. Und gibt’s Häuser und so?
Ich hätte das nicht fragen sollen, als ich mich umwandte,
ihm ins Gesicht sehen wollte, war da nur eine spürbare Leere, als wärs kalt
dort, als gäbe es in der Luft ein unsichtbares Loch....
Und
ich konnte nun Paiz auch nicht mehr sehen ....
Das
Sichtbare hier ist ja wie eine Kulisse,
wie ein summender Alptraum: eine arme Idylle. Um mich das vertraute Rumänisch,
Ungarisch, manchmal noch Sächsisch,
klingt und sieht mich an wie aus weiter Ferne: Viele Zigeuner. Kinder betteln.
Restaurants, Konditoreien, Geschäfte überfüllt, die Regale leer, das Angebot
mager. Auf der Hauptstraße eine graue Menschenmenge, kaum Autos, im Park ein
Fuhrwerk, Pferde. Tauben. Langsame Zeit fließt hier zäh durch die Stadt. Und
sie ist zugleich von etwas Unsichtbarem zerstört. Die Leute. Die Häuser. Mir
gegenüber eine ältere Frau mit ihrem Neffen: die Frau, von bundesdeutscher Aura
schon umhüllt wie von einem Tarnmantel,
sagt "oben" in Deutschland, da gibts das "Aufbaudarlehen",
zinslos, die Rückzahlungsraten,die zieht man von deinem Konto ab, da spürst du
nichts. Oben in Deutschland, da bekommst
du, wenn du zwei Kaffepakete kaufst, das dritte geschenkt.
Es funkt zwar zwischen meinen beiden
Lebenshälften; ich meine, Unvorstellbares zu träumen, aber ich bin nicht da.
Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluß tauchen; das zweitemal ists etwas
Anderes. Leerklang. Im ehemaligen "Geschäft" meinesGrossvater ist
jetzt eine Konditorei. Auch da sah ich und erkannte Einzelheiten. Es gab nur einen unbeschreiblichen
trüben Saft zu trinken, sonst nichts. Konditorei. Und alles so klein und
verkommen, stillos öde und unbewohnbar. Woran liegt das? Auch in Klausenburg,
in Bukarest wars so. Graue Masse. Erstaunlich, denke ich, daß die Menschen hier
keine Neurose bekommen. Und jemand sagt: Aber sie sind ja alle nervlich erschöpft.
In einem Sparkassenraum komme ich mir wie in Afrika vor. Keine Heimatgefühle
können aufkommen. Es ist anders, als ich mich erinnern kann.
Sonntag, ein früher Morgen oder Ostern schienen hier nicht mehr möglich. Auch die Käuzchen, die ich in
der Nacht hörte, waren irgendwie unbrauchbar für mein Gefühl.
Nachmittags
aber im roten Wirtshaus, wo Magda wohnte, Fuges Schwester: ein Laden. Ich trat
ein. Die beiden Verkäuferinnen sahen zu. An der Regenrinne ein großes Becken,
und ich ließ das Wasser ab, großer Wirbel im Abfluß. Brocken von Küchenabfall,
Gemüsereste vom Gemüseputzen, Zwiebel und Rüben, mußten wegen dem verstopften
Abfluß zurückquellen, alles überschwemmen. und ich spürte deutlich, es geschah
alles in meinem Körper drinnen. Da entdeckte ich an der Kasse eine lange
Schnur. die Verkäuferinnen sagten, es sei eine Verbindung, die hinab führe zum
Abfluß, damit man notfalls die Vorrichtung durch Zug öffnen oder schließen
könne.
Aber
ich will es trotzdem versuchen, sagte ich ungeduldig und griff mit beiden
Händen in den Abfluß, zog und zog, und alles kam hoch, und so bekam ich auch
die Schnur zu fassen und einen großen runden Filter. Ich atmete erleichtert
auf, denn so war nur vorgesorgt, jemand schien an alles gedacht zu haben, da
mußte nicht ich noch nachträglich kommen; unnötige Panik! Der Abfluß war
gesichert, es konnte gar nichts mehr passieren. Und eben kam fuge herein,
drehte sich aber mit einem ironischen Lächeln sofort auf dem Absatz um, als er
mich sah und schritt stantepeh zur Tür hinaus.
Ich sagte den
Mädchen, nun, ich müsse trotzdem noch einmal ums Haus herumgehen und draußen
nachsehen, ob auch der Außenabfluß gut gesichert und die Leine dort richtig
angebracht sei. Während ich an meinem Körper herum fummelte und den Händen
zusah, schoß es mir durch den Kopf: daß ich doch gar nicht da sei...
Die Agapias im Nebenzimmer, dem Speisezimmer
sahen Fernsehen, es wird hier überduerchschnittlöich viel ferngesehen; die
Schiebetüre war zu. Terplan saß wieder im Herrenzimmer und schrieb. Da hört er
eine innere Stimme, etwas anderes dazwischen funken, die innere Stimme, und es
entwickelte sich wie so oft schon ein
Selbstgespräch: Freilich bin ich dabei, Terplan, sagt der Andere aus großer
Zeitdistanz, und gehe trotzdem jetzt mit dir hier um, auch das schon ein
Wunder: unsichtbar freilich, wie du hier unsichtbar bist, und eure Monster, wie
dies Lichtgerät mit Bildübertragungen über große Distanzen, für
uns ein Wunder ist, und es gibt dies freilich an sich gar nicht, meine Mutter
würde mich auslachen und Großvater
spotten: klar dies Selbstbewegte, das Auto, kenn ich auch, wie du, mein lieber Terplan von meinen Gedanken erfunden
bist, als wäre es ein ludus globi, das allessehende Bild in mir, und du hilfst
mir in meiner schlimmen Lage, liege wie in meiner Vorstellung, als wäre es ein
schlimmer Traum, und du wächst mir zuweilen über den Kopf, machst dich
selbständig, man hört eben dies Gefährt, solch
ein "Auto", wie ihr das Ding nennt, auf der Straße. Dann einen
sogenannten "Roller", denkt Terplan laut: wie gefällt dir der Name
"Roller", doch schön, nicht? murmelt er wie ein Irrer? Er öffnete das
Fenster: Am Himmel blinkt der Metallvogel, ein Jet, schön, nicht, der Name,
rot und grün, wie bei den Schiffen, und weiß die Positionslichter, als
konkurrierten sie mit dem Orion, der
Himmel übersät mit Sternen, es ist jetzt eine schöne Nacht, nicht wahr, fühlst
du sie, erkennst du sie dort? Du siehst, ich denk an dich, hab dich nicht
vergessen. Jetzt sind wir da, und können gar nicht sagen wie lang, die alte
Melancholie ist ausgestanden, vielleicht müssen wir härter werden, sachlicher;
und die Agapias sitzen immer noch vor dem Fern-Seher, wie gefällt dir der Name,
gelungen, nicht? Sie sieht, hört einer Revue zu, kennst das Wort nicht? Aber du
behauptest doch, alles sei von deinem Hirn dort im Dunkeln erfunden, mußt es
also durchaus kennen, Rumänisch kannst du doch noch gut. Aber ihr konntet alle
besser ungarisch! Oder? Und warum, das mußt du mir doch, deinem Geschöpf, erklären
lönnen, warum, ist alles hier bei uns, ganz anders als beim Buonarroti, so wie
hinter Glas, der Große Wagen steht hier draußen lahm da, und fahl, aber immer
noch da...
Schön, schön, sagt der andere, aber ich möchte
in eurer Zeit, die es nicht gibt, nicht leben, Wie du es mir übermittelst: die
Grillen wie aus einer vergangenen
Welt Leuchtkäferchen grünes Licht...
V
Kies.
Knirschen. Stille. Nur dies Geräusch. Und ein Vogel dazu. Eine Glocke. Und die
Erinnerungen sind kaum zu bändigen: Das Kinderhaus, Steintische tauchen vor mir
auf, der ganze Film: Verwaister Garten, viele Brennesseln und die ersten
Spargelspitzen. Violette Spitzbuben und Krokusse. Blumengerüche, fauliges
Wasser in Vasen, Zypressen. Immer ist es dort Frühjahr. Und dann den
transsylvanischen Bergfriedhof /ein Zuhause) im Blick. Und de grieß Gloock. Die
Große Glocke.
Und
wilde Träume Und wilde Träume wie so oft kamen
dann hier in diesem kleinen Zimmer des
Elternhauses, Elternhaus? In dieesr Nacht. Vor meinen Augen
entstand plötzlich eine leere Bühne (wo
hatte ich die, Keinort!); Die Kokel ist zu hören, sanft plätschernd; auch ein
Kahn fährt fast lautlos der Brücke zu. Nacht. Nichts als ein dauernd sich
wiederholendes Theater: jeden Tag. Mehr oder weniger ein Verlust, etwas, das
uns nicht leben läßt. So ist es. Langsam aber, und dies befördert diese Heimat-Fremde, zerbricht diese Außenwand, an
der sich die Blicke brechen. In meinen Ohren dröhnt es, Stimmen setzen ein.
Ich reiße auch jetzt die Augen ganz weit auf, doch ich sehe nur die eigenen
Bilder, erinnert. Als wär im Sehapparat jetzt kein Film, die Gedanken aber beginnen
schneller zu fließen, das, wovor man fliehen müßte, bedrängt am meisten, als
sei es ein Verlust: dachte ich: gäbe es doch Grund und Boden, ich, der
Patriarch mit zwanzig Engeln, pardon: Enkeln, Gesinde, Jung- und Altknecht,
Rössern, Kühen, Kälbern, Schafen, und: das LAMM Gottes über den Wassern und Weiden, offen der Himmel, strahlend
das Licht von der Höhe, und ich ziehe mich nun gemeinsam mit dem, der dies
schreibt? mit wem? an meinem Lebensende hoch, also auf der Jakobsleiter, Sprosse für Sprosse hinauf,
nach Testamentseröffnung, versteht sich. Solange schwebend über dem Totenbett
und dem alten Fleischgefäß, dem Körper,
bis alles Nötige in meinem Sinn geordnet, Haus bestellt, Zukunft unter Dach und
Fach ist. Damals aber war ich der Hausvater im Ideellen. Schön ordentlich die
Vertreibung rückgängig gemacht! Jetzt im Elend. Und sehe plötzlich die bekannte
KinderStadt: Sie kommt mir vor, wie ein weiblicher Körper mit großen Brüsten,
und möchte diese Körperwärme im Dunkeln mit den Augen, ja, mit allen Sinnen
wieder fotografieren, ach nein, berühren können, wie früher soll es richtig
schmecken, riechen, unbedingt. Aber es muß in Allerherrgottsfrühe gewesen
sein, als ich an diesem Tag aufwachte, denn es dämmerte erst, und die Gegenstände
draußen und auch im Zimmer schienen alle noch unfertig zu sein; doch ich war wacher
als sonst am Morgen, hatte das gute Gefühl, zu Hause zu sein; und bin es nun
doch auch, oder?Es war die Küche im Großelternhaus, die Große Kokel war zu
hören, die vor dem Fenster stark rauschte. Es war ein grauer Tag, November oder
Dezember, vielleicht bald Weihnachten, und Tante Friederike, die schon lange
tot ist, stand am Herd. Doch ich wunderte
mich überhaupt nicht. Die Milch lief gerade über, und Tante Friederike
unterbrach ihren leisen Gesang mit einem Schrei, wischte die Herdplatte auf und
sang dann weiter. Sie sang: O wie ist es kalt geworden, und so traurig, öd und
leer, kalte Winde wehn von Norden, und die Sonne scheint nicht mehr. Ihre
Stimme, auch das Hahnenkrähen von draußen klangen unwirklich und aufreizend
weit entfernt, wie Stimmen morgens um fünf. Und Großvater sagte zu mir: was
stehst du da wie ein Tokki, du Maku!
Ein
Tag bricht an, und es ist schon zu viel geschehen. Jene, die kommen müßten,
sind immer noch nicht da. Und die Ungeduld wächst. Endlich hörte ich die Stimme
meiner Mutter, die kam von unten aus dem Hof. Im Morgengrauen trat ich dann auf
den Gang hinaus, einige blasse Sterne waren am heller werdenden Himmel zu
sehen; sonst war es fast noch dunkel; ich fröstelte, zog den Mantel enger um
mich, und erkannte plötzlich, daß der Gang in der Luft hing und die Treppe
verschwunden war. Jemand muß sie abgerissen haben, dachte ich. Großvater stand
neben mir, sah prüfend in den Hof und sagte, da sei sicher der neue Hausbesitzer
daran schuld, und man müsse mit ihm einen
"neuen Ton" finden. Dann holte er aus seinem tierärztlichen
Instrumentenschrank ein kunstvoll zusammengelegtes Hanfseil, knüpfte daraus
eine Strickleiter und ließ sie hinunter
in den dunklen Hof. Ich stieg über die Strickleiter vorsichtig hinab, doch anscheinend
nicht vorsichtig genug, denn ich
versank bis zur Brust im glucksenden Wasser und begann vor Kälte zu zittern.
Mutter stand auf der dreistufigen Treppe der Familie Baruch, stand da mit gerafften
Röcken, und stieg in einen grünen Jeep russischer Bauart. Ich kam nur mit
großer Mühe in diesen Wagen, andere Fahrgäste saßen schon da und rauchten ein
ordinäres Kraut.
Der Jeep fuhr
los. In der Ferne tauchte die weiße Silhouette der Karpaten auf, und
Mama, die hinter mir saß, rief: O schau, Kurt (das ist mein Vater!), wie
wunderwunderschön! So fuhren wir mit bestem Gewissen eine Weile durch die
Gegend dem Sonnenaufgang zu. Bald gieht de Sann af. Erst nach einer Stunde
Fahrt klopfte mir meine Mutter unsanft auf die Schulter und rief mahnend: Aber
du mußt jetzt zurück nach Deutschland, mein Junge, die Pflicht ruft!"
Ich
hätte gern mehr über diese Träume gewußt.
Agapie
gab mir den Rat, zur Baba Ana, auch Dokia genannt, zu gehen, und Ileana stimmte zu "Die ist
steinalt, die ist schon so lang hier, die muß es wissen! Sie wohnt in der
Cornesti, klar!"
Zu
Fuß durch die Cornesti, nein zuerst über den "Neuen Weg", da sah man
schon die beiden bekannten Ausblicke, Steilau, die Sommerhäuser klebten am
Berg, vertraut, ich ging am Kinderspital vorbei, ja, hier konnte man abkürzen früher, bei der
Orendt-Neni, auch sie eine Alte dieser Art, die Pfingsten vom Rosalienschlaf
befallen, mit den Toten reden konnte;
sollte ich nicht auch sie fragen? Erstaunlich, wie früher stieg man in
einem Zaunbereich (und dachte an das alte Hexenbuch) über ein längsgestrecktes Brett, an beiden
Seiten über zwei Pfähle gelegt, eine Brücke sozusagen von Grundstück zu
Grundstück, keine Metapher, da stieg man, auch Großvater, wenn er aus der Stadt
durch die Hüllgasse kam, es war näher, Abkürzung, da stieg er über dieses Brett. Jetzt gibt es
dieses Brett sicher nicht mehr, wer weiß, wer jetzt da wohnt, doch dann, als
ich in dieses Grundstück kam, um nachzusehen,
da stand die Orend-Neni wie früher auch, tat, als wäre nichts geschehen,
wandte sich unter dem Birnbaum um, als sie mich hörte, ich sagte "Jo
napot", sie nickte, hatte aber ein wachsbleiches Gesicht und einen
Totenkopf, mit dem sie den fleischlosen Kopf erstaunt schüttelte, war sie krank? Ich fragte nach Vlad. Sie blieb aber
blieb stumm.
In
sich versunken, eine der Nenis? Als Kind hatte ich Angst vor ihr, sie schrie,
wenn der Geist über sei kam, stammelte, winselte, und ihr ganzer Körper zuckte, Konvulsionen, wie
beim Veitstanz, sagte Mama, aber die Leute, die sich da versammelt hatten,
bildeten einen Kreis und lauschten ehrfürchtig, denn sie war plötzlich wie eine
Heilige, und eine Lähmung überfiel sie dann, sie lag am Boden und die Tänzer kamen, tanzten um sie rum, angeführt
von einem Mann mit einem Messer und vielen Kräutern in der Hand, Wermut,
Knoblauch, Kamille, und zeichnet mit de kräutergeschmückten Messer ein Kreuz
über ihr, die in Trance und wie ein Stein daliegt, und der Mann setzt einen Fuß
auf den Körper der Neni, und stößt mit der Fußspitze an ihre Fußsohle, als
wolle er aus einem LebensAkku Kraft zeihen. Eine Tänzerkette dann dreimal
um sie rum... Und ich erinnere mich
plötzlich an die Woodoozeremonien in Haiti... Als ich mich aber umsah, war die
Neni nicht mehr da, weg, als hätte sie der Erdboden verschluckt.
Und
ich ging lieber am Fielkischen Schlößchen vorbei, -
alles steht noch, hier fielen ja keine Bomben, ein Dorf, so ländlich, -
gingen wir am alten Brunnen vorbei, diese metallenen Säulen, wie
Wasserzapfsäulen, Hebel, das Wasser zischt in dickem Strahl hervor, da tranken
wir früher, da füllten wir die weißen Flaschen, denn Wasser gabs im "Baumgartenhaus"
nicht, nur Regenwasser in der Zisterne, Kochwasser holte der Zigeuner Puscas
von der "Lehmkeule", der Ziganie, mit einem Eselchen das vor die "Tinne" gespannt war.
Wasserleitungen gabs noch nicht, und der Brunnen am Schleifengraben, den der
Bistritzer Großvater graben ließ, hatte kein trinkbares Wasser, es war zu
weich. Immer wieder wurden weiße Flaschen an einem Faden da hinabgelassen, um
das Wasser zu probieren, er trank es mit Todesverachtung, wollte erfolgreich
sein. Ja, diese Brunnenhäuschen mit Dach und Gitter, sogar ein versperrtes Türchen,
damit da niemand Dreck reinschmeißt, reinspuckt gar, die Purligaren, ein Rad,
eine Kette mit Eimer gabs auch, das quietschte. Und es roch nach Farn und nach
dem dicken, haarigen Blatt, haarig, fein
wie das Ohr junger Hunde, "Balsterblädder", sagte Mama. Und nach
Schrot roch es an diesen Ohren im Schleifengraben.
Vorher aber die Cornesti mein Ziel, die
Baba. Am alten Mauthaus vorbei. Dann an den kleinen blauen Bauernhöfen, alle
Häuser blau, Farbe gegen die bösen Geister, und dort in einem dieser Höfe
hatte ich meinen ersten Toten gesehen, aufgebahrt im offenen Sarg, und die
schwarzen Frauen schrien ihren Klagegesang, die Bocete ... Ja, die Babe,
Mütterchen, Erde, Greisinnen nehmen uns ins Gebet, als wäre es Mutter, Tränen,
Tropfen aus dem Feuer, sehr lange weiße Kerzen, der Aufgebahrte hochgestellt,
die Majestät des Todes: ein Zeichen oben im weißen Gesicht, als wäre es ein
Clown: über das Lachen hinaus. Flüsternd, fröstelnd, ein Hauch löste die Welt
auf, vorgestern hatte es gebrannt am Fluß/ Feuer, Feuer. Es riecht nach
angebrannter Milch, Stroh, Rauch, Wasser und Dampf. Der Rauch in der Nase
beizt, quält ins Auge eine Welt, will nicht mehr sein. Amen, Amen, Doamne
miluieste, miluieste ... Und kein
Vertrauen in den Toten dann, schon die Nachtwache ein Zittern, nur die
schwarzen Frauen klagten weiter. Im niedern Zimmer mit den Bettaufbauten, der
guten Stube, wo der Tote lag, überall Ikonen mit der Muttergottes und dem
Heiligen Georg, wie er den Drachen tötet, und Kerzen flackerten im Raum davor
aus Stille, aus entflammten Fingern. Und
weil sich der Andreastag näherte, gab es an allen Fensterkreuzen Kränze von
Knoblauchzehen, Kreuze von weißgänzenden Knoblauchzehen im Kerzenschein, im
Mond, Türklinken, Hoftore eingerieben, und eingerieben die Rinderhörner mit Knoblauch,
es stank hundert Meter im Umkreis, kein Leichenengift, nein Knoblauch stank zum
Himmel, wider die pricolici, die iele, den sburator, nagode, joimarite,
lighoane, duh, stafie, vedemie , muma-padure und alle anderen. Und eine
ungeheure Trockenheit dam als 1946, Hungersnot, die Rinder verreckten, die Kühe
gaben keine Milch, grünes Gras und braune Erde, Kinder wurden krank, Fieber,
hohes Fieber, Muhen aus den Ställen, keine Eier die Hühner, Gackern,
Hahnenmschreie schon um Vier, Muhen, geschecktes Muhen, Wiehern, Schreie der
Esel, Gebrüll, Mistgestank in der Luft... und schon damals wars die Dochia,
noch jung, aber schon weise Frau
"descintece, vraji, farmece" ja, Zaubersprüche wider die bösen
Geister ... den mos Apes oder den "dracu dracilor", kein normaler
Teufel, nix Christliches, viel vielälter aus dxer Sele geholt an die Tür
genagelt, ab, der Saican und Naftulin der Schwarze häßliche Mann, zerfleddertes
Gesicht und aufgedorrter Mund hochgezogen wie ein Erhängter gekrüpmmt Bärwolf
we der Statu-Cot mit Augen groß wie Zwiebeln Zähnen wie die Sicheln ... wußte
vom Pupaza dem Milchmann der jeden Tag mit den Milchkannen bölechern aneinader
schlugen sie raufkam er den Hohlweg, und träumte sie,w ei sie alles andeer als
brav sind, nachts sich verwandeln und ins Bett kommen, mich berühren und hauen!
"Cap de viclean/I nima de
vidra/Dela picere/ Cap de sarpe." Und da half nur der Singsang der
Dochia, klar, Meletica peletica pog canopogo cara gana carga cararata pune...
und war ja nah am Schlachthof und am Kokrlufr mit den blutigen Gedärmen und dem
Gestank weit weit am Mauthaus:
Taci
Saican si Naftulin nu dte Chirai
Nu te olicai
Ca noi sintem Maica Precista
Si Maica Sfinta Maria
Care ne-am scobori din cer
Pe scara de argint si fier!
Draußen
auf dem Friedhof dann. Es gab ihn jenseits des jüdischen Friedhofes, den
orthodoxen Friedhof, dahin ging der Zug mit Ion, dem Toten im offenen Sarg, der älteste Sohn trug ganz vorn
im Zug das Kreuz, die andern Kinder rings um den toten Vater, um ihn, Ion, vor
dem Wagen der Pope im gold- und silberbestickten Meßgewand, und ich ging am
Rande mit, am Rande des Weges der Staubstraße, an den Budaren und Hingheren,
Hundefängern, vorbei, ging mit,
unwiderstehlich zog mich der Tote an, ging mit, wie der Untote mit dabei war,
spürte das Unheimliche, und die vielen Holzpfähle, Adrian der refugiat aus der
Bukowina, der kleine Freund, hatte es mir erzählt: Als sein Großvater begraben
wurde, hatten sie es ja auch mit dem Alten so gemacht, allen wird’s jetzt
gemacht wegen der Hungersnot, gegen den moroi,
ungetaufte Kinder, die die Mütter quälen, in sie eingehn, bis ihr Weinen
von innen die Mutter zerplatzen läßt, unter zu starkem Druck, wie ein Fußball,
der zu stark aufgeblasen ist, oder den
pricolici, den nagoda, die iele, das sind die bösesten Frauen, das sind mehrere,
tun sich zusammen, kommen gemeinsam, drei oder sieben, und haben Kräfte, die
lähmen und verrücktmachen, wie die Marina Vladi im Film mit den zwei Hexen, ein
Blick nur, und der Mann stolpert, fällt der Länge nach hin, schlägt sich
womöglich den Kopf ein an einem Baumstamm, einer Mauer, einem Stein, und ist
tot. Wenn sie Pause machen, wie in der Schule, spielen sie im Gras, und wo die
tanzen nachts, nackt mit großen Brüsten und Mutzen, arg behaart, alles schwarz,
nur das Weibernackte ganz weiß wie frischgewachsene Totenlinnen weiß, die
Haut.. und wo si getanzt haben im Mondschein, da wächst kein Gras mehr, das
erkennt man, ganz verwelkt und gelb sieht dann der Ort aus, erzählte Adrian...
und kalt schauderte es uns über den Rücken, hu, und wir liefen fort. Und denne
muß man das Kreuz entgegenhalten, Gelobt sei Jesus Christus schreien oder
besser noch TATAL NOSTRU gegen die Fratze... die aufgerissenen Augen und Zähne
wie Sicheln... Blut läuft aus der Nase und aus der Brust anstatt Milch. Und
deshalb schnelt man sich am 1 März die Märtisoare und hängt sie sich um. Mit
Ion, dem Toten jetzt aber, wars so, nach dem Singsang und dem Sargschließen und
wieder immer wieder klagen und laut Schluchzen... und Blumen und Coliva zur Wegzehrung auf den Sarg
gelegt und Erde drauf, viel Erde, ganz tief unten der Sarg, ja... und es wurden
all die neuen Tannenholzstecken geholt, ringsum das frische Grab aus gelbem
Lehm, es hatte ja geregnet, Löcher um
diese aufgeworfene Erde, den Hügel und dem Bocet:
In casuta ta cea noua
Nu te ninge, nu te ploua
Dann
ringsum die vielen Pfähle in den Boden rerammt, als wäre die Erde selbst
ein Geister Herz und muß in sich selbst
befestigt werden, daß es nicht rauskommt... Und alle frischen Gräber sind
umgeben von Pfählen... als wollte man die Toten schrecken, nicht wieder zu
kommen, schön brav weiterzuschlafen.... gen HIMMEL ZU FIEGEN; der Leib aber
gehört den Würmern ...
Wenns
aber nicht hilft, nicht hilft... so Adrian ... dann kommt was kommen muß ...
sie werden ausgegraben ... Und wir fürchteten uns sehr, als wir einmal nachts,
wir kamen von der Wenchkrümmung mit einem Handwägelchen zurück, dort, wo das
Wasser, das sehr tief und still ist, Zauberkräfte
hat, und wo vor kurzem eine Krankenschwester beim Baden ertrunken war, also
dann auch am Freidhof vorbei, und sahen einige Leute und den Preister beim Schein vieler Kerzen fast lautlos hantieren, nur das Klirren von
Spaten war zu hören und ein Gemurmel!
So war es in Rumänien
üblich, die Leichen der Bestatteten in bestimmten Abständen auszugraben
und nachzusehen, ob sie sich in Vampire verwandelt hatten; Kinder grub man nach
zwei Jahren, junge Leute nach fünf aus; alle übrigen nach sieben Jahren.
War der Verwesungsprozeß vollständig, wurden die Knochen in Wein und Wasser
gewaschen und wieder begraben
Ich
ging dann am Bachufer entlang, wo einst der Heinrich Höhr, unser
Naturkundelehrer gewohnt hatte in einem Schlösschen auch er.
Und es roch nach
Hirschgeweihen und Kraut aus dem Vorzimmer, dimpig nach alten Büchern, und im
Garten war ein Bienenwolf zu sehen, prachtvoll gefärbter Tertiärvogel, und
lebt immer noch, zu hören aber war ein Halsbandfliegenschnäpper, der warb wohl,
der Niedliche, sah aus, als wäre er eine Art Schrift: schwarz-weiß, der muß
sich vom Eichrücken oder von der Breite hierher verirrt haben. Und über die
Scheibe kroch ein winziges Insekt, "eine der 4763 Käferarten, 402
Varietäten, 324 Abänderungen", meinte ich den Heinrich zu hören!
Ich jetzt mit diesen Bildern in mir, schweigend,
wäre meine Frau hier gewesen, hätte sie keine Erinnerungen hier gehabt, und ich
hätte geschwiegen, denn ich hätte bei ihr kaum ein Echo gehabt, auch wäre es
mir zu mühsam gewesen, auszuholen, mit diesen Bocete, mit diesem Totengesang;
und sie hätte sicher auch die Orend-Neni nicht sehen können; dazu war ich doch selbst noch so beschäftigt,
diese Erinnerungen zu verstehen, geschweige denn Vlad zu begreifen... als würde
ich hier nun alles neu sehen, wie zum erstenmal, jetzt ist der Weg asphaltiert,
dachte ich, kam da der Andere, jener und all jene, die vor mir gewesen waren,
alle Toten, endlich, tauchten mich ins Unbewußte ein, daß ich ein wenig
Frieden finden konnte in dieser Anspannung, es selbst zu tragen, was ich nicht
mehr war, und ich sah, was es nicht mehr gab: früher wars ein zweispuriger
Karrenweg, in der Mitte mit Gras bewachsen, Staub, Pferdeäpfel, Kuhfladen,
Bremsen klebten an den Pferdeärschen, die Luft flimmerte durch die Schweißgerüche...
UND - ein Bindewort, ja: und sehe der Zeile nach: ich bin ja dort absent, und
alles ist im Nachher, wie es sich annähert also, hier in der Zeile der
Wirklichkeit, die ebenfalls nicht mehr existiert! Ich sehe auf, und weiß, daß
ich "Zuhause" an meinem Schreibtisch bin, fremd zu Hause, dort oder
hier in Italien... Ich hatte es vergessen in der Ekstase des Schreibens. Und
die ist selbst ÖFFNUNG. Eine besser als im "Sommerhaus", das ich
keinesfalls kaufen werde. Erinnerungen sind nicht käuflich. Ich würde mir dort
an der fremden Wand den Kopf meiner Erinnerungen einschlagen, sie könnten sich
nicht halten... Aber auf Schritt und Tritt ein Toter, dort sieh, da steht er
und ruft "Hopphoppp", der Mischonkel, der Schlawiner, der alte
Schiffsarzt? Und gleich kommt auch der Töff mit heller froher Stimme, kommt
eben mit dem Fiaker vom Bahnhof, hat die Prüfungen bestanden in Berlin,
Tiefbauingenieur... HopppHoppp, dann sitzt man auf der Veranda, ich seh sie und
hör sie durcheinanderreden, die Ami, Nok, er starb als Rußlanddeportierter in
Frankfurt an der Oder an Wassersucht. Der Großvater, Friederike, die zarte,
Gräfin, mein anderer sächsischer (oder slowakischer, oder habsburgischer?)
Vater, der Stalingrad lebend überstanden
hatte, starb an Spätschäden... Pneumothorax... dann meine Mutter, wieder
aufgetaucht... Großvater redet Töff ins Gewissen, sich doch freiwillig zur SS
zu melden. Und der meldete sich auch.
Wurde erschlagen von Häftlingen am 13. April 1945 in Buchenwald. So sehr
unterschiedliche Tote also, friedliche, gewaltätig gestorben...
Dagegen
steht die bunte Kaffeetasse, Kühle, Frische, ins Gras laufen, barfuß. Oder
feuchten Sand, kühl wieder an der nackten Sohle spüren. Bäume rauschen. Und
sogar hier die weiße Mauer, tausend grüne Blätter, Osmose wäre möglich, Wasser
fließt. Die Härchen auf der Wange. Luft daran. Oh, Kindskopf. Die Sinne
hasteten damals noch nicht. Das heißt, es war Frühe. Angst aber, der Gedanke,
ein böser Same, ein Fotonegativ, das sich entwickelt im Licht, und zählt das
Geschehen ab, das unaufhörlich läuft; schon ist auch dieser Tag vorbei, irre
Sequenzen. Flimmern. Vorbei. Bilderwechsel Tag und Nacht. Was bleibt? Die
Toten? Die Geschichten von ihnen? Die Schmerzen, die sie hatten, die Schreie?
Die Angst?
Oder das Lachen, wenn man damit spielt....
Der Bistritzer Großvater der so stille, der Insichgekehrte, uns allen ein
Geheimnis, der noch "Gelobt sei Jesus Christius" heimlich murmelte,
wenn ihn niemand hörte von diese nüchternen Sachsen, die trotzdem alle Angst
vor Gespenstern hatten, vor allem Tante Friederike ... Bitte, hör auf damit!
Der Bistritzer Großvater hatte "diese Bücher" im großen
schönfurnierten Bücherschrank in seinem Herrenzimmer oben in der Mansarde. Und
ich durfte Jules Vernes "Karpathenschloß" lesen, dazu summte der
Kachelofen. Vor allem, wenn ich Grippe hatte, dort im Bett lag, las ich auch
Grusel- und Geistergeschichten. Da war auch der H.H. Ewers, den mir Mama
verboten hatte. Den Bram Stoker aber gab es dort nur in Großvaters Phantasie,
der habe sowieso nur abgeschrieben wie die Nichtskönner in der Schule. Wenn Großvater bastelte, Laubholzarbeiten,
feingeschnitzte machte, meist für Weihnachtsgecshenke, eine grüne Schürze gegen
Leim und Dreck umgebunden, erzählte er mir von den Geistern... Er allein hatte
keine Angst vor ihnen und sagte nicht joi oder Istenem!
Sein
Vater, ja, der habe in jungen Jahren auch mal so ein Erlebnis gehabt, erzählte
er, da oben im Gebirge auf der Straße nach Vatra Dornei. Und das habe er auf seinen Wanderreisen mal
in England dem Stoker erzählt, prompt habe er, der Schmierer sich alles
beibegbogen, es als eigenes Erlebnis ausgegeben, obwohl der noch nie in
Transsylvanien gewesen war! Das sei die Geschichte dort oben mit den Vampiren,
oder wie die Rumänen sagen: den Bampirii gewesen!
Mein
Vater also, so mein Großvater, der fuhr hinauf zur Stâna vom Borgopaß, um für
unser Wirtshaus an der Straße Käse und
Urda zu holen, vielleicht auch, um neue Geschichten, mit denen er Gäste, die
von weither kamen, unterhielt, um das gemütliche Gruseln am Kamin in der
Gaststube bei einem Kokeltaler zu genießen! Und mit einem Fuhrmann, dem Ion
gings damals hoch zum Paß, da der Vater
selbst keine Pferde hatte. Los gings also. Es war zufällig Noapte de Sânzene,
die Johannisnacht also; vielleicht wollte mein Vater auch, da er sehr neugierig
war und gern auch experimentierte, sehn, was denn heut da oben so passiere, und
ob es stimme, was die Leute sagten. Und der Käse war wohl nur eine Ausrede! Wer
weiß. Jedenfalls, der Ion verlangte ein ordentliches Trinkgeld, ein Bakschisch,
sagte, "o sa ne întâlnim cu dracul!" "Laß nur mich machen,"
sagte mein Vater dann, klopfte dem Ängstlichen auf die Schulter. Es roch wie
immer nach Pferdeäpfeln, Blut und Schweiß, nach Lederzeug, der Koberwagen mit
dem Ledersitz wackelte also den Ostkarpaten entgegen. Aber lassen wir lieber
ihn, der nicht tot sein soll, und es auch nicht ist, kommen, deinen
Urgroßvater. Er hatte eine blühende
Phantasie, ich weiß aber, daß alles was er von dieser Fahrt erzählt hatte,
reine Aufschneiderei ist. Du brauchst also keine Angst vor Gespenstern und Geistern
zu haben, ich hab noch keine gesehen, und mein Vater auch nicht. Menj Jang, die
Geister sind in uns selbst, im Herzen,im Kopf, in der Seele, da habenb sie eie
Tür, so daß sie auftauchen können, vor allem wenn wir krank sind!.
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